Ende der König-Ludwig-Ausstellung:Ausgeträumt

Der Mythos König Ludwig II. wirkt wie nie: Die Ausstellung "Götterdämmerung" in Herrenchiemsee endet am Sonntag. Mit etwa 570.000 Besuchern hat sie neue Maßstäbe gesetzt.

Heiner Effern

Sein Tod bleibt ein Mysterium, da hilft auch die überdimensional groß abgebildete Tatortskizze nichts. Hut und Mantel lagen am Ufer, gestrichelte Linien zeigen die am nächsten Morgen am Seegrund noch sichtbaren Fußabdrücke. Auf den letzten Metern sind noch ein paar Schleifspuren eingezeichnet, bis zu der Stelle, an der man Ludwig II. tot im Starnberger See treibend gefunden hat. Wassertiefe 1,28 Meter, auch das ist penibel vermerkt.

Ausstellung Ludwig II. endet

"Er wirkt wie ein Spiegel für die Sehnsüchte der Leute": Ausstellungsmacher Richard Loibl über König Ludwig.

(Foto: dpa)

Ging der König im Irrsinn ins Wasser? Wurde er in den Tod getrieben oder gar erschossen? Die Besuchergruppe steht rätselnd vor der Rekonstruktion seiner letzten Schritte. Warum man denn nicht einfach den Leichnam ausgrabe, fragt einer. Das mag die Familie nicht, sagt die Führerin. Und nach einer kurzen Pause: "Egal. Er war tot, und jetzt ist er ein Mythos."

Das gilt 125 Jahre nach seinem Tod am 13. Juni 1886 mehr denn je. Etwa 570.000 Besucher ließen sich vom Leben und Sterben des Königs in das Schloss auf Herrenchiemsee locken.

Die "Götterdämmerung" genannte Landesausstellung, die am Sonntag endet, machte er damit zur erfolgreichsten, die es je in Bayern gegeben hat. Seit langem, wenn überhaupt jemals, kam keine historische Ausstellung mehr den 670.000 Besuchern der Stauffer-Schau in Stuttgart so nahe, die seit 1977 als inoffizieller Rekordhalter in Deutschland gilt.

"König Ludwig ist so modern wie nie zuvor. Er hat sich radikal von der Gegenwart verabschiedet und ist in eine virtuelle Welt geflüchtet", sagt Richard Loibl, Leiter des Hauses der bayerischen Geschichte, das die Landesausstellung verantwortet. Loibl setzte die Idee durch, er war sich sicher, dass König Ludwig II. Besucher in Scharen anzieht. "Er wirkt wie ein Spiegel für die Sehnsüchte der Leute, jeder sieht sein Bild von ihm, wenn er hineinschaut." Peter Hattenkofer kann das nach 22 Wochen als Ausstellungsführer nur bestätigen. Zwei sehr gegensätzliche Erfahrungen stellte er deshalb bei vielen Gästen fest. "Verwunderung über die Tatsachen und eine Verfestigung von Meinungen."

Das gilt für die Männergruppe aus München, die vor der Führung aufgrund ihres Namens irrtümlich für Anhänger eines Fußballclubs gehalten wurde. Doch dann wollten die Mitglieder detailliert wissen, wie es denn mit den männlichen Bekanntschaften Ludwigs so gelaufen sei. Ältere Frauen wollten dagegen Einzelheiten über die Damenbekanntschaften erfahren, wenigstens die Affäre mit der Sissi, die sei doch verbürgt? Nein? Aber man hat doch den Film gesehen. Na wenigstens steht am Eingang ein schmuckes Portrait von O. W. Fischer, dem berühmten Ludwig-Darsteller. Wieder nein? Ach so, Ludwig selbst, auf dem berühmten Krönungsgemälde von Ferdinand Piloty.

Die sehr seriöse Wagner-Gesellschaft aus Wien rieb sich dagegen an einem satirischen Film mit einem Dialog zwischen Ludwig und Richard Wagner, gespielt und getextet vom Kabarettisten Christoph Süß. Für die Ludwigstreuen stellte sich gar keine Frage, erschossen worden sei ihr Idol, das Nachthemd sei ja von einer Kugel durchlöchert gefunden worden. Er soll unter Mantel und Hut kein Nachthemd getragen haben? Geschenkt. "Die Breißn warns."

