44. Poetenfest in Erlangen:Schwere Stoffe und sommerliche Leichtigkeit

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Neue Bücher und starke Stimmen im Schlossgarten von Erlangen – so kennt man das Poetenfest, dessen 44. Ausgabe am Donnerstag beginnt. (Foto: Erich Malter)

Zum Festival der Literatur kommen Nora Bossong, Jenny Erpenbeck und Stefanie de Velasco nach Erlangen. Besonders im Fokus: der hochumstrittene Roman „Reichskanzlerplatz“.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Am Donnerstag, 29. August, beginnt das 44. Poetenfest, bis zum Sonntag werden dazu etwa hundert Literatinnen, Kritiker und Publizisten in Erlangen erwartet. Worauf man besonders gespannt sein darf: Am Samstagnachmittag stellt Nora Bossong ihren kürzlich erschienenen und jetzt bereits hochumstrittenen Roman „Reichskanzlerplatz“ vor, in dem es um jene Frau geht, die später als Magda Goebbels mehr als unrühmlich in die Geschichte eingegangen ist.

Im Poetenfest-Programmheft kommt dazu Daniel Kehlmann zu Wort, der sich mit einem Lobpreis zitieren lässt. Bossong beantworte die oft gestellte Frage, ob man denn über das „Dritte Reich“ erzählen könne, „mit einem großartigen Buch“. Dieses sei, liest man auf dem „Reichskanzlerplatz“-Cover, „vielschichtig, besonnen und erbarmungslos“.

Liest am Samstag in Erlangen: Nora Bossong. (Foto: IMAGO)

Während die Buchpreis-Jury dies offenbar ähnlich sieht, Bossongs Buch findet sich auf der Longlist, zeigen sich große Feuilletons alles andere als begeistert. „Schwer zu sagen, was Nora Bossong, eine der anerkanntesten und erfolgreichsten Autorinnen der deutschen Gegenwartsliteratur, die nicht dem Spektakel- und Unterhaltungsgenre zugerechnet wird, bewogen hat, Magda Goebbels einen Roman zu weihen“, fragt sich die Zeit. „Leider ist Bossongs Roman eher ein furchtbar spekulativer Text über eine Täterin, deren Motive im Dunkeln bleiben“, urteilt der Spiegel und auch die SZ meldet Bedenken an.

Gerade die Nachmittage dieses Spätsommerfestes der deutschen Literatur sind berühmt für ihre Leichtigkeit, für Liegewiese und Lektüre unter Bäumen. Ob das in diesem speziellen Fall gelingen kann, wird man abwarten müssen – und sich mit einem Anflug von Melancholie an das Jahr 2015 erinnern, in dem Nora Bossong ebenfalls im Erlanger Schlossgarten aufgetreten ist, damals mit ihrem Roman „36,9°“. Ihr Auftritt ging in die Fest-Annalen ein als einer jener beschwingten Festivalmomente, wie man sie in diesem Ferienlager des deutschen Literaturbetriebs erleben kann.

Was allerdings nicht primär mit Nora Bossong zu tun hatte, sondern hauptsächlich mit der Bamberger Literatin Gomringer, die mit Bossong den Vornamen teilt. Nora Gomringer hatte 2015 den Bachmann-Preis in Klagenfurt gewonnen und trug ihren Gewinner-Text – wie es Tradition ist in Erlangen – also auch beim Poetenfest vor. Ihr Text trug den Titel „Recherche“, in ihm versucht eine Reporter-Figur mit dem Namen „Nora Bossong“ den Tod eines jungen Menschen zu ergründen. Gomringer hatte vorab artig bei Kollegin Bossong angefragt, ob sie sich deren Namen mal für ein kleines Stück Literatur ausleihen dürfe. Durfte sie.

Seit man Gomringer in Klagenfurt immer wieder „Nora Bossong“ (mit pointierter Gomringer-Betonung auf „-song“) hat vorlesen hören, geht einem schon das nicht mehr aus dem Kopf. Noch hübscher aber geriet dann Gomringers Auftritt in Erlangen: Auf ihrem Podium begann die frisch gekürte Bachmann-Preisträgerin, gerührt offenbar vom selbst für Erlanger Verhältnisse massiven Zuspruch, erst mal das Publikum zu fotografieren. Begründung: „In Erlangen sind alle schön.“ Danach plauderte sie ein wenig aus dem Klagenfurter Nähkästchen, bevor sich dann – Überraschung des Tages – die ganz reale Literatin Nora Bossong aufs Podium gesellte, auf dem es zuvor um die literarische Figur „Nora Bossong“ gegangen ist. Man hat schon weniger launige Momente erlebt.

Nora Gomringer - hier in Klagenfurt - gewann den Bachmannpreis 2015 mit einem Text, in dem die Hauptfigur „Nora Bossong“ heißt. (Foto: Puch Johannes/ORF)

Organisiert hatte diese denkwürdige Zusammenführung Dirk Kruse, der als Moderator diesmal den Auftritt Bossongs in Erlangen begleiten wird. Apropos Buchpreis-Longlist: Neben Bossong treten in Erlangen auch Zora del Buono („Seinetwegen“), Clemens Meyer („Die Projektoren“) und Maren Kames („Hasenprosa“) auf, deren Bücher sich ebenfalls auf der Longlist finden. Überdies David Wagner mit seinem von der Kritik gefeierten Roman „Verkin“. Natürlich auch der aktuelle Bachmann-Preisträger Tijan Sila mit seinem formidablen Gewinner-Text aus Klagenfurt: „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“. Sowie Stefanie de Velasco, die einen Roman vorstellen wird, dessen Titel unweigerlich an das Vorlese-Grün von Erlangen denken lässt: „Das Gras auf unserer Seite“. Wohlgemerkt: Es geht nicht ums Poetenfest.

Beim Auftritt von Nora Bossong dürfte es um differierende Maßstäbe in der Bewertung von Literatur gehen. Beim Auftritt von Jenny Erpenbeck ebenfalls.

Eines der drei Autoren-Porträts im Erlanger Markgrafentheater ist Jenny Erpenbeck gewidmet. (Foto: Jens Kalaene/picture alliance/dpa)

Während bei Bossong momentan die Buchpreis-Jury und ein wesentlicher Teil der Kritik über Kreuz liegen, kamen im Fall Erpenbeck unterschiedliche Jurys so gar nicht zusammen: Ihr herausragender Roman „Kairos“, 2021 in Erlangen vorgestellt, fand sich in Deutschland nicht mal auf der Longlist – wurde 2024 aber mit dem International Booker Preis ausgezeichnet. Erpenbeck ist in Erlangen ein Autorenporträt gewidmet, ebenso wie Katja Lange-Müller und Fitzgerald Kusz, der im November seinen 80. Geburtstag feiert.

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