Erdbeeren aus Bayern:Fragwürdige Früchtchen

Erdbeeren aus Bayern: Wahlfreiheit: In Bayern gereifte Erdbeeren sind auch Mitte Dezember etwa in der Münchner Großmarkthalle keine Seltenheit mehr.

Wahlfreiheit: In Bayern gereifte Erdbeeren sind auch Mitte Dezember etwa in der Münchner Großmarkthalle keine Seltenheit mehr.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wintererdbeeren aus Bayern werden in Deutschland immer beliebter, selbst auf den Weihnachtsmärkten sind sie zu haben. Dabei fällt die Klimabilanz oft schlechter aus als bei Importfrüchten.

Von Georg Etscheit

Erdbeeren im Winter? Das ist schon lange kein Thema mehr. Wer es ohne die aromatischen, roten Früchtchen nicht aushält, findet sie mittlerweile das ganze Jahr über in Supermärkten, auf Wochenmärkten und an fliegenden Ständen in den Fußgängerzonen. Zum Mitnehmen nach Hause oder zum Sofortverzehr in der praktischen Plastikbox. Selbst auf den Weihnachtsmärkten sind frische Erdbeeren im Angebot, als Fruchtspieß im Jumboformat und, je nach Geschmack, mit rotem Zuckerguss oder Schokolade überzogen.

Irgendwo auf der Welt scheint immer die Sonne und lässt Erdbeeren reifen, auch wenn es in Bayern stürmt und schneit. Ansonsten wird mit modernster Züchtungs- und Gärtnereitechnik nachgeholfen. Doch Importerdbeeren außerhalb der Saison, vor allem jene aus Spanien, sind in Verruf geraten. Berichte über ausbeuterische Arbeitsbedingungen in den spanischen Erdbeerplantagen, einen allzu großzügigen Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden sowie die verbreitete Praxis, zur Bewässerung illegal das knappe Grundwasser anzuzapfen, haben viele Kunden verunsichert.

Solcherlei Irritationen und den allgemeinen Trend zu Regionalität machen sich heimische Gärtner zunutze. Immer öfter sieht man Wintererdbeeren aus Bayern oder anderen Teilen Deutschlands. Etwa in der "Fruitique" auf dem Münchner Viktualienmarkt. "Die Saison für Erdbeeren in Deutschland wird immer länger", bestätigt Inhaber Philipp Müller. Eigentlich ende die Erdbeerzeit hierzulande spätestens im Juli. "Doch es gibt Gärtnereien, die jetzt bis Weihnachten Erdbeeren produzieren."

Im Rheinland ist das Klima erdbeerfreundlicher als in Bayern

Früher kamen die Früchte im Spätherbst aus Israel oder "in der Luxusvariante", so Müller, sogar aus Kalifornien. Jetzt sei neben Deutschland und Belgien auch Griechenland im Kommen. Erst nach Weihnachten breche dann wieder die Zeit für Erdbeeren aus Spanien an. Innerhalb der EU ist Deutschland das Land mit den meisten Erdbeerimporten, allerdings dank immer mehr heimischer Anbauflächen mit sinkender Tendenz. Am meisten importiert wird zwischen Februar und April. In der Saison gibt es dann praktisch nur deutsche Erdbeeren, die auf rund 19.000 Hektar angebaut werden, davon 400 Hektar in Gewächshäusern oder begehbaren Folientunneln.

Im Münchner Umland zählt die Gärtnerei Babl in Parsdorf zu den Betrieben, die sich auf Wintererdbeeren spezialisiert haben. Auf mittlerweile 11.000 Quadratmetern baut Wolfgang Babl die empfindlichen Früchte an, unter Glas und mit ausgeklügelter Bewässerungs- und Beleuchtungstechnik gepäppelt. Geheizt wird, wenn nötig, mit Hackschnitzeln aus dem eigenen Wald, das drückt die Energiekosten. "Mit dem Gewächshausanbau wollen wir die Lücke des deutschen Freilandanbaus ergänzen", schreibt Inhaber Wolfgang Babl auf der Internetseite seines Unternehmens.

