Mitten in Bayern:Die wirklich wichtigen Wünsche

Mitten in Bayern: Die Aktion in Ergolding bei Landshut soll Menschen zum Nachdenken über ihre eigene Vergänglichkeit anregen, vor allem aber über das Leben.

Die Aktion in Ergolding bei Landshut soll Menschen zum Nachdenken über ihre eigene Vergänglichkeit anregen, vor allem aber über das Leben.

(Foto: Markt Ergolding)

"Bevor ich sterbe, möchte ich...": Eine Kunstaktion in Ergolding ermuntert Passanten, diese Frage zu beantworten. Kaum ein Thema ist individueller - und doch verbindet die Menschen mehr, als man denkt.

Glosse von Nadja Tausche

Von der Arbeit heimfahren, Essen kochen, und dann endlich mit einem Glas Wein vor dem Fernseher entspannen nach dem anstrengenden Tag. Klingt vertraut? Man darf annehmen, dass viele Feierabende hierzulande so oder so ähnlich ablaufen. Dann mal eine Frage abseits von Alltag und Gewohnheit. So ganz aus dem Bauch heraus: Was wollen Sie noch machen, bevor Sie sterben?

Diese Frage haben sich gerade die Ergoldinger gestellt. Auf Tafeln vor dem Rathaus der Marktgemeinde bei Landshut konnten sie eine Woche lang mit Kreide den Satz vervollständigen: "Bevor ich sterbe, möchte ich...". Die Idee: "Man wird angestupst auf ein Thema, das sonst ein Tabu ist", sagt Gabriele Gaudlitz von der Gemeinde im Nachgang. Was herauskam: Spanisch lernen, nach Kanada fliegen. Viel Zeit mit den Enkeln verbringen, Corvette fahren. Jemand, der aus der Heimat geflohen ist, schrieb: Die Mutter wiedersehen.

Individueller als eine Antwort auf diese Frage kann es ja eigentlich nicht werden. Was will man, wer ist man, wo steht man im Leben? "Aber man hat auch gesehen, dass uns manche Bedürfnisse verbinden", sagt Lisa Friedel, sie macht derzeit ihr Praxissemester in der Seniorenarbeit des Landratsamts Landshut und hat die Aktion nach Ergolding geholt. Um glücklich sein, sei es immer wieder gegangen, achtsam sein und mutig, um Reisen und darum, Frieden mit Menschen zu schließen. Was kaum auf den Tafeln stand: Materielles. Und, sagt Friedel: "Ich kann mich nicht erinnern, dass da irgendwas mit Job stand."

In 78 Länder hat es die Aktion der amerikanischen Künstlerin Candy Chang schon geschafft. In Ergolding haben der Hospizverein Landshut, die Seniorenarbeit des Landkreises und die Gemeinde zusammengeholfen. Schulklassen waren da, Senioren, auch der Bürgermeister hat sich verewigt. "Ich habe mir gewünscht, gesund und glücklich zu leben", sagt er. Andreas Strauß überlegt nach den positiven Rückmeldungen mittlerweile sogar, derartige Tafeln für andere Themen aufzustellen: Was sich die Einwohner für den Ort wünschen, zum Beispiel. Im Herbst wollen zum Welt-Hospiztag weitere Gemeinden die Aktion aufgreifen.

Nur: Das Thema kann schon auch Angst auslösen. Gerade in der Pandemie, meint Friedel. "Das Sterben ist präsenter." Dabei will sie den Fokus nicht auf den Tod setzen, sondern auf das Leben. "Dass man nichts aufschiebt, das Leben nutzt." Vielleicht ist heute nach Feierabend ja ein guter Moment, um damit anzufangen.

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