Erding:Willkommen in der Durchgangsstation für Flüchtlinge

De Maizière besucht Kurzzeitlager für Flüchtlinge

Das Kurzzeitlager für Flüchtlinge in einer Flugzeughalle auf dem Areal eines Fliegerhorsts der Luftwaffe in Erding

(Foto: dpa)
  • Auf Deutschlands ehemals zweitgrößtem Militärflugplatz haben Helfer vom Roten Kreuz, dem THW und der Bundeswehr den "Warteraum Asyl" eingerichtet.
  • Der Fliegerhorst ist eine von zwei Durchgangsstationen, die es in Deutschland gibt.
  • Von Erding aus werden die Flüchtlinge an andere Orte gebracht oder reisen zu Bekannten und Verwandten weiter.

Von Sebastian Fischer, Erding

Manchmal muss Ibrahim Takruri erklären, dass das hier tatsächlich Deutschland ist. Seine Landsleute schauen sich ängstlich um auf dem Militärgelände im kalten Novembergrau, sehen einen Zaun mit Stacheldraht und Soldaten, die ihnen den Weg weisen. Sie fragen: Wirklich? Takruri sagt, er müsse dann oft lachen. Ja, antwortet er auf Arabisch: "Hier seid ihr sicher, hier seid ihr willkommen."

Takruri, 35, spricht aus Erfahrung. Es ist gerade einmal zwei Monate her, dass seine Flucht aus Syrien in Erding ihr Ziel fand. Er lebt nun mit Frau und Kindern in einer Wohnung in der Innenstadt und kommt jeden Tag hinaus zum Fliegerhorst, um zu helfen. Den Flüchtlingen, die hier ankommen, hat er jedoch etwas voraus: Sie sind noch nicht am Ziel.

Eine von zwei Durchgangsstationen in Deutschland

Auf Deutschlands ehemals zweitgrößtem Militärflugplatz haben Helfer vom Roten Kreuz, dem THW und der Bundeswehr 18 Flugzeughallen eingerichtet und zehn Festzelte aufgestellt. Der "Warteraum Asyl", so nennt das Bundesamt für Migration (Bamf) das Camp, ist für Flüchtlinge eine Durchgangsstation, eine von zwei in Deutschland - die andere steht in Feldkirchen bei Straubing. Eine Durchgangsstation mit Platz für 5000 Menschen, die an der Grenze aufgegriffen werden und meist nur eine Nacht in Erding schlafen, bis sie weiterverteilt werden und in Bussen sitzen, die irgendwo nach Deutschland fahren, zur nächsten Einrichtung.

Der Warteraum ist kein normales Flüchtlingscamp. Er ist ein Teil der Lösung für das Problem, den Flüchtlingsstrom zu koordinieren, die Grenzen zu entlasten. Erding ist eine Blaupause für die Unterbringung Tausender an einem Ort. Erding ist ein Experiment. Oder wie Heiko Werner sagt: "ein funktionierendes Muster".

Werner, 44, ist der Camp-Leiter. Er ist erst seit ein paar Wochen beim Bamf, vorher war er mit dem Arbeiter-Samariter-Bund in Afghanistan und im Sudan. Erding, sagt er, während er über aufgeschütteten Kies zwischen Containern und Zelten läuft, sei ein bisschen wie Sudan mit oberbayerischer Infrastruktur. Vertraute Abläufe, doch ungewohnt: "Hier jubeln keine Kinder, wenn wir Wasserleitungen legen." Hier rege sich der Landrat über Bauverordnungen auf. Aber Werner ist zufrieden: Er kann Menschen so unterbringen, dass sie beim Warten nicht frieren - "dass sich Deutschland nicht schämen muss", sagt er.

Hektisch wird es in der Nacht

Nach gut drei Wochen Betrieb sind die Abläufe eingespielt. Täglich sind mehr als tausend Flüchtlinge hier, kommen an, reisen weiter. Nachmittags ruft die Koordinierungsstelle in München an, abends kommen die Busse, mal zehn, mal 18, mal 23. Sie parken vor Containern, in denen die Flüchtlinge registriert werden sollen.

Viele Erdinger hatten zunächst gestöhnt, als die Nachricht kam, dass am Fliegerhorst ein Lager eingerichtet werde. 5000, die Zahl erschreckte. Doch nun ist das Welcome-Zelt täglich voller Erdinger, die im Schichtdienst Tee und Wasser verteilen, Jacken und Zahnbürsten. Sie übersetzen und haben für die Kinder in einer Ecke einen bunten Teppich ausgelegt, mit Plüschtieren und Spielsachen. Knapp 25 Flüchtlinge wie Ibrahim Takruri, die schon länger in Erding leben, helfen mit.

Nachts wird es hektisch. Dann ist das Camp eine logistische Herausforderung für Menschen wie Klaus Meier vom Roten Kreuz. Sein Arbeitsplatz ist ein Schreibtisch vor einer grünen Holztafel mit kleinen Plättchen. Gelbes Plättchen bedeutet: Halle frei. Weiß: belegt. Durchsichtig: Abfahrt. Meier hängt die Plättchen nach hier und dort, spricht Anweisungen in sein Funkgerät für die Soldaten, die Flüchtlinge zu ihren Schlafplätzen führen. Jede Halle ist auch mit einer kleinen Comicfigur gekennzeichnet, Halle fünf sind die Frösche, Halle sieben die Kühe. Meier, 56, Reibeisenstimme, Anpackerhände, sagt: "Das ist wie Memory und Schach."

