Erbstreit in Oberbayern:Vom Hof geklagt

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Seit zwölf Generationen führen die Forstmaiers einen Bauernhof in Oberbayern. Der Betrieb floriert, doch eine 13. Generation wird es nicht geben. Die Altbäuerin hat sich mit ihrem Sohn überworfen und vor Gericht erzwungen: Die siebenköpfige Familie muss am 1. Advent ausziehen.

Von Korbinian Eisenberger

Ein paar Tage noch, dann ist es vorbei. Dann muss Hans Forstmaier mit seinen fünf Kindern und seiner Frau den Hof verlassen. Seit er ein Bub war, hat er hier geschuftet. Er hat die Kühe auf die Weide gebracht, die Felder gepflügt. Jetzt wartet das Dorf auf den Winter. Die Sonne blitzt nur noch selten durch die Wolkendecke. Forstmaier hat die Maschinen winterfest gemacht, ein letztes Mal.

Hans Forstmaier, 45, Stallhose, Arbeitshemd, sitzt auf der Holzbank vor der Stube und erzählt seine Geschichte. Über seinem Brustkorb und den kräftigen Oberarmen spannt der Stoff. Die Hände gleichen Pranken, von Stall- und Feldarbeit gestählt. Sein Blick ist klar, doch seine Augen flackern. Aus ihnen spricht die Angst vor seiner Mutter Gertraud, die ihn vom Hof verjagen will und es beinahe geschafft hat. Am ersten Adventssonntag, so lautet das Gerichtsurteil, soll er mit seiner Familie gehen.

Es ist eine Bauerntragödie, die sich hier abspielt, in einem kleinen Dorf im oberbayerischen Landkreis Ebersberg. Seit zwölf Generationen bewirtschaftet die Familie von Hans Forstmaier hier ihren Hof. Eine dreizehnte wird es wahrscheinlich nicht mehr geben. Der Grund dafür ist ein langjähriger Streit, den Forstmaier vor Gericht gegen seine Mutter verloren hat.

Unfall verhinderte Hofübergabe

Ihren Sohn verklagte Gertraud Forstmaier, weil er jahrelang eigenmächtig weniger Pacht an sie überwiesen hatte als vereinbart. In einem komplizierten Verfahren sahen die Richter am Ende die Altbäuerin im Recht, sie erklärten das Pachtverhältnis für beendet - und gaben der Räumungsklage statt. Dass Hans Forstmaier überhaupt Pacht zahlen musste, lag daran, dass die unter Bauersleuten übliche Hofübergabe immer wieder gescheitert war. Bis heute gehört der Hof nicht ihm, sondern seinem Vater Johann. Der ist nach einem Unfall seit vielen Jahren ein Pflegefall.

Auch die Jüngsten kümmern sich um die 50 Rinder, 80 Kälber, Schweine und Hühner. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wäre der Altbauer nicht an jenem Dezembertag 1995 beim Bau der Dorfkapelle auf den Kopf gestürzt, hätte er den Hof wohl längst an den Sohn vermacht. Das sagen viele hier im Dorf. Im Ehevertrag der Altbauern von 1986 ist es so geregelt, und Nachbar Anton Vogelsinger glaubt es auch: "Er war Landwirt durch und durch", sagt Vogelsinger über den Altbauern. Er erinnert sich noch gut daran, wie Johann Forstmaier seinen Sohn aufs Feld mitnahm, wie er ihm alles beibrachte, was ein Bauer können muss. Ähnlich wie Vogelsinger sprechen viele in der Gegend. Dass der junge Hans den Hof übernehmen wird, daran habe niemand im Dorf ernsthaft gezweifelt.