Im Spätherbst und Frühwinter kommen Erdbeeren auch aus dem Rheinland, wo das Klima in der Regel deutlich milder und damit Erdbeer-freundlicher ist als in Bayern. Der Fruchthof Hensen aus Swisttal bei Bonn kultiviert das empfindliche Obst von April bis Weihnachten und vermarktet sie über Großmärkte wie den Münchner sowie direkt an Handelsketten. Eine Handvoll deutsche Betriebe bediene diese Nische, sagt Betriebsleiter Ralf Hensen. Sehr groß sei die Nachfrage allerdings nicht. "Wenn wir in der Saison 30 bis 50 Tonnen pro Tag absetzen, sind es jetzt vielleicht eine bis drei Tonnen."

Einheimische Erdbeeren sind jetzt um ein Drittel teurer

Der Aufwand, Erdbeeren in der dunklen und kalten Jahreszeit zum Reifen zu bringen, ist beträchtlich. Der Stromverbrauch, vor allem für die künstliche Beleuchtung, ist enorm. Das macht sich beim Preis bemerkbar.

Wer jetzt deutsche Erdbeeren kaufen will, muss rund ein Drittel mehr zahlen, als vergleichbare Importware kosten würde. Obwohl es prinzipiell möglich wäre, hierzulande auch im Hochwinter, also im Januar und Februar, Erdbeeren zu kultivieren, rechnet sich der Aufwand irgendwann nicht mehr. Importware ist dann konkurrenzlos, zumal Transportkosten in der Regel kaum ins Gewicht fallen.

Ökologisch wähnen sich viele Kunden auf der sicheren Seite, wenn sie statt zu "böser" Importware zu Früchten aus der "Region" greifen. Doch das könnte ein Trugschluss sein, warnt Maria Müller-Lindenlauf vom Ifeu-Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg. In punkto Klimabilanz könnten deutsche Wintererdbeeren durchaus schlechter abschneiden als Importe, selbst wenn in der kalten Jahreszeit gelegentlich auch in südlichen Ländern geheizt werden müsse, gegen Nachtfröste.

Auch erneuerbare Energien oder die Abwärme einer Biogasanlage sieht die Expertin nicht unbedingt als Lösung des Problems. "Damit sollten sie im Winter lieber Wohnungen und Häuser beheizen. Man muss die Wärme da nutzen, wo man sie wirklich braucht."

Für deutsche Wintererdbeeren sprechen kurze Transportwege sowie, im Vergleich etwa zu Spanien, hohe ökologische und soziale Standards in den heimischen Anbaubetrieben. "Beim Import von Erdbeeren ist zu bedenken, dass der Transport nicht sehr umweltfreundlich ist", erläutert Reinhard Kindler, Gartenbauexperte beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Landshut. "Außerdem ist die Gefahr groß, dass die importierte Ware auf dem etwa zwei Tage langen Transportweg ihr intensives Aroma verliert." Am Ende müsse sich der Verbraucher überlegen, was ihm wichtig sei, sagt Kindler. Regionalität? Guter Geschmack? Menschenwürdige Produktionsbedingungen? Gute Klimabilanz?

Maria Müller-Lindenlauf plädiert dafür, Regionalität und Saisonalität als zwei Seiten einer Medaille zu betrachten. Für die permanente Verfügbarkeit aller denkbaren Sorten von Obst und Gemüse sei eben ein "CO₂-Preis" zu zahlen. Deswegen sei es jetzt besser, zu Äpfeln zu greifen oder zum traditionellen Winterobst - Orangen, Mandarinen und Zitronen aus südlichen Gefilden. Die wachsen und reifen jetzt nämlich ganz von allein. Und im April kann man sich dann langsam wieder auf die Erdbeerzeit freuen.

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