Noch rasch Audio-Guide für Franzosen nachproduziert

Was bleibt nach der Landesausstellung? Das Gefühl, ganz nah dran gewesen zu sein, sagt Adalbert Schlemmer. "Ich habe mich als Student schon sehr interessiert für Ludwig, ich kenne sein Leben in und auswendig. Hier war man mittendrin, man hat die Schuhe gesehen, die er getragen hat und all diese Dinge." Der König schaffe es immerhin, dass er sich als gebürtiger Franke hier den Altbayern nahe fühle. Frank Gernand fand die Aufteilung, die Reihenfolge der Themen "optimal. Eng ist es natürlich und so dunkel, aber das passt natürlich dazu." Zwei junge Frauen, noch keine 20, haben viel Neues erfahren, sie fanden es spannend, "wie die Lebensgeschichte Einfluss auf seine Bauwerke genommen hat".

Für das Haus der bayerischen Geschichte bleibt das Gefühl, den richtigen Riecher gehabt zu haben. "Alles hat gepasst: Das richtige Thema zur richtigen Zeit am richtigen Ort; eine gelungene Ausstellung und die Resonanz in den Medien", freut sich Chef Loibl. Nicht weniger zufrieden zeigt sich Finanzminister Georg Fahrenschon, oberster Schlossherr im Freistaat. "Einmal mehr stellte Ludwig II. seine ungeheure Popularität unter Beweis. Das unterstreicht erneut, dass sein Erbe für den ganzen Freistaat von unschätzbarem Wert ist."

Der Ausbau der bisher ungenutzten Räume für sechs Millionen Euro erwies sich als Gewinn, auch für die Zukunft. Beste Voraussetzungen für eine Verlängerung der Landesausstellung, möchte man meinen. "Die strikten Vorgaben der Leihgeber und der Restauratoren machen das unmöglich", muss der Historiker Loibl abblocken. Obwohl er natürlich weiß, dass solch ein Ausstellungsort einzigartig ist. "Ins Münchner Völkerkundemuseum wären vielleicht nur 400.000 gekommen."

Doch eine Insel als Ausstellungsort hat auch ihre Sondergesetze. Als erstes setzte sie eine eiserne Regel außer Kraft, die lautet: Schönwettertage sind schlechte Ausstellungstage. Je besser das Wetter, umso mehr Besucher kamen. Als zweites bewirkte sie, dass die Besucher-Statistik über die Mittagsstunden einen herben Ausschlag nach oben zeigte, den viele wenig amüsant fanden. Denn selbst die Frühaufsteher kamen wegen der Schifffahrt und des Fußmarsches zum Schloss oft erst so spät an, dass mittags die ohnehin engen Gänge verstopften. Da wurde auch das gelungene Lichtkonzept, passend zum Gemüt des Königs düster und voller Effekte wie in einer Ludwig-Grotte, gelegentlich zum Ärgernis, weil das Lesen von kleineren Schildern so fast unmöglich wurde. Und bei manchem soll sich gar Platzangst eingestellt haben.

Das schreckte aber Besucher keineswegs ab, auch internationale Gäste drängten in die Ausstellung. Die Italiener zeigten sich erstaunlich kühl und distanziert, sie schätzen offenbar mehr das schunkelnde Brauchtum auf dem Oktoberfest. Die Franzosen dagegen, deren Sonnenkönig samt Nachfolgern ja zumindest eine beträchtliche Teilschuld für den Bau der Königsschlösser trifft, überraschten: Sie gaben ihre Weigerung auf, ein Schloss in Bayern zu besuchen, das prunkvoller gebaut ist als das Original der Grande Nation. Für sie wurde schleunigst ein französischer Audio-Guide nachproduziert.

Die Besucher aus Asien überraschten gar nicht, sie bogen auf ihrem Europa-in-sieben-Tagen-Trip vor der Landesausstellung ab, um über die historische Badewanne möglichst schnell zum Ausgang zu kommen. Ob sie im Spiegelsaal den Mythos Ludwigs so stark spürten wie die Besucher der Landesausstellung, ist ihren Mienen nicht anzusehen. Aber davon lassen sich die aufklärerischen Ausstellungsmacher nicht irritieren. "Da heißt es demütig zu sein", sagt Historiker Loibl. "Der Mythos ist unzerstörbar."

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