Einwanderung:Was ist die bayerische Leitkultur?

Oktoberfest 2013 - Opening Parade

Tracht - sicher ein Teil der bayerischen Identität. Aber fällt sie auch unter den Begriff der Leitkultur?

(Foto: Getty Images)

Der Begriff ist schwer greifbar, weil Kultur sich ständig verändert, sagen Ethnologen. Die CSU beharrt in der Flüchtlingsfrage dennoch darauf.

Von Lisa Schnell

Pickelhaube und Sauerkraut, Bach und Goethe, das Kirchenläuten oder doch der Schwarze in der Lederhose? Was ist sie nun, die Leitkultur? Seit fast 20 Jahren hallt die Frage durch das politische Deutschland, jagt eine mehr oder weniger absurde Definition die nächste. CDU und CSU ziehen den Begriff immer dann aus dem Hut, wenn es mal wieder Wahlkämpfe gibt und die Asylbewerberzahlen steigen. Für sie ist die Leitkultur ein Zauberwort, das konservative Wähler ansprechen soll. Für die Opposition ein "Unwort", geeignet ein "Feuerwerk des Rassismus" zu entzünden.

Geht man zum Ursprung all der Aufregung, landet man bei dem Politikwissenschaftler Bassam Tibi. Als Erster schrieb er 1998 von Leitkultur. Was er mit seiner Wortschöpfung auslösen würde, hatte er wohl nicht geahnt. Genauso wenig, für was sein Begriff alles herhalten muss. Tibi meinte eine europäische Leitkultur, ihre Zutaten: "Säkulare Demokratie, Menschenrechte, Primat der Vernunft gegenüber jeder Religion, Trennung von Religion und Politik". Eher Werte als Kultur, eher aufklärerisch als spezifisch deutsch.

Eingedeutscht wurde die Leitkultur dann von CDU-Mann Friedrich Merz. An die deutsche Leitkultur sollten sich Zuwanderer anpassen, forderte er im Jahr 2000. Die erste große Debatte schwappte durch die Republik. Viel Empörung von der Opposition, viel "Vaterland" von der CDU. Aber eine Begriffsklärung? Leider nein. Weiterhelfen könnte die CSU, die gerade wieder ihre neue Liebe zur Leitkultur entdeckt hat. In ihrem Integrationsgesetz will sie Asylbewerber auf die "unabdingbare Achtung der Leitkultur" verpflichten.

Auf was genau? "Die identitätsbildende Prägung des Landes." Was das ist? "Die Leitkultur." So dreht es sich im Kreis in einer Anfrage der Grünen an die Staatsregierung. Markus Blume aber hat das neue CSU-Grundsatzprogramm geschrieben. Zehnmal wird dort die Leitkultur erwähnt. Er muss es wissen. "Die Werteordnung und Prägung des Landes anerkennen, kulturelle Traditionen respektieren, sich an die Gepflogenheiten des Alltags halten, andere Lebensweisen tolerieren."

Konkreter wird er ungern. Wer das versuche, mache sich oft "lächerlich", sagt Blume. Nur soviel: "Bei uns ist es selbstverständlich, dass Polizistinnen den gleichen Respekt verdienen wie ihre Kollegen". Margarete Bause (Grüne) muss lachen, wenn sie das hört. Sie erinnert sich noch gut daran, als sich die CSU in den 80ern vehement gegen ihre Forderung sträubte, auch Frauen bei der Schutzpolizei zuzulassen. "Die CSU fordert Dinge ein, die sie früher selbst nicht für akzeptabel gehalten hat", sagt sie.

"Kultur ist etwas, das sich ständig verändert", stimmt ihr die europäische Ethnologin Irene Götz zu. Früher waren Homosexuelle für die CSU verpönt, sie wollte Aids-Kranke in "speziellen Heimen" sammeln. Jetzt hat die Partei einen eigenen Wagen auf der Schwulen- und Lesbenparade. Würde die frühere CSU bei der jetzigen einwandern wollen, sie würde gleich abgeschoben werden. Kultur ist ein vielschillernder Begriff nicht nur in der zeitlichen Dimension.

Mit einer Intellektuellen aus einem muslimischen Land verbinde sie womöglich mehr als mit einem Angehörigen aus einer anderen Schicht um die Ecke, sagt Götz. "Kultur ist ein Pudding, den kann man nicht an die Wand nageln." Leitkultur ist für die Grüne Bause deshalb ein typisch "populistischer Begriff". "Wenn man versucht ihm auf den Grund zu gehen, löst er sich auf."

Blume aber findet nichts Schlimmes an einem Begriff wie Pudding. "Auch ein schwammiger Begriff kann gut sein, wenn er Orientierung gibt", sagt er. Dass es Orientierung braucht, da würde ihm Bause nicht widersprechen. Natürlich seien auch für sie Werte wie die Gleichberechtigung nicht verhandelbar. Doch dafür gebe es Gesetze. Alles was an Anstandsverstößen darunter läuft müsse in der Zivilgesellschaft ausgemacht werden. "Wer sich verletzt fühlt, der muss Respekt einfordern. Das ist bei einem Rechtsextremen so wie bei einem Islamisten."

So eine Haltung führt bei Blume zu der Mahnung: "Ohne Leitkultur kann die offene Gesellschaft auch an ihrer eigenen Offenheit scheitern." Was passiert also mit einem, der sich nicht an die Leitkultur hält, der zur Begrüßung nicht die Hand gibt, wie es als bayerische Gepflogenheit von der CSU beschrieben wird? "An Nichtbeachtung der Leitkultur sind keine Sanktionen geknüpft", sagt Blume.

Und was bringt sie dann? "Sie ist ein Richtungspfeil." Also ein Wegweiser, der zeigt wo es lang geht, aber trotzdem nicht "von oben herab" sein soll. Das ist Blume wichtig. Leitkultur habe keinen verordnenden Charakter. Die Grünen oder die Kirche haben das dann wohl missverstanden. Vielleicht auch, weil in CSU-Papieren Sätze stehen wie: "Wer zu uns kommen will, hat sich nach uns zu richten!"

Nach was genau eigentlich? Ach, egal.

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