Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Seehofer kriegt die Krise

Der Anti-Europa-Kurs zahlte sich nicht aus: Mit nur 40 Prozent erzielt die CSU bei der Europawahl eines ihrer schlechtesten Ergebnisse. Dass ihr Wahlkampf nicht richtig aus den Startlöchern kam, lag auch an der Strategie von Parteichef Seehofer.

Von Mike Szymanski

Parteichef Horst Seehofer berichtet aus einem politischen Katastrophengebiet. Seine Rede in der Hanns-Seidel-Stiftung, wo an diesem Montag eigentlich eine Party steigen sollte, beginnt mit den Worten: "Wir warten noch, bis wir alle versammelt sind." Dann versucht er die Zahl 40 zu erklären, die für die CSU in den Hochrechnungen bei der Europawahl steht.

Er habe bis eben in der Landesleitung den "Versuch einer Analyse" unternommen. Aber mit den Infos, die "er bis zur Stunde" zur Verfügung habe, sei das schwierig. Er spricht von einer "bitteren Stunde", und dass man jetzt "zusammenstehen" müsse. Land unter im CSU-Land. 40,5 Prozent - es ist das schlechteste Ergebnis überhaupt für die CSU bei einer Europawahl.

Die Partei leidet wie schon lange nicht mehr. Die Berliner Statthalterin der Partei, Gerda Hasselfeldt, sagt: "Ich kann das noch gar nicht glauben." Manfred Weber, der Europapolitiker der CSU, analysiert dagegen schon ganz kühl: "Wir haben die Menschen nicht überzeugt." Reden will er morgen im Vorstand. Über die CSU und Europa. Mit "Nachdenklichkeit" werde er in die Sitzung gehen. Was für eine Untertreibung angesichts dieses Ergebnisses.

Die Disziplin lässt nach

Acht Abgeordnete. Dieses Ziel hatte Seehofer vorgegeben. Jetzt werden es nur noch fünf sein. Seehofer wusste, dass die Wahl schwierig wird. Deutschland schickt drei Parlamentarier weniger nach Brüssel. Ohne Fünf-Prozent-Hürde haben die Kleinparteien freie Bahn. Aber dass es so schlimm kommen würde? Er macht die geringe Wahlbeteiligung in Bayern dafür verantwortlich. Aber er weiß auch, das allein wird als Analyse nicht reichen.

Wenn der Vorstand an diesem Montag zur Analyse in der Parteizentrale zusammenkommt, wird es viel zu bereden geben. Wie erklärt man die eigene Niederlage und den Erfolg der AfD, die mit sieben Prozent rechnen kann - auch gegenüber der Schwesterpartei CDU? Die hatte sich von Anfang an über die populistischen Töne aus Bayern geärgert. Nach dieser Wahl kann Seehofer nicht mit Milde rechnen. "Bislang hat ihn immer geschützt, dass die nächste Wahl vor der Tür stand", sagt ein Vorstandsmitglied.

Die Disziplin lässt schon nach. Der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, den Seehofer gerne mal als Bundesbedenkenminister verhöhnt hatte, macht sich jetzt selbst lustig. Die Leute hätten der CSU auch glauben müssen, dass sie wirklich etwas verändern will. Eine Anspielung auf den "Ja, aber"-Kurs in der Europapolitik, den die CSU gefahren hatte. "Da war das Vertrauen aber etwas unterwickelt", sagt Friedrich.

Weniger süffisant hört sich die Kritik von Erwin Huber an, dem früheren Parteichef. Der weiß aus eigener Erfahrung, was verlieren heißt: "Die Ursache für diese Katastrophe liegt in der Politik der letzten fünf Jahre." Was Europa angeht, sei "sowohl dafür als auch dagegen" alles andere als eine "glaubwürdige, klare Linie". Gerade das bemerkenswerte Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD) wirft Fragen auf. Vor allem diese: Wie konnte das passieren?

