Süddeutsche Zeitung

Energie-Dialog in Bayern:Tendenz zur Monstertrasse

  • Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zieht ihre Energie-Zwischenbilanz. Dabei wird deutlich, dass der Freistaat zur Stromversorgung wenigstens eine neue Leitung braucht.
  • Im Februar soll die Debatte enden.
  • Aigner zeigt sich bemüht, die Debatte nicht auf die Leitungsfrage zu verengen. "Der Energiedialog ist kein Trassendialog."

Von Frank Müller

"Ergebnisoffen" heißt derzeit das Zauberwort im bayerischen Wirtschaftsministerium. Weil Ressortchefin Ilse Aigner auch den Hauch eines Anscheins vermeiden will, es gebe im laufenden Energie-Dialog irgendwelche Vorfestlegungen. Dass es aber auch im offensten Haus noch Regeln gibt, erfährt bei einer neuen Runde der Debatte am Donnerstag Stromleitungsgegner Hubert Galozy aus Mittelfranken. Er will vom Foyer seine Kaffeetasse mit in den Saal nehmen, aber das untersagt das Aufsichtspersonal. Statt Trassen geht es erst einmal um Tassen.

Doch es sind nicht Petitessen, die die Trassengegner immer mehr gegen Aigners Energiedebatte aufbringen. Sondern der Verdacht, dass man nur als eine Art Feigenblatt in einer offen scheinenden Debatte gedient hat, in der es am Ende doch auf den Bau der ungeliebten "Monstertrassen" hinauslaufen könnte. "Manchmal habe ich das Gefühl, das ist nur eine Alibiveranstaltung", sagt Galozy frustriert. Deswegen stelle sich die Frage, welchen Sinn die Teilnahme noch hat. Die Stimmung ist schlecht - wieder einmal wird klar, warum im Ministerium die Trassengegner nicht ohne Grund als die schwierigste Klientel der Debatte gelten.

"Wahrscheinlich brauchen wir irgendeine Stromtrasse"

Ihnen hatte andererseits die Staatsregierung selbst zuvor die größten Hoffnungen gemacht. Regierungschef Horst Seehofer selbst gab monatelang den größten aller Strommastbekämpfer und fuhr dabei ein Bündel schwerer Geschütze auf: landschaftszerstörend, energiepolitisch unsinnig, nur auf Kapitalrenditen ausgerichtet - mit solchen Argumenten schoss Seehofer gegen die Trassen. Inzwischen sind seine Signale moderater, bis hin zu jenem Satz, den er am Wochenende beim Nürnberger CSU-Parteitag sagte: "Wahrscheinlich brauchen wir irgendeine Stromtrasse."

Seehofers Aversionen waren der Hauptgrund, dass Wirtschaftsministerin Aigner der mehrmonatige Energiedialog zufiel. Die groß angelegte Debatte mit immerhin 700 relevanten Energieexperten im Freistaat sollte das von Seehofer verlangte Moratorium für neue Stromtrassen abfedern. Am Donnerstag war Halbzeit: Nach zahlreichen Sitzungen einzelner Arbeitsgruppen traf man sich wieder im ganz großen Kreis.

Auch dabei sendet Aigner wieder Signale aus, die auf deutlich weniger Leitungsphobie bei ihr im Vergleich zu Seehofer hindeuten. Keiner werde seine Position hundertprozentig durchsetzen, Kompromisse seien nötig, sagt sie. In der Praxis dürfte das bedeuten, dass es auf einen Mix verschiedener Lösungen hinausläuft, um den wegfallenden bayerischen Atomstrom zu ersetzen: kleine, dezentrale Stromerzeuger, große Kraftwerke, Energiesparprojekte - und eben Stromtrassen. Aigner zeigt sich bemüht, die Debatte nicht auf die Leitungsfrage zu verengen. "Der Energiedialog ist kein Trassendialog."

Dem Ziel, sich in dieser Frage nicht angreifbar zu machen, dient auch ein eher peinlicher Personalwechsel. Der frühere Erlanger Oberbürgermeister Siegfried Balleis gab die Leitung einer Arbeitsgruppe ab, weil er sich als Delegierter auf dem CSU-Parteitag für den Trassenausbau stark gemacht hatte. Aigner machte sehr klar, dass sie das für angebracht hält - ein Gebot der gewünschten ergebnisoffenen Debatte. Zwar wurde Balleis' Antrag aus Zeitgründen auf dem Parteitag gar nicht debattiert. Aber er versteht, dass sich die Leitungsgegner über die Konstellation aufgeregt hätten. "Wenn ich Trassengegner wäre, hätte ich vermutlich ähnlich argumentiert."

Ein Testlauf für die eigene Regierungsfähigkeit

Und noch eines macht Aigner deutlicher als bisher: dass die Energiedebatte im Februar zwar mit einem Ergebnis enden werde, aber: "Das wird keine Mehrheitsentscheidung sein, sondern eine Entscheidung der zuständigen bayerischen Ministerin." Bei der SPD stößt das umgehend auf Verärgerung. Aigner variiert diesen Satz gleich mehrmals, und lässt dabei die Journalisten noch zuhören, die für den Rest der Veranstaltung nicht im Saal sein dürfen. Weil sie schon dabei ist, dämpft Ilse Aigner die Erwartungen gleich noch weiter. Die Entscheidung über alle Energiepläne habe schließlich die Bundesregierung und dort sei schließlich nicht alles auf Bayern ausgerichtet. Das spürbare Heruntermoderieren gibt aus Aigners Sicht durchaus Sinn. Für die Vize-Ministerpräsidentin gilt ein erfolgreicher Abschluss der Energiedebatte als Testlauf für die eigene Regierungsfähigkeit. Da ist es besser, niedrige Erwartungen zu übertreffen, als zu hohe zu reißen.

Auch Seehofer schaut entsprechend genau auf Aigners Treiben, das ist schon mehrmals deutlich geworden. Er und das Kabinett müssen am Ende auch das Ergebnis absegnen. Erst auf dem Parteitag machte Seehofer in seiner Rede Aigner wieder Druck, mit einem seiner typischen Halbsätze. Er werde sich bis zum Februar in die Energiedebatte nicht einmischen - "und ich hoffe, ich muss mich auch dann nicht einmischen".

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SZ vom 19.12.2014/ahem
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