"Einfach ein wunderschönes Leben haben"

Fliegerhorst Erding Warteraum Asyl Luftbild

Der Fliegerhorst in Erding war einst Deutschlands zweitgrößter Militärflugplatz. Die 18 Flugzeughallen und zehn Festzelte bieten 5000 Flüchtlingen Platz.

(Foto: Hans Seeholzer/oh)

Eine Herausforderung ist es auch für Chefarzt Victor Asamoah. Er hat ein Team aus zwei Ärzten und sechs Krankenpflegern um sich, sie untersuchen in einem Zelt die Ankommenden und behandeln sie in einer kleinen Praxis in Halle 17. Es ist ein ständiger Kompromiss. Die Menschen dürfen nicht länger als drei Tage bleiben, so die Vorgabe. Kaum Zeit also für Behandlungen: Eine schwangere Frau im achten Monat kommt ins nahe Krankenhaus. Grippepatienten bekommen Medikamente. Ein humpelnder Mann mit Fußschmerzen? Kann weiter zur nächsten Einrichtung.

Tagsüber, wenn die Ersten schon in den nächsten Bussen sitzen, sieht das Camp fast fröhlich aus, wenn die Sonne dem grauen Gelände ein bisschen Farbe schenkt. Flüchtlinge haben ihre Kleider zum Trocknen über Bauzäune gehängt, ein Vater geht mit Kinderwagen spazieren. Izzatullah ist mit zwei Freunden aus Afghanistan geflohen, letzte Nacht ist er angekommen. Wohin es am nächsten Morgen weitergeht, weiß er nicht. Doch Unsicherheit merkt man ihm nicht an. Er habe Vertrauen, sagt er. Ein Freund habe ihm geraten, zu tun, was ihm die Menschen in den Uniformen sagen, dann werde alles gut. "Hier ist es viel besser als vorher - entspannt", sagt er.

Das Problem an diesem Experiment in Erding ist: Nicht alle haben so viel Vertrauen wie Izzatullah.

Das Tor bleibt offen

In Berlin wurde über Transitzonen und Einreiszentren gestritten, und schließlich wurden Registrierungszentren beschlossen, weil viele Flüchtlinge nicht so kooperieren, wie es für die Bürokratie am einfachsten wäre. Viele wollen weiter nach Skandinavien oder zu Verwandten in Deutschland, auf eigene Faust. In Erding laufen sie, ihr Gepäck geschultert, durch das Camp, verlassen es aus dem offenen Tor. Die Sicherheitsleute machen Strichlisten: Mal sind es hundert am Tag, an einem Wochenende waren es 580, die an der Bundesstraße entlangwandern auf einem in Eile angelegten Fußweg, vorbei an Feldern und verdorrten Sonnenblumen, zum Erdinger S-Bahnhof.

Das Bamf darf niemanden einsperren, einerseits. Das Tor bleibt offen, bei allem anderen hat auch das Rote Kreuz schon angekündigt, mache es nicht mehr mit. Doch andererseits erfüllt das Camp ja nur dann seinen Zweck, wenn die Flüchtlinge mitmachen, sich in einen Bus ins Saarland setzen anstatt ins Taxi zum Bahnhof. Wenn Heiko Werner die Dolmetscher instruiert, klingt das absurd: "Die Flüchtlinge dürfen gehen. Aber sagen Sie es ihnen nicht zu laut."

Lernen, arbeiten, leben

Landrat Martin Bayerstorfer stört diese Ungewissheit, wer durch seinen Landkreis spaziert. Ihn stören auch die Kosten und die Verantwortung für Erding, das ja nichts dafür könne, dass in Syrien Krieg ist. Neulich beim Besuch von Thomas de Maizière (CDU) fiel Bayerstorfer, ein CSU-Politiker wie aus dem Bilderbuch, dem Innenminister vor laufenden Kameras ins Wort mit all seinen Sorgen und seiner Kritik, das Bamf habe den Landkreis mit der Einrichtung der Wartezone überfallen. Bis de Maizière genervt antwortete: "Sollen wir das jetzt alles wieder abreißen, oder was?" Es war eine exemplarische Szene für die Beziehung zwischen Berlin und den Kommunen. De Maizière klang wie Fußball-Nationalspieler Mertesacker in seinem berühmten Eistonnen-Interview: Wat wollnse?

Vahid, 32, wollte vor allem nicht im Camp bleiben. Der Iraner ist nach der Registrierung zu Fuß zum Erdinger Bahnhof gegangen. Es habe ihm nicht gefallen, so eng, genau wie auf der Flucht. Und außerdem: Wieso warten? Er will doch jetzt mit der S-Bahn nach München, weiter nach Düsseldorf, da könne er zu einem Freund.

Und dann? "Lernen. Arbeiten. Einfach ein wunderschönes Leben haben." Das hier ist ja schließlich Deutschland. Und Erding nur eine Durchgangsstation.

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