Eklat um bayerischen V-Mann:Die Wahrheit gibt es nur scheibchenweise

Neonazi D. war nicht nur eine große Nummer in der rechten Szene und lieferte dem bayerischen Verfassungsschutz als V-Mann Informationen. Er tauchte auch auf einer Telefonliste von Uwe Mundlos auf. Bisher hatte der Geheimdienst so getan, als habe er keinen Draht zum Umfeld der Terrorgruppe NSU gehabt.

Tanjev Schultz, Frank Müller und Christiane Kohl

Als die Polizei 1998 in Jena die Garage von drei stadtbekannten Rechtsextremisten durchsuchte, fand sie nicht nur Sprengstoff und allerlei Propagandamaterial. Es lag da auch eine Liste. Darauf hatte der Neonazi Uwe Mundlos die Telefonnummern wichtiger brauner Kameraden notiert, darunter die eines gewissen D. Dieser war damals eine große Nummer in der Szene - aber nicht nur dort. Nach SZ-Informationen lieferte D. als V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes jahrelang Informationen aus dem Innenleben des Rechtsextremismus.

Bisher hatte Bayerns Geheimdienst so getan, als habe man überhaupt keinen Draht zu Uwe Mundlos und zum Umfeld der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gehabt. Diesen Anschein hatte zuletzt der frühere Leiter des Landesamts, Gerhard Forster, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss erweckt. Nun wird er erneut vorgeladen. Ministerpräsident Horst Seehofer lehnte eine Bewertung ab: "Da kann ich jetzt von außen gar nichts sagen", sagte er am Mittwoch. Die Umstände des Falles kenne er nicht.

Aus geheimen Unterlagen geht nach SZ-Informationen hervor, dass D. bis etwa Mitte 1998 V-Mann war und er gute Kontakte zum "Thüringer Heimatschutz" (THS) hatte - zu jener Nazi-Kameradschaft, aus der Mundlos und die anderen Mitglieder des NSU kamen. Das Trio Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe tauchte nach der Garagen-Razzia Anfang 1998 unter.

Angeblich hatte D. anschließend keinen Kontakt mehr zu den Dreien; auch zuvor soll er der Behörde nicht über das Trio oder den THS berichtet haben. Offenbar gab es aber zumindest vor 1998 eine mindestens flüchtige Bekanntschaft; bei "Stammtisch"-Abenden und Demonstrationen soll D. Mundlos und andere Personen aus dem NSU-Umfeld kennengelernt haben.

D. lebte damals in Oberfranken. Er war einer der Betreiber des rechten "Thule-Netzes", eines Mobilbox-Systems. Und er tauschte sich mit Tino Brandt aus, einem Neonazi aus Thüringen, der in Coburg arbeitete und im THS eine Führungsrolle einnahm. Brandt stand ebenfalls auf der Telefonliste von Mundlos. Und Brandt war wie D. ein Verräter: Als V-Mann spitzelte er für den Verfassungsschutz in Erfurt. Seiner rechten Gesinnung blieb er dabei treu.

"Er war der Aufbaumann der ersten Stunde"

Brandt sagte der SZ am Mittwoch, "natürlich" habe D. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gekannt. Zu Gerüchten, dass D. sich mit Mundlos auch über Bombenbau ausgetauscht habe, sagte Brandt, dies sei ihm unbekannt. Für die Entwicklung der Szene in Thüringen war D. aber offenbar eine Schlüsselfigur: "Er war der Aufbaumann der ersten Stunde", sagt Brandt. Nach der Wende sei D. in Thüringen aufgetaucht und habe gezeigt, wie man eine Organisation aufbaut: "Er hat uns erklärt, wie man Demonstrationen anmeldet und hatte sogar Musterformulare dafür mit."

D. habe den Kameraden "bundesweite Kontakte vermittelt" Kurz: Der Mann aus Franken "war der Einpeitscher und hat die Strukturen hier aufgebaut". Da er ihn als seine Führungsperson ansah, berichtet Brandt, habe er D. damals auch informiert, als er vom Thüringer Verfassungsschutz angesprochen worden war. D. habe ihm bedeutet, dass er diese Kontakte ruhig fortsetzen könne. So gesehen war der Thüringer V-Mann Brandt gleichsam ein Spitzel von bayerischen Gnaden.

Die Staatsanwaltschaft Gera leitete 1995 ein Verfahren gegen Neonazis wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Mit dabei: Brandt und D. Doch die Beweise reichten nicht aus, das Verfahren wurde Ende 1997 eingestellt. Zwischen Brandt und D., schrieb die Staatsanwaltschaft, bestehe eine "enge Verbindung"; ebenso zwischen der Szene Thüringens und Bayerns. D. war da schon längst ein V-Mann.

Bisher gibt es zwar keine Belege dafür, dass die V-Leute etwas vom NSU und dessen Morden und Überfällen wussten. Dass der Verfassungsschutz Informationen nur scheibchenweise herausrückt, führte im Untersuchungsausschuss jedoch zu großem Unmut. Und es wirkt verdächtig.

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