Am Montagnachmittag ist Veronika Kammerer unterwegs zum Zug, und nach eigener Auskunft trägt sie dabei eine Hose und eine Bluse. Ausnahmsweise ist das hierbei nicht völlig unwichtig, denn die Altöttinger Architektin und Innenarchitektin ist auf dem Weg nach München, wo am Abend in der Residenz ein Festakt zum 50-jährigen Jubiläum der Bayerischen Architektenkammer stattfinden wird. Eingeladen hat der Ministerpräsident persönlich, und auf der Karte aus der Staatskanzlei steht als Hinweis auf die erwartete Bekleidung "Dunkler Anzug" und "Kurzes Kleid". Das mit dem dunklen Anzug wäre Veronika Kammerer wohl nicht groß aufgefallen, aber das mit dem kurzen Kleid schien ihr dann doch "etwas sexistisch". Sie trage gerne kurze Kleider, sagt sie, "aber nicht, wenn mich jemand dazu auffordert".
Die Staatskanzlei hat das alles natürlich nicht wortwörtlich gemeint. Die Damen dürften "selbstverständlich auch im Hosenanzug, in einem eleganten Kostüm oder in Kleidern jeder Länge" erscheinen, versichert ein Sprecher. Denn das "kurze Kleid" ist - und zwar ganz unabhängig von seiner tatsächlichen Länge - vor allem kein langes Kleid, was wiederum eine Chiffre für ein klassisches Abendkleid wäre. Und wenn das Protokoll den Damen schon so ein Abendkleid empfehlen würde, dann sollten gleichzeitig die Herren nicht nur im dunklen Anzug erscheinen, sondern lieber im Smoking oder gar im Frack. Das "kurze Kleid", so heißt es aus der Staatskanzlei, sei jedenfalls "eine gängige Standardformulierung für einen abendlichen Dress-Code".
In der Tat wird die Chiffre seit Jahrzehnten benutzt, aber für Veronika Kammerer muss das noch lang nicht heißen, dass das auch im 21. Jahrhundert immer so weitergehen sollte. Und wenn Kammerer die Angabe für "überhaupt nicht mehr zeitgemäß" hält, dann ist sie damit auch nicht die Erste und Einzige. So hatte das Protokoll auch zur Amtseinführung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2017 wie gewohnt um Dunklen Anzug und Kurzes Kleid gebeten, woraufhin die CDU-Bundestagsabgeordnete Nadine Schön via Twitter-Botschaft nachfragte, wie kurz das Kleid denn sein dürfe, müsse oder solle.
Und so hofft eben auch Veronika Kammerer in Zukunft auf zeitgemäßere Angaben. Denn streng wörtlich biete die Formel "überhaupt keine Interpretationsmöglichkeit". Kurz heiße für sie bis oberhalb des Knies, sagt Kammerer und begibt sich auch damit in Widerspruch mit protokollarischen Usancen. Hat doch die langjährige Protokoll-Expertin des Bundespräsidialamts Renate Tomberg schon vor zwei Jahren dem Branchenblatt textil+mode erläutert, dass mit "Kurzes Kleid" eine "gerade kniebedeckte Kleiderlänge" gemeint sei. Abends könne die Länge auch "bis zur halben Wade" oder gar bis ganz nach unten reichen, und ja: mit dem "eleganten Hosenanzug oder einem Kostüm" sei eine Frau da auch richtig angezogen. Veronika Kammerer ist also am Montag auf jeden Fall am richtigen Weg, und einen dunklen Anzug könnte sie außerdem auch anziehen. Denn wer das Kleid und wer den Anzug tragen soll, steht ja nicht dabei.