Nicht einmal drei Jahre ist es her, da konnte es Horst Seehofer gar nicht schnell genug gehen mit der Energiewende. Mit einer Blut-Schweiß-Tränen-Rede stimmte der Ministerpräsident die Bayern bei einer Regierungserklärung im Landtag darauf ein. Sein Auftritt war bemerkenswert: "Der Umstieg wird von uns allen große Anstrengungen verlangen", sagte der Regierungschef. "Die Menschen in Bayern wissen: Zur Energiewende gehören der Ausbau von Netzen, von Fotovoltaik und Windenergie, von Biomasse und Wasserkraft und der Bau neuer Pumpspeicherkraftwerke." Das war im Juni 2011. Und heute?
Heute hört sich der Energiewende-Seehofer am Donnerstag so an: Er werde "erbitterten Widerstand" gegen neue Stromautobahnen leisten, von denen noch keiner wisse, ob Bayern sie überhaupt brauche. Anfang Januar sagte er: Mit ihm werde es auch keinen Fonds zur Finanzierung der Energiewende geben. Vor mehr als einem halben Jahr begann er damit, vor einer "Verspargelung" seines schönen Bayern durch Windräder zu warnen. Und Pumpspeicherkraftwerke? Vor zwei Jahren fand er solche Bauwerke bei einem Besuch in der Schweizer Bergwelt noch phantastisch. Vor drei Wochen bei der CSU-Klausur in Kreuth wischte er sie mit einer abfälligen Handbewegung beiseite. Auch sie soll es nun nicht geben, wenn die Bürger sie nicht wollten. Und danach sieht es aus.
Seehofer hat die Wende in der Wende eingeleitet. Er ist zum Neinsager geworden. Und je häufiger Seehofer Nein sagt, desto stärker drängt sich die Frage auf: Will er überhaupt noch die Energiewende? Und: Hört er eigentlich noch auf all die Experten, ob sie im Kabinett sitzen oder in den Verbänden, die sich damit auskennen müssten? 2011 war noch viel von "wir" die rede. Heute sagt er oft nur noch: "ich". Die Energiepolitik wird in seiner Staatskanzlei gemacht, Wirtschaftsministerin Ilse Aigner kann nur nacharbeiten. Die Stromautobahnen sind der jüngste Beleg.
Konkret geht es um die 450 Kilometer lange Gleichstrompassage, die von Halle in Sachsen-Anhalt bis nach Meitingen bei Augsburg führen soll, also "quer" durch sein Bayern, wie sich Seehofer empört. Am Mittwoch hat Aigners Haus die Trasse noch für "nötig" erklärt, um Bayern nach dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke mit Strom zu versorgen. Am Planungsverfahren des Netzbetreibers Amprion hatte das Ministerium auch nichts auszusetzen: "Das Unternehmen Amprion hat sehr große Anstrengungen unternommen, alle Beteiligen und Betroffenen stets transparent und umgehend über alle Schritte, Verfahren und Vorschläge zu informieren."
Am Donnerstag galt das alles schon nicht mehr. Nachdem sich die Landräte der CSU bei Seehofer beschwert und erklärt hatten, dass sie die Trasse ablehnen, torpedierte Seehofer das Vorhaben. "Erst müssen alle Belange der Stromproduktion in Bayern gelöst werden, dann kann man - wenn überhaupt notwendig - über zusätzliche Leitungen reden." Und plötzlich tun in der Staatsregierung alle so, als seien die Planungen neu und Bayern vom Netzbetreiber überrumpelt worden. "Ich habe großes Verständnis für den Unmut der Bevölkerung über den bekannt gewordenen Verlauf der Stromtrasse", sagt Aigner jetzt.