Energiewende:Ausbau der Windkraft kommt zum Stillstand

Sonnenuntergang

Mehr als 1000 Windräder stehen inzwischen in Bayern. Potenzielle Standorte gäbe es noch, doch die Gesetzeslage macht viele Bauprojekte unmöglich.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)
  • Im ersten Halbjahr 2016 sind 65 Windräder im Freistaat aufgestellt worden.
  • Sie wurden allerdings in der Zeit vor Seehofers 10 H-Gesetz genehmigt. Das schreibt fest, dass ein Windrad mindestens das Zehnfache der Höhe als Abstand zum nächsten Ort haben muss.
  • Die Landtagsopposition befürchtet, dass mit Neuerungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz 2017 noch weniger Anreiz besteht, Windräder zu bauen.

Von Christian Sebald, Neumarkt/Oberpfalz

Auf den ersten Blick sind die Zahlen gar nicht so schlecht: 65 Windräder sind im ersten Halbjahr 2016 in Bayern aufgestellt worden. Damit ist endlich die Tausender-Marke geknackt worden - laut Branchen-Statistik drehen sich 1002 Windräder im Freistaat. "Aber das ist nur der erste Blick", sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Stümpfig. "Die neuen Windräder stammen alle noch aus der Zeit vor Seehofers Abstandsgesetz."

Fakt ist für Stümpfig, aber auch für die SPD und die Freien Wähler: Der Ausbau der Windkraft in Bayern ist praktisch zum Stillstand gekommen. In der Windkraft-Branche sehen sie das nicht anders: "2017, 2018, 2019 wird es sicher jeweils ein paar Projekte geben", sagt Raimund Kamm, der Vorsitzende des bayerischen Windenergie-Verbands. "Aber angesichts der Möglichkeiten der Windkraft hier sind das viel zu wenige."

Es gibt zwei Gründe für den Pessimismus des Verbandschefs Kamm und der Landtagsopposition: Der eine ist Seehofers 10 H-Gesetz vom November 2014, also die Vorgabe, dass der Abstand zwischen einem neuen Windrad und der nächsten Wohnsiedlung das Zehnfache der Anlagen-Höhe betragen muss. Bei modernen Windrädern sind das wenigstens zwei Kilometer. Seehofer hatte das 10 H-Gesetz nach wütenden Protesten gegen den Ausbau der Windkraft vor allem in Unterfranken durchgeboxt. Der andere Grund sind die Verschlechterungen, die das EEG ab 2017 bringt. Sie machen es der Windkraft in Bayern noch einmal schwerer, als sie es durch 10 H eh schon hat.

Auch der Windkraft-Pionier Günter Beermann richtet sich auf magere Jahre ein. "Wir waren so froh, als die CSU nach dem Gau von Fukushima das Potenzial der Windkraft erkannt hat", sagt der Ingenieur. "Dass es so schnell wieder vorbei ist, haben wir nicht erwartet." Selbst Johann Bögl vom gleichnamigen Neumarkter Baukonzern macht keinen Hehl aus seinem Frust. Bögl zählt zu den führenden Herstellern von Windrad-Türmen. "Wir sind sehr enttäuscht über den Weg der Staatsregierung", sagt er und spricht von einer "flächigen Flaute der Windenergie in Bayern". Etliche Projektbüros haben ihre Aktivitäten schon anderswohin verlegt und die bayerischen Büros geschlossen.

Aber die Branche, die immerhin 12 300 Arbeitsplätze im Freistaat zählt, will nicht klein beigeben. Im Gegenteil. Viele Ingenieure, Planer und sogar der eine oder andere Kommunalpolitiker gehen fest davon aus, dass die Windkraft der Stromlieferant der Zukunft sein wird, auch in Bayern. Auf dem Windenergietag, dem ersten Branchentreff im Freistaat seit Seehofers 10 H-Gesetz, der jetzt in Neumarkt in der Oberpfalz stattfand, gab es sogar eine trotzige "Jetzt-erst-recht"-Stimmung. "Der Windkraft gehört die Zukunft", sagt auch Verbandschef Kamm. "Voraussichtlich haben wir dieses Jahr erstmals mehr Windstrom als Atomstrom in Deutschland." Und mit Kosten zwischen fünf und neun Cent je Kilowattstunde sei Windstrom schon jetzt sehr viel günstiger als Strom aus neuen Gaskraftwerken.

Auf dem Neumarkter Branchentreff priesen die Windturbinen-Hersteller denn auch ihre Zukunftstechnologien - darunter eine Kombination aus Windrädern und Pumpspeicher, die Windstrom speicherbar macht. In einem juristischen Fachvortrag wurden Bürgermeister und Gemeinderäte regelrecht ermuntert, Seehofers 10 H-Gesetz zu unterlaufen. Und Rupert Monn, Bürgermeister aus der 8000-Einwohner-Gemeinde Berg am Starnberger See, berichtete, wie man den Bau von vier Windrädern selbst gegen härteste Widerstände möglich machen kann - indem man offen informiert und interessierte Ortsansässige am Ertrag der Anlagen finanziell beteiligt.

Die Realität ist freilich eine andere: Nur 43 Anträge auf Genehmigung eines neuen Windrads zählten die bayerischen Landratsämter in den ersten drei Quartalen 2016. Im Vergleichszeitraum 2013 - kurz vor dem Höhepunkt des bayerischen Windkraft-Strohfeuers also - waren es 239. Im vierten Quartal 2013 schnellte die Zahl sogar auf 161, den bisherigen Rekord. "Das Ernüchternde an den 43 Anträgen 2016 ist aber nicht nur die geringe Zahl", sagt der Grünen-Politiker Stümpfig. "Sondern, dass die meisten von ihnen gar keine neuen Projekte betreffen, sie beziehen sich auf Planungen vor Seehofers 10 H und konnten erst jetzt eingereicht werden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: