Empfehlung von Gutachter:Vanessas Mörder könnte freikommen

Wie gefährlich ist Michael W.? Nach Ansicht eines Gutachters kann der Mann, der vor zehn Jahren die schlafende Vanessa in der Nähe von Augsburg tötete, unter strengen Auflagen aus der Haft entlassen werden. Doch Zweifel bleiben - nicht nur bei der Anklage.

Hans Holzhaider

Der im Februar 2003 wegen Mordes verurteilte Michael W. kann nach Ansicht des Psychologen Helmut Kury unter strengen Auflagen aus der Haft entlassen werden. Dies sei "auch unter Berücksichtigung der berechtigten Sicherheitsinteressen der Öffentlichkeit zu verantworten", sagte Kury am Montag vor dem Landgericht Augsburg.

Verkleidung und Tatwaffe des mutmaßlichen Mörders der zwölfjährigen Vanessa Gilg, 2003

Der Mörder trug eine Totenkopfmaske - wie im Horrorfilm.

(Foto: DPA)

Eine weitere Inhaftierung könne die Rückfallgefahr nur unwesentlich reduzieren. Er müsse allerdings "in aller Deutlichkeit" darauf hinweisen, dass es eine "absolute Sicherheit" nicht geben könne, dass Michael W. nicht rückfällig werde.

Der heute 29-jährige Michael W. hatte am Faschingsdienstag 2002 in Gersthofen bei Augsburg die in ihrem Kinderzimmer schlafende zwölfjährige Vanessa mit mehreren Messerstichen getötet, dabei trug er eine Totenkopf-Maske. Im Prozess vor dem Landgericht Augsburg hatte der Landgerichtsarzt Richard Gruber W. als voll schuldfähig beurteilt.

Das Gericht verurteilte den 19-Jährigen daraufhin zu zehn Jahren Jugendstrafe. Eine anschließende Sicherungsverwahrung für Straftäter, die nach Jugendrecht verurteilt wurden, war damals rechtlich noch nicht möglich.

Zwischenzeitlich schuf der Gesetzgeber zwar die Möglichkeit, auch nach Jugendrecht Verurteilte nachträglich in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Dies wurde jedoch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsrecht an strenge Voraussetzungen geknüpft.

Demnach darf die Sicherungsverwahrung nur verhängt werden, wenn von dem Gefangenen eine "hochgradige Gefahr" für schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten ausgeht und er unter einer psychischen Störung leidet.

W. hat während seiner Inhaftierung den Hauptschulabschluss nachgeholt und eine Malerlehre abgeschlossen. Seit August 2008 absolvierte er in Erlangen eine Sozialtherapie, die aus Gruppen- und Einzelgesprächen und Verhaltenstraining besteht.

Strenge Auflagen

Im September 2010 kam der in der Schweiz tätige Psychiater Frank Urbaniok zu der Einschätzung, dass W. in der Therapie zwar wertvolle Fortschritte gemacht habe. Dennoch bestehe eine erhebliche Rückfallgefahr. Es müsse mit einer weiteren Therapiedauer von fünf bis zehn Jahren gerechnet werden, um die Rückfallgefahr entscheidend zu verringern, schrieb Urbaniok.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg stellte daraufhin im Juni 2011 den Antrag, gegen Michael W. die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen. Darüber wird jetzt in Augsburg verhandelt. Das Gericht gab zwei weitere psychiatrische Gutachten in Auftrag, die beide ebenfalls negativ für Michael W. ausfielen.

Allerdings mussten sich beide Gutachter auf die Aktenlage stützen, weil W. sich ihnen gegenüber nicht äußern wollte. Erst der Psychologe Herbert Kury, der vom Gericht auf Antrag von W.s Verteidiger Adam Ahmed beauftragt wurde, konnte ausführliche Gespräche mit W. führen. Er erläuterte dem Gericht jetzt seine Einschätzung, dass eine Entlassung W.s zu verantworten sei.

Als günstig bewertet der Psychologe, dass W. "ausgesprochen therapiemotiviert" sei. Die Rückverlegung von der sozialtherapeutischen Anstalt in Erlangen nach Straubing habe er "überzeugend sehr bedauert", die Therapeutin aus Erlangen hatte als Zeugin berichtet, W. habe geweint, als man ihm diese Entscheidung mitteilte.

Das Bedauern über die Tat sei "weitgehend echt", sagte Kury, W. könne heute auch Emotionen deutlich besser erleben und nachempfinden als vor zehn Jahren. W. habe sich uneingeschränkt zu seiner Tat bekannt und auch nicht versucht, sie zu bagatellisieren. Mit Ausnahme der Tat habe er nie, auch nicht während der Haftzeit, eine erhebliche Gewalthandlung begangen und auch bei Angriffen nie zurückgeschlagen. Keiner der Gutachter habe eine psychische Störung oder eine sexuelle Abweichung festgestellt.

W. habe auch konkrete und realistische Vorstellungen von seinem Leben nach der Entlassung. "Es wird letztlich entscheidend an Herrn W. selbst und seinen Bemühungen liegen, ob er sein Leben in den Griff bekommt", sagte Kury.

Allerdings hält Kury strenge Auflagen für notwendig. W. müsse verpflichtet werden, die Therapie weiterzuführen, er dürfe keinen Alkohol zu sich nehmen, auch sein Medienkonsum müsse kontrolliert werden, insbesondere der Gebrauch von Horror- und Gewaltvideos.

Ein Gericht in Regensburg hatte bereits eine Führungsaufsicht von fünf Jahren festgelegt und angeordnet, dass W. nach einer etwaigen Entlassung die sogenannte elektronische Fußfessel tragen müsse.

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