Ende vom Oktoberfest 2010:Gemischte Gefühle

Es roch nach Bier, Mandeln und menschlichen Ausscheidungen. Die Jubiläumswiesn war ein Fest der Gegensätze. Sie hat alles geboten: strahlende Tage, Nostalgie pur - aber auch brutale Gewalt und viele sehr junge Betrunkene.

Christian Mayer

Es ist Montagmittag, ein strahlender Abschlusstag, und vor dem Eingang zur historischen Wiesn im Südteil des Festgeländes drängeln sich die Besucher: Schulkassen aus der Region, Trachtler aus ganz Bayern, Familien mit Kindern und viele Münchner, die es gerne etwas weniger grell und laut und voll haben. Mit nostalgischer Sehnsucht allein ist der Erfolg dieser einmaligen Veranstaltung nicht zu erklären, auch wenn hier die Wiesn wie ein zivilisierter Gegenentwurf zum Bierzeltwahnsinn wirkt - mit Pferderennbahn, historischen Fahrgeschäften und anderen charmanten Lustbarkeiten.

177. Oktoberfest -  Ausklang

Aus is'! Das Oktoberfest geht zu Ende - natürlich ist es auch am letzten Wiesntag voll.

(Foto: dpa)

Das alte München, das man noch von verblassten Schwarz-Weiß-Postkarten zu kennen glaubt, manifestiert sich etwa im Herzkasperlzelt, wo man Manns genug ist, sogar ein wenig Geist auf die Besucher einwirken zu lassen, etwa mit einem sehenswerten Kabarettprogramm.

Mehr als eine halbe Million Menschen haben die historische Wiesn besucht. Ein Erfolg, der auch Oberbürgermeister Christian Ude ein wenig nachdenklich stimmt. Das liegt nicht nur daran, dass Ude bei der abschließenden Pressekonferenz am Montag eine eindrucksvolle Unterschriftenliste mit 22.000 Unterzeichnern in die Hand gedrückt bekommt, mit der Forderung, die Stadt möge bitte alles dafür tun, dass diese Veranstaltung künftig ein fester Bestandteil des Oktoberfests werde.

Der Oberbürgermeister hat wohl selbst auch gespürt, wie die Wiesn sein könnte, wenn sie wieder etwas bayerischer, etwas münchnerischer wäre: So gelassen und entspannt würde man gerne öfter feiern auf der Theresienwiese. "Es ist schon beachtlich, wie viele ältere Münchner ein paar Euro Trinkgeld zahlen, damit sie einmal die Wiesn ohne textile Entgleisungen erleben können", sagt der OB, dem der Besuch in der ZDF-Sendung "Wetten, dass...?" in der Olympiahalle noch immer in den Knochen steckt: Eine vierstündige Trachtenshow mit reichlich Promi-Dirndl-Quark muss man erst mal verarbeiten.

Abgesehen von solchen gottschalkhaften Übertreibungen war es eine relativ normale Wiesn, nicht mehr und nicht weniger verrückt als das Oktoberfest der Jahre 2005 bis 2009, obwohl das Interesse der Medien vielleicht noch nie so extrem war wie im Jubiläumsjahr.

Man kann sich zwar völlig zu Recht darüber echauffieren, dass vor allem an den Samstagen ein Besuch auf dem Oktoberfest alptraumhafte Züge annimmt, weil man ständig Gefahr läuft, im Strudel der Massen mitgerissen zu werden, ohne jemals ein Bierzelt oder ein Fahrgeschäft von innen zu sehen. Aber auch dieser Ansturm am Wochenende ist kein wirklich neues Phänomen - ebenso wenig wie die reflexartige Antwort der Stadt, man möge doch bitte die Mittagswiesn unter der Woche nutzen, weil man dort als Einheimischer noch bequem einen Platz im Zelt finde.

Plastikgefäß statt Maßkrug?

Diese Dauerempfehlung scheint kaum zu fruchten: Es sind ja gerade junge Menschen aus München und der Region, die auch am Wochenende ihren Spaß auf dem Oktoberfest erzwingen wollen und oft im Rausch sämtliche Hemmungen verlieren; Italiener, Australier und Russen machen sich zwar auch lautstark bemerkbar, sind aber zahlenmäßig eindeutig in der Minderheit.

Die Wiesn lebt nun mal von den Gegensätzen, sie ist mal schön, mal schrecklich, je nach Tageszeit, Wochentag und Standpunkt des mehr oder weniger nüchternen Betrachters. Die Wiesn riecht nach Bier und Fleisch, nach gebrannten Mandeln, Magenbrot, Pferdeäpfeln und am Rande auch nach menschlichen Ausscheidungen, das ist oft nichts für feine Nasen. Wer will, kann das diesjährige Oktoberfest mit seinen Alkoholexzessen und Gewaltausbrüchen ziemlich ordinär und abstoßend finden; es reicht schon ein Blick auf die schweren Kriminaldelikte, auf Maßkrugschlägereien und Vergewaltigungen.

Alles ganz normal, alles im Limit, sagt dagegen die Polizei, die Statistik der vergangenen Jahre lasse nicht auf eine generelle Brutalisierung der Wiesn schließen. Dabei bleibt unerwähnt, dass viele Jugendliche oft schon betrunken auf dem Festgelände ankommen, das "Vorglühen" mit harten Getränken führt dazu, dass die große Party vorzeitig abgebrochen werden muss: Solche Gäste machen nur Ärger, das weiß jeder Festwirt, und deshalb haben die Ordner oft beide Hände voll zu tun.

Wer schon lange auf die Wiesn geht, reagiert immer etwas skeptisch auf die Feststellung, dass die Wiesn generell härter geworden sei. Auf jeden Fall aber ist sie besser für alle Eventualitäten gerüstet. Es hat Zeiten gegeben, da gab es auf dem Oktoberfest fünf, sechs Tote: Menschen, die im Suff ums Leben kamen - heute kümmern sich ganze Hundertschaften von BRK-Helfern und Notärzten um Betrunkene und Verletzte. "Leider sind bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung schlimme Vorfälle normal, man kann das nicht verhindern", sagt der Oberbürgermeister.

Ude hält daher auch wenig vom Vorschlag, den Wiesnkrug aus Glas durch ein Plastikgefäß zu ersetzen. "Dann sinkt nur die Hemmschwelle, diesen als Wurfgeschoss einzusetzen - zumal ein solcher Plastikkrug dem Bedürfnis nach dem Originalen, dem Traditionellen komplett widerspricht."

Bei Christian Ude überwiegt die Freude darüber, dass die von einigen Apokalyptikern prognostizierte Horror-Wiesn - mit sehr drastischen Besucherzahlen und massiven Sicherheitsproblemen - nicht eingetreten ist. Stattdessen überwiegen wohl die Bilder vom Sonnenschein über München, von einer Wiesn, die man mit etwas guten Willen gerade noch als friedlich bezeichnen kann.

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