Energiewende und die Folgen:Paradies dank Kernkraft

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Bürgermeister Fritz Wittmann vor einem der Atommeiler in Essenbach. (Foto: Marco Einfeldt)

Koi-Karpfen in Spanferkel-Größe, echte Palmen und dazu die beiden Atommeiler Isar I und Isar II: Die Gemeinde Essenbach leidet mitnichten unter ihren Kernkraftwerken, sondern kann sich deswegen so einiges leisten. Doch die Energiewende bedroht nun den Luxus der Kommune.

Von Wolfgang Wittl

Wer glaubt, von Essenbachs Vorzügen schon alles gesehen zu haben, der täuscht sich. "Was, Sie kennen unseren Wintergarten nicht?", staunt Bürgermeister Fritz Wittmann. Also nichts wie rein in die Sport- und Kulturarena namens Eskara, die mit dem Begriff Mehrzweckhalle völlig unzureichend beschrieben wäre.

Die Eskara hat zweierlei Tribünen, ihre Ausstattung ist aus erlesenstem Material, bei den legendären Ü-30-Partys tummeln sich 4000 Menschen auf sieben verschiedenen Ebenen. Und weil so eine Halle auch einen Ort der Ruhe und ein vernünftiges Raumklima braucht, führt eine Treppe in den Keller. Die Palmen ("die sind fei echt") könnten ebenso an einem Karibikstrand stehen, hinter einem Geländer blubbert ein Teich, 20 Koi-Karpfen in Spanferkel-Größe verlangen nach Futter. "Hier kann man's aushalten, oder?", sagt Wittmann.

Essenbach bei Landshut, eine Marktgemeinde mit 31 Ortsteilen und 11.300 Einwohnern. Bekannt geworden ist der Ort vor allem durch das Kernkraftwerk Isar I und II. Wer auf der Autobahn 92 vorbeifährt, sieht einen stets vor sich hin dampfenden Turm. Sein Vorgänger habe immer gesagt: "Wenn schon ein Atomkraftwerk, dann lieber auf eigenem Gemeindegrund als knapp daneben", sagt Wittmann, 63. Er teilt diese Meinung.

Breitbandausbau - macht Essenbach einfach selbst

Das Atomkraftwerk im Ortsteil Ohu hat Essenbach nicht nur Diskussionen über Sicherheitsrisiken und Strahlenwerte beschert, sondern einen Wohlstand, wie ihn nur wenige Gemeinden vorweisen können. Gewerbesteuern in dreistelliger Millionenhöhe hat die Kommune dank der Atomkraftwerke bislang eingenommen, genau könne man das nicht sagen.

Aussagekräftiger ist wohl die Liste der Investitionen allein in Wittmanns 21-jähriger Amtszeit: als da wären die Multifunktionshalle Eskara, zwei Kindergärten, eine Krippe, fünf Feuerwehrhäuser, eine Musikschule, eine zwei Kilometer lange Fotovoltaikanlage und diverse Sanierungen. Weil die Eskara so gut ausgelastet sei, wird jetzt eine Zweifachturnhalle gebaut. Ein neuer Hort soll ebenfalls 2014 fertig werden. Außerdem unterhält die Gemeinde zwei Freibäder, eine VHS, ein archäologisches Museum, zwei Büchereien und vier Fußballanlagen.

Der neueste Clou: Weil der Freistaat nach Wittmanns Ansicht viel zu langsam mit dem Breitbandausbau vorankommt, hat er die Sache selbst in die Hand genommen. In Eigenregie lässt die Gemeinde bis Ende nächsten Jahres 150 Kilometer Glasfaserleitungen verlegen, die Kosten von geschätzt 17 Millionen Euro trägt sie selbst. Vielleicht wird das Projekt sogar noch teurer, räumt der Bürgermeister ein. Trotzdem zweifelt er nicht an der Notwendigkeit: "Wir machen das ja nicht, weil wir Geld ausgeben wollen, sondern weil wir das für wichtig halten." Schnelles Internet gehöre heute zur Grundversorgung wie Trinkwasser und Abfallbeseitigung. Dennoch: 17 Millionen? "Wir sind in der glücklichen Lage, das aus Rücklagen zu bestreiten." Mit Luxus habe das nichts zu tun.

Es gibt Menschen, die sehen das anders. Sogar in Essenbach. Im Gemeinderat werden mitunter harte Diskussionen geführt, ob mit falschen Zahlen operiert und Geld verbrannt werde. "Es fehlt uns an nichts", gibt Winfried Wiesnet (ÖDP) zu. Doch ob es das wirklich alles brauche, sei eine andere Frage. Die Zweifachturnhalle etwa sei überflüssig, wenn Schulen und Vereine in der Eskara Vorrang bekommen würden. Von einem Zweckbau könne wieder einmal keine Rede sein. Der Breitbandausbau sei zwar zu befürworten, hätte mit einer Kombination aus Glasfaserverlegung und Kupfernutzung jedoch auch für knapp zwei Millionen Euro gestemmt werden können.

Bürgermeister Wittmann (Freie Wähler) kennt diese Vorhaltungen, er spricht lieber von vorausschauender Politik. Immerhin dürfe sich die Gemeinde dank der Zahlungen des Netzbetreibers in schlechteren Zeiten über garantierte Einnahmen freuen. "Außerdem haben wir eine gewisse Mentalität beim Bauen - gescheit oder gar nicht." Dass er sich dadurch angreifbar macht, nimmt Wittmann in Kauf. Der Baubeginn der 13 Millionen Euro teuren Eskara etwa erfolgte ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als die Gemeinde sieben Millionen Euro Steuern zurückzahlen musste.

Gold glänzendes Selbstverständnis

Und dann ist da die Fassade der Musikschule, die einiges über das Selbstverständnis aussagt. In Gold glänzt ein großer Teil des Gebäudes, sich innen fortsetzend bis zum Konzertsaal. Erbaut wurde es während der Wirtschaftskrise. Gold sei die beste Wertanlage, scherzte Wittmann. Tatsächlich handelt es sich um eine Messing-Verkleidung, die Farbe der Blechblasinstrumente sollte architektonisch aufgegriffen werden. "Das i-Tüpfelchen", eine Musikschule dürfe sich abheben. Mehrkosten: 80.000 Euro.

"Wir versuchen, das Geld an unsere Bevölkerung zurückzugeben", sagt der Bürgermeister. Die Gebühren sind niedrig, die Förderung der Vereine ist hoch, Busse zu den Kindergärten fahren kostenlos. Wittmann weiß jedoch, dass es nicht immer so weitergehen wird. Isar I wurde 2011 abgeschaltet, Isar II soll 2022 folgen. Bereits seit zwei Jahren bezieht Essenbach von Eon keine Gewerbesteuereinnahmen mehr. Wittmann rechnet damit, dass es so bleibt. Den Unterhalt der Infrastruktur werde sich Essenbach auch so leisten können, "aber wir müssen sicher unsere Ambitionen zurückfahren". Der Bürgermeister ist überzeugt: Er übergibt eine intakte Gemeinde, wenn er 2014 nicht mehr zur Wahl antritt.

Und damit kein falscher Eindruck entsteht: Auch Wittmann weiß, was Verzicht bedeutet. Der Koi, der ihm ursprünglich vorschwebte, hätte 7000 Euro das Stück gekostet. Da nahm er dann doch lieber die günstigere Züchtung.

© SZ vom 12.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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