Die Antwort der CSU auf die AfD und deren Anti-Europakurs sollte Peter Gauweiler sein. Seehofer hatte den knorrigen Bundestagsabgeordneten, der Politik ganz auf eigene Rechnung macht, extra als Parteivize installiert, damit dessen Europa-Kritik mehr Gewicht bekommt. Beim politischen Aschermittwoch verhöhnte Gauweiler die EU-Kommissare als "Flaschenmannschaft". Richtig heftig ging es zu Jahresbeginn zu, als die CSU mit ihrer "Wer betrügt, der fliegt"-Kampagne Stimmung gegen Rumänen und Bulgaren gemacht hatte.

Die Auseinandersetzung mit der AfD hatte in der CSU niemand wirklich gesucht. Für Gauweiler war die Konkurrenz ein "nasses Streichholz". Jetzt hat sie Feuer gemacht. "Die Geheimwaffe Gauweiler hat völlig versagt", sagt einer aus der Parteispitze. Europa-Politiker Weber formuliert es so: Was die AfD angehe, stehe "Bayern nicht anders da als der Bund". Seehofer sagte noch kurz vor Schließung der Wahllokale: "Ich hätte es für einen Fehler gehalten, den Wahlkampf an der AfD festzumachen. Wir haben unseren eigenen Stil."

Bernd Posselt war einer der ersten internen Kritiker: "Die AfD an Kritik übertreffen zu wollen, das bringt nichts", sagte Posselt, der als sechster auf der CSU-Liste kein Ticket für Brüssel mehr bekommen hat.

Und hatte Gauweiler nicht getönt, man werde am Wahlabend ja sehen, wer das erfolgreichere Konzept für die Wahl hat - die CSU oder die CDU? Die Europawahl war die vierte Wahl für Seehofer in nur etwas mehr als einem halben Jahr. Die CSU ist erschöpft - und seit Sonntagabend ernüchtert. Bei der Abschlussveranstaltung vergangene Woche, die die CSU "Fest der Bayern" genannt hatte, stand Seehofer unter einer weiß-blauen Krone. Das wär's gewesen: zum Schluss die Krönung.

Mancher fühlt sich an die Stoiber-Dämmerung erinnert

Bis zur Landtagswahl im Herbst hatte die CSU nur ein Ziel vor Augen - die Rückkehr zu Alleinregierung. Das hat Seehofer geschafft. Was will er nun? 2018 will Seehofer nicht mehr antreten. Seinen großen Plan bis dahin hat er noch nicht verraten. Der Vorsitzende arbeitet längst an einem Beschäftigungsprogramm für seine CSU, damit auch wirklich niemand auf dumme Gedanken kommt. Von einer zweiten Parteireform ist schon die Rede.

Jetzt gibt es erstmal Aufräumarbeit. "Man weiß, die Zeit von Seehofer geht zu Ende. Man weiß nicht wann. Man weiß nicht wie", orakelt einer aus der Parteiführung, der sich bereits an die Stoiber-Dämmerung erinnert fühlt. Wie damals, nach der Bundestagswahl 2005, als Stoiber begann, Führungsschwäche zu zeigen, engt sich auch Seehofers Machtspielraum gerade ein. Andererseits steckt der Partei der Stoiber-Sturz noch so tief in den Knochen, dass er so schnell wohl nichts zu befürchten hat. Und wer sollte im Moment auch die Revolte anführen?

Finanzminister Markus Söder scherzte neulich, sein Boxgürtel liege neben dem Seehofer-Porträt. Immer bereit zum Fight. Er ist aber auch Stratege genug, um zu wissen, dass jetzt für ihn noch nicht der Moment gekommen ist. Seine Rivalin Ilse Aigner ist noch gar nicht richtig in der Landespolitik angekommen. Alexander Dobrindt wird von Seehofer als starker Mann in Berlin aufgebaut.

Keine Zeit für Revolten also? Keine Revolutionsführer? Auch ohne: Seehofer kriegt gerade die Krise.

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SZ vom 26.05.2014/kjan
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