Menschen im Dorf sammelten Unterschriften für Forstmaier

Doch dann passierte der schreckliche Unfall vor 19 Jahren, bei dem der Altbauer einen Gehirnschaden erlitt. Ein gerichtlich zugeteilter Ergänzungspfleger vertritt seither die Interessen des heute 82-Jährigen. Zuletzt bestimmte die Betreuungsstelle des Ebersberger Amtsgerichts dafür Peter Hohlweg, einen Anwalt aus Grafing. Dem Betreuerausweis nach unterstützt der Anwalt Johann Forstmaier bereits mehrere Jahre "bei der Hofübergabe des Anwesens". Genau dies, sagen Nachbarn und Freunde der Familie, habe Hohlweg aber in Wirklichkeit verhindern wollen.

In dem Dorf und der Umgebung wollen die Menschen nicht mehr länger zuschauen, wie Hans Forstmaier um seinen Hof kämpft. Sie bezweifeln, dass Anwalt Hohlweg tatsächlich im Sinne des pflegebedürftigen Altbauern handelt, und haben deshalb 80 Unterschriften gesammelt. Mit der Liste, die sie an das Amtsgericht Ebersberg geschickt haben, soll die Zwangsräumung doch noch verhindert werden. Einer von den Unterzeichnern ist Martin Killi, der Zweite Bürgermeister der Gemeinde Emmering. Er sei entsetzt, sagt er. Der Jungbauer betreibe einen der "am besten gehenden Landwirtschaftsbetriebe der Region".

"Die Hölle auf Erden."

Die Mutter wisse gar nicht, was sie mit all dem anrichte. "Da ist einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen", vermutet Sonja Weber, die Initiatorin der Unterschriftensammlung und Nachbarin des Hofes. Ihrer Ansicht nach hätte das Ebersberger Amtsgericht längst einen neuen Ergänzungspfleger für den Altbauern berufen müssen. Einen, von dem man sicher sein könne, dass er sich nicht von dessen Ehefrau beeinflussen lasse.

Gertraud Forstmaier ist schwer zu erreichen und hat nicht lange Zeit. Ihre Stimme am Telefon klingt scharf, ihre Worte sind hart. Schuld an allem sei ihr Sohn mit seiner Familie, sagt die 68-Jährige. Die Kinder würden sie im Hausflur beschimpfen. Der Sohn habe ihr kein Austragshaus gebaut, in dem sie wohnen könnte. "Wenn ich den Hof übergebe, dann habe ich die Hölle auf Erden." Ohne das Anwesen müsse sie um ihre Zukunft fürchten. "Wenn man einen Vertrag bricht, dann muss man mit den Konsequenzen rechnen", sagt sie.

Kaum zu glauben, dass sie, ihr pflegebedürftiger Mann und die Familie ihres verhassten Sohnes noch im selben Haus wohnen. Unter einem Dach, auf zwei Stockwerken, Tür an Tür. Es herrscht Kalter Krieg hier: getrennte Wohnzimmer, getrennte Küche, getrennte Weihnachtsfeiern. Keine gegenseitigen Geburtstagsgeschenke, kein Gruß. Wenn sie ihrer Schwiegermutter im Flur begegne, "dann schaue ich sie nicht mehr an", sagt Rosi Forstmaier.

Wenn ihr Mann über seine Mutter spricht, dann nennt er sie "diese Frau". Rosi Forstmaier macht ihrer Schwiegermutter schwere Vorwürfe: Indem sie den Vater mit Tabletten betäube, halte sie ihn unmündig - und verhindere so die Hofübergabe. Zudem sei bei dem Ergänzungspfleger des Altbauern, dem Anwalt Hohlweg, anzunehmen, dass er parteiisch ist; unklar sei, ob er die Interessen von Franz Forstmaier oder auch die von dessen Ehefrau vertritt - und demnach befangen wäre.

