So hat sich Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) seinen "Neustart der Energiewende in Bayern" bestimmt nicht vorgestellt, als er ihn vor ein paar Tagen ausgerufen hat. Von allen Seiten hagelt es heftige Kritik. Das Ungewöhnliche daran ist, dass sich in ihrem Verriss sogar Verbände und Politiker einig sind, die für gewöhnlich nicht Seit an Seit stehen: der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) und die Grünen zum Beispiel, der Gemeindetag und die SPD oder der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) und der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Das größte Ärgernis für alle ist Aiwangers unbeirrtes Festhalten an der Überzeugung, dass zumindest eine der zwei Stromautobahnen überflüssig sei. Sie werden im Zuge der Energiewende errichtet und sollen einmal Unmengen Windstrom aus Norddeutschland nach Süddeutschland transportieren. Zwar sind der SüdLink und der SuedOstLink, wie sie offiziell heißen, längst in Gesetz gegossen. Und die Bundesnetzagentur, der Netzbetreiber Tennet und alle namhaften Energieexperten landauf landab lassen keinen Zweifel daran, dass sie für das Gelingen der Energiewende notwendig sind. Aber Aiwanger und seine Freien Wähler, die sich seit jeher an jede Bürgerinitiative gegen den Netzausbau drangehängt haben, machen weiter Stimmung gehen die Stromautobahnen. So sagte Aiwanger unlängst. "Die Trassen sind längst noch nicht gebaut, das ist für mich alles andere als Versorgungssicherheit. Wir müssen ab sofort alles tun, um mehr Energie in Bayern zu erzeugen."
Für den BIHK ist Aiwangers Position ein Unding. "Seit Jahren diskutieren wir über die Stromtrassen", schimpft BIHK-Geschäftsführer Peter Driessen. "Aber ohne neue Stromtrassen wird die Energiewende nicht funktionieren." Der Grünen-Fraktionschef im Landtag, Ludwig Hartmann, sieht die Sache genauso. "Aiwanger hat offenbar eine fast pathologische Angst vor dem Ausbau unseres Leitungsnetzes", sagt er. "So werden wir die ökologische Energiewende nicht hinbekommen." Der Gemeindetagschef und Abensberger Bürgermeister Uwe Brandl (CSU) warnt: "Die getroffenen Kompromisse zu den Stromtrassen sollte man nicht in Frage stellen. Wenn das Paket aufgeschnürt wird, werden weder die Ziele erreicht, noch wird das Vertrauen der Bürger und Investoren gewonnen."
Planungssicherheit erwartet sich auch die SPD-Abgeordnete Annette Karl. "Aiwanger hat jetzt die Verantwortung für das Gelingen der Energiewende", sagt sie. "Er muss einen verlässlichen Rahmen schaffen, und in die Zukunft gerichtet arbeiten, statt Debatten der Vergangenheit neu zu führen." Aiwangers unverhohlene Ablehnung der Stromautobahnen mache den Eindruck, "dass er aber überhaupt keinen Plan hat". Der VBEW-Vorsitzende und Chef der Stadtwerke in Eichstätt, Wolfgang Brandl, forderte schon auf Aiwangers Energiegipfel eindringlich, "nicht schon wieder den Bau von Stromleitungen ganz egal auf welcher Spannungsebene und damit auch das Ergebnis eines erst vor drei Jahren intensiv geführten Energiedialogs in Frage zu stellen". Wer dies trotzdem tue, "muss sich im Klaren sein, dass er damit die Stromwende konzeptionell um viele Jahre zurückwerfen wird".
Der BEE-Vorsitzende Raimund Kamm nennt den Neubau von Gaskraftwerken, die Aiwanger als Alternative zu den Stromautobahnen wieder ins Spiel gebracht hat, "unverantwortlich, klimaschädlich und teuer". Würde man tatsächlich neue Gaskraftwerke mit einer Leistung von 4000 Megawatt errichten und die Anlagen 6000 Stunden im Jahr laufen lassen, dann stiegen die Emissionen des Klimagases CO₂ in Bayern auf einen Schlag um zehn Millionen Tonnen im Jahr an, sagt Kamm. Das würde alle Anstrengungen für den Klimaschutz, welche die schwarz-orange Staatsregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbar hat, zunichte machen. "Was wir jetzt endlich brauchen", sagt Kamm, "ist ein einsichtiger und tatkräftiger Minister."