Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik in Bayern:Seehofers Wende bei der Wende

Lesezeit: 4 min

Erst plante Horst Seehofer ein Land der Windräder, der Pumpspeicherwerke und der neuen Stromnetze. Jetzt wütet der Regierungschef gegen Verspargelung und Stromtrassen - und stürzt Bayern ins energiepolitische Chaos.

Von Frank Müller und Mike Szymanski

Nicht einmal drei Jahre ist es her, da konnte es Horst Seehofer gar nicht schnell genug gehen mit der Energiewende. Mit einer Blut-Schweiß-Tränen-Rede stimmte der Ministerpräsident die Bayern bei einer Regierungserklärung im Landtag darauf ein. Sein Auftritt war bemerkenswert: "Der Umstieg wird von uns allen große Anstrengungen verlangen", sagte der Regierungschef. "Die Menschen in Bayern wissen: Zur Energiewende gehören der Ausbau von Netzen, von Fotovoltaik und Windenergie, von Biomasse und Wasserkraft und der Bau neuer Pumpspeicherkraftwerke." Das war im Juni 2011. Und heute?

Heute hört sich der Energiewende-Seehofer am Donnerstag so an: Er werde "erbitterten Widerstand" gegen neue Stromautobahnen leisten, von denen noch keiner wisse, ob Bayern sie überhaupt brauche. Anfang Januar sagte er: Mit ihm werde es auch keinen Fonds zur Finanzierung der Energiewende geben. Vor mehr als einem halben Jahr begann er damit, vor einer "Verspargelung" seines schönen Bayern durch Windräder zu warnen. Und Pumpspeicherkraftwerke? Vor zwei Jahren fand er solche Bauwerke bei einem Besuch in der Schweizer Bergwelt noch phantastisch. Vor drei Wochen bei der CSU-Klausur in Kreuth wischte er sie mit einer abfälligen Handbewegung beiseite. Auch sie soll es nun nicht geben, wenn die Bürger sie nicht wollten. Und danach sieht es aus.

Seehofer hat die Wende in der Wende eingeleitet. Er ist zum Neinsager geworden. Und je häufiger Seehofer Nein sagt, desto stärker drängt sich die Frage auf: Will er überhaupt noch die Energiewende? Und: Hört er eigentlich noch auf all die Experten, ob sie im Kabinett sitzen oder in den Verbänden, die sich damit auskennen müssten? 2011 war noch viel von "wir" die rede. Heute sagt er oft nur noch: "ich". Die Energiepolitik wird in seiner Staatskanzlei gemacht, Wirtschaftsministerin Ilse Aigner kann nur nacharbeiten. Die Stromautobahnen sind der jüngste Beleg.

Konkret geht es um die 450 Kilometer lange Gleichstrompassage, die von Halle in Sachsen-Anhalt bis nach Meitingen bei Augsburg führen soll, also "quer" durch sein Bayern, wie sich Seehofer empört. Am Mittwoch hat Aigners Haus die Trasse noch für "nötig" erklärt, um Bayern nach dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke mit Strom zu versorgen. Am Planungsverfahren des Netzbetreibers Amprion hatte das Ministerium auch nichts auszusetzen: "Das Unternehmen Amprion hat sehr große Anstrengungen unternommen, alle Beteiligen und Betroffenen stets transparent und umgehend über alle Schritte, Verfahren und Vorschläge zu informieren."

Am Donnerstag galt das alles schon nicht mehr. Nachdem sich die Landräte der CSU bei Seehofer beschwert und erklärt hatten, dass sie die Trasse ablehnen, torpedierte Seehofer das Vorhaben. "Erst müssen alle Belange der Stromproduktion in Bayern gelöst werden, dann kann man - wenn überhaupt notwendig - über zusätzliche Leitungen reden." Und plötzlich tun in der Staatsregierung alle so, als seien die Planungen neu und Bayern vom Netzbetreiber überrumpelt worden. "Ich habe großes Verständnis für den Unmut der Bevölkerung über den bekannt gewordenen Verlauf der Stromtrasse", sagt Aigner jetzt.

