Ende für Geburtenstation:Zwiesler sterben aus

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Neugeborene auf einer Säuglingsstation. (Foto: DPA)

In Zwiesel werden zu wenige Kinder geboren, nun muss die letzte Geburtenstation im Landkreis Regen schließen. Auch in anderen Regionen Bayerns wird für Schwangere der Weg zum Kreißsaal immer weiter.

Von Wolfgang Wittl

Als Sylvia Stöckl vor sieben Jahren am Krankenhaus Zwiesel zu arbeiten begann, ging für sie ein Traum in Erfüllung. Hebamme, noch dazu in ihrer Heimat - das wollte sie schon immer werden. Stöckl hat daher lange mit sich gerungen, als sie am vergangenen Wochenende mit ihren Kolleginnen an die Öffentlichkeit ging. Mit einer halbseitigen Anzeige in der Lokalzeitung informierten die Hebammen die Bevölkerung, dass sie zum 1. Januar ihren Dienst in Zwiesel aufgeben werden. Der Landkreis Regen wird damit seine letzte Geburtenstation verlieren.

Regen ist nicht der erste Landkreis mit diesem Problem - und doch vermutlich Vorreiter einer bedenklichen Entwicklung. Laut Gesundheitsministerium kommen zwar bereits neun der 71 bayerischen Kreise ohne Geburtshilfe aus. Die meisten aber grenzen unmittelbar an kreisfreie Städte mit deren großen Kliniken an. In ländlichen Gebieten mit weiten Wegen zählen Geburtenstationen zur zentralen Daseinsvorsorge, Schließungen wie in Regen gehörten zur absoluten Ausnahme. Doch das wird sich ändern, befürchtet Cornelia Köstler. Sie sagt: "Die kleinen Kliniken werden ihre Geburtenabteilungen in den kommenden Jahren alle schließen."

Köstler hat diesen Schritt bereits hinter sich. Sie ist Geschäftsleiterin im Krankenhaus Karlstadt, Kreis Main-Spessart, dessen letzte Geburtenstation zum Jahresbeginn 2012 aufgab. Der Widerstand in der Bevölkerung war groß, doch an der Entscheidung sei nicht zu rütteln gewesen, sagt Köstler. Es fehlte schlicht an Geburten: zum einen wegen der allgemeinen demografischen Entwicklung, zum anderen weil immer mehr werdende Mütter ein Klinikum mit maximaler Versorgung vorziehen. Heute fahren daher fast alle Schwangeren aus Main-Spessart nach Aschaffenburg oder Würzburg. Weitere Auswirkungen? "Es wird halt kein Kind mehr zur Welt kommen, das von sich sagen kann, es wäre in diesem Landkreis geboren worden."

Die psychologische Komponente ist das eine, die infrastrukturelle Grundsicherung für einen Landkreis wie Regen das andere, sagt Christian Schmitz. Er kann Köstlers Beobachtung nur bestätigen: "Im Gesundheitssystem geht alles in Richtung Zentralisierung, alles ist auf größere Häuser ausgerichtet." Schmitz ist seit ein paar Wochen neuer Vorstand der Regener Kreiskliniken, die Schließung der Geburtenstation ist seine erste Bewährungsprobe. Allein durch die Grundversorgung, sagt Schmitz, könne ein Krankenhaus kein Geld mehr verdienen. Spezialisierte Abteilungen jedoch sind hauptsächlich in großen Häusern angesiedelt. Für Kliniken wie Zwiesel eine unaufhaltsame Spirale nach unten.

Gleichwohl ist man im Kreis Regen bereit, für seine Geburtshilfe viel Geld in die Hand zu nehmen: zusätzlich 100.000 Euro, trotz eines jährlichen Klinikdefizits von einer Million Euro. Man werde alles versuchen, die Station zu erhalten, sagt Landrat Michael Adam. Doch die Möglichkeiten sind begrenzt. "Uns fehlt die Perspektive", klagt Sylvia Stöckl, die Hebamme. Es mangele an allem: an Geburten, an Geld, am Rückhalt der Ärzte und der Bevölkerung, vor allem an Kolleginnen. Fünf Hebammen arbeiten in Zwiesel, jedoch nur noch drei in der Rufbereitschaft - zu wenig, um einen Schichtbetrieb aufrecht zu erhalten. "Wir kämpfen seit Jahren gegen Windmühlen, wir können nicht mehr", sagt Stöckl.

Das Dilemma begann 2009, als die Belegärzte ihren Vertrag mit der Klinik kündigten. Einige Gynäkologen verweisen ihre Patientinnen seitdem an andere Häuser, zum Unmut der Hebammen. 281 Entbindungen gab es vergangenes Jahr in Zwiesel, knapp 400 wären aus Sicht der Hebammen für einen wirtschaftlichen Betrieb nötig. Die Stadt Zwiesel bot diese Woche zwar 10.000 Euro Soforthilfe an, "sehr löblich", wie Stöckl findet, "aber dadurch wird das Problem auch nicht gelöst." Von einem Krisengespräch am Donnerstag erwartete sie sich nichts. Aufgeben will die Klinikleitung nicht. "Wir brauchen einen sinnvollen Neustart mit allen Beteiligten", sagt Vorstand Schmitz. Vielleicht schon zum 1. April.

Sylvia Stöckl ist skeptisch, ob sich die Geburtenstation wiederbeleben lässt. Seit dem Wochenende habe sie Angebote von Kliniken aus ganz Bayern erhalten, die sie gerne als Hebamme einstellen wollten. "Der Mangel betrifft ganz Deutschland", sagt sie, "doch das hat die Politik nicht kapiert." Lokalpolitiker wünschen sich bereits strukturpolitische Änderungen: Kassen sollten für eine Geburt im Bayerischen Wald mehr zahlen als etwa in München.

Wie schwer es ist, eine Hebamme nach Zwiesel zu lotsen, weiß die Klinikleitung nur zu gut. Auf eine Anzeige in einer Fachzeitschrift hin kam keine einzige Rückmeldung. Wer dem Krankenhaus eine Hebamme vermitteln kann, bekommt 3000 Euro Provision. Doch nicht mal ein monatlicher Zuschuss von 2500 Euro pro Hebamme vermochte Stöckl zu halten. Mit ihr kündigten zwei weitere Kolleginnen. Eine andere ist schwanger, die einzig verbliebene arbeitet nicht im Schichtbetrieb. Sollte die Gesamtkonstellation stimmen - sie wäre die Erste, die freudig nach Zwiesel zurückkehrte, sagt Stöckl. Zunächst aber wird sie am 1. Januar in Freyung ihre neue Stelle antreten.

© SZ vom 20.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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