"Immer im Sinne seiner Gesundheit gehandelt"

Die Altbäuerin bestreitet, dass sie ihrem Mann Medikamente verabreicht habe, um ihn gefügig zu machen. "Ich habe immer im Sinne seiner Gesundheit gehandelt", sagt sie. Was sie mit dem Hof vorhat, wenn ihr Sohn ausgezogen ist, darüber will die Altbäuerin keine Angaben machen. Auch der Rechtsanwalt weist alle Anschuldigungen von sich: Von Befangenheit will er nichts wissen. "Der Anschein einer Interessenkollision ergibt sich nur aufgrund gezielter Falschinformation", so Hohlweg. Der Vorwurf, er würde mit der Altbäuerin zusammenarbeiten, sei haltlos. Ohnehin vertrete er nicht Gertraud Forstmaier, sondern allein "die Vermögensinteressen des von mir gesetzlich betreuten Johann Forstmaier".

Nach dem 1. Advent wird es erst einmal still werden um den schmucken Hof. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für Herwig Eder-Richter, den Anwalt der Jungbauern, steht hingegen "außer Zweifel, dass der Familie Unrecht getan wird". In einem Schreiben an das Vormundschaftsgericht Ebersberg weist Eder-Richter darauf hin, dass Hohlwegs Kanzlei Gertraud Forstmaier bereits in früheren Fällen vertreten habe. Deren reger Schriftverkehr lasse zudem vermuten, dass zwischen beiden ein Mandantenverhältnis bestehe. "Kein Anwalt darf bei einer Hofübergabe mehr als eine Partei vertreten", so Eder-Richter, der vom "Anschein einer Interessenskollision" spricht. Seine Forderung: Hohlweg müsse deshalb als Ergänzungspfleger seines Amts enthoben werden.

Familie hat ein neues Haus gekauft

Das Vormundschaftsgericht reagierte auf Anfragen wie diese bis dato unbeeindruckt. Als Antwort auf ihre Post mit den gesammelten Unterschriften erhielt Sonja Weber ein Schreiben, in dem es hieß, "dass eine persönliche Anhörung von nicht am Verfahren beteiligten Personen durch das Gericht nicht erfolgt". Es hätte auch lauten können: Sie solle sich aus fremden Angelegenheiten heraushalten.

Die ausstehende Pacht von 18 000 Euro habe er mittlerweile an seine Mutter überwiesen, sagt Hans Forstmaier. Daran, dass das Ehepaar und die Kinder Maxi, 8, Seppi, 12, Elisabeth, 14, Rosemarie, 17, und Hans junior, 19, demnächst ihr Zuhause räumen müssen, ändert dies freilich nichts. Vor einigen Jahren habe er mehrere hunderttausend Euro investiert, um die Zimmer der Kinder auszubauen - vergebens, sagt Hans Forstmaier. Jetzt hat er ein Haus im 40 Kilometer entfernten Gars am Inn gekauft. Die Kinder werden sich neue Trachten- und Fußballvereine suchen müssen, und die drei jüngsten die Schule wechseln.

Hans Forstmaier hat die Hände auf die Tischplatte gestemmt. Er habe sich das anders vorgestellt, sagt er, damals, als er mit seinem Vater zum ersten Mal aufs Feld rausdurfte. Aus dem Stall dröhnt dumpfes Muhen. Ein blonder Bursche mit Schubkarre kommt hinter der Stadeltür hervorgelaufen. "Fertig, Papa!", ruft der achtjährige Maxi und hüpft ins Haus. "Meine Buben helfen gern mit", sagt Hans Forstmaier. So wie er es früher getan hat. Ein gequältes Lächeln huscht über sein Gesicht. "Ich will mir gar nicht vorstellen, was in einer Woche sein wird", sagt er. Was passiert mit den Maschinen? Den Hühnern? Den Schweinen? Den 50 Rindern und 80 Kälbern? Der Bauer hat sein Gesicht in den Händen vergraben. Dann steht er auf und verschwindet im Stall.

Anmerkung der Redaktion: Bislang hat Süddeutsche.de vom Oberhuber-Hof und der Familie Oberhuber berichtet. Da ihre wahren Namen durch das öffentliche Interesse und die zunehmende Berichterstattung in anderen Medien hinreichend bekannt sind, berichten auch wir jetzt nicht mehr unter Pseudonym.

© SZ vom 25.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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