Bei der Bundesnetzagentur weist eine Sprecherin darauf hin, dass einer von Aigners ranghohen Mitarbeitern Vorsitzender eines Beratergremiums ist. "Bayern war immer aktiv bei den Planungen beteiligt", sagt die Sprecherin. Als Berlin die umstrittene Trasse im Bundesbedarfsplangesetz beschlossen hat, regte sich ebenfalls kein Widerstand aus Bayern. Man muss nur mit Martin Zeil (FDP) sprechen, der bis zum vergangenen September als Wirtschaftsminister für die Energiewende zuständig war. "Man kann jetzt nicht so tun, als ob man davon nichts wüsste, denn der Bundesnetzplan ist mit Zustimmung der Länder verabschiedet worden."

Zeil hatte Seehofer stets vor einem übereilten Ausstieg aus der Atomkraft gewarnt. Aber Seehofer wollte der Schnellste sein. Am Ende nahm man sich das Jahr 2022 zum Ziel. Spätestens. "Die ganze Grundproblematik fällt natürlich der Politik jetzt auf die Füße", sagt Zeil. Er meint das Tempo. Er meint aber auch Seehofer. "Seehofer war ja damals wie beseelt", erinnert sich Zeil. Bei Windrädern habe er ihn mühevoll auf "nur" 1500 herunterverhandeln können.

Die Energiewende war nie eine Herzensangelegenheit der CSU, aber Seehofer wollte sie anfangs unbedingt. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hatte er seine Partei 2011 auf Ausstiegskurs gezwungen. Im Nachbarland Baden-Württemberg war die CDU abgewählt worden. Für Seehofer der GAU nach dem GAU. Die Grünen kamen dort an die Macht. An die Vorstandssitzung der CSU im Mai 2011 in Andechs erinnern sich noch viele Spitzenpolitiker. Ein Gewitter entlud sich über dem Heiligen Berg, Blitze zuckten zur Erde. Als ob die CSU erweckt wurde. Danach gab sie vor, eine neue Partei zu sein.

Seehofer stellte sich vor die Kameras und erklärte, was er im Kleinen und im Großen vorhatte: "Ich möchte mit meinem Ferienhaus so schnell wie möglich Selbstversorger werden" - ein Vorbild für das ganze Land. Es folgte eine Regierungserklärung, in der Seehofer die Energiewende zu seinem Projekt machte. Es war der Geist, in dem der damalige Umweltminister Markus Söder bemerken durfte: "Im Übrigen finde ich nicht, dass Windräder die Landschaft verschandeln. Ein Windrad ist gegenüber einem Kernkraftwerk eine deutliche optische Verbesserung."

Heute traut sich niemand mehr im Regierungsteam, solche Sätze zu sagen. Seehofer ist halt Seehofer. Ex-Energieminister Zeil beschreibt das so: "Sobald zwei Bürgerinitiativen bei ihm sind, verfällt er ins andere Extrem." Und die Bürgerinitiativen meldeten sich im Wahljahr bei Seehofer. Seine CSU hatte sich in Umfragen längst stabilisiert. Seehofer wurde zum Neinsager. Die großen Fragen sind heute völlig unbeantwortet. Wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, droht Bayern der Engpass, davor warnt auch Energieministerin Aigner. Praktisch alles, was zum Ersatz vorgesehen war - Gaskraftwerke, Stromnetze, Wasserkraft als Energiespeicher - steht noch immer am Nullpunkt.

Inzwischen ärgert das auch die Ersten in der nur noch von der CSU gestellten Regierungsmannschaft. "Natürlich hatte Zeil recht", sagt ein Mitglied. Ein weiteres bemängelt das "chaotische Bild", das der Freistaat in der Energiepolitik abgebe. Nur Seehofer sieht das anders. Er kontert dann, die Bevölkerung sei mit dem Stand der Energiewende "hoch zufrieden". Was andere denken, ist ihm egal. Zu Journalisten sagte er am Dienstag, das sei "völlig wurscht, ehrlich. Für die Entwicklung Bayerns ist das völlig wurscht".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1877189
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.02.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.