Eingestürzte Eishalle von Bad Reichenhall:Gefälligkeit des Haus- und Hofgutachters?

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Erneut kommt das Drama um die eingestürzte Eishalle von Bad Reichenhall vor Gericht. Auf Geheiß des Bundesgerichtshofs wird ab Donnerstag über einen Bauingenieur verhandelt, der das Gebäude für sicher hielt. Für die Angehörigen der Opfer werden dies schwierige Tage - doch sie verbinden mit dem Prozess auch eine große Hoffnung.

Heiner Effern

Wenn Robert Schmidbauer am Donnerstag um kurz vor neun Uhr den Schwurgerichtssaal betritt, wird es ihm das Herz zerreißen - wieder einmal. Er weiß das, er spürt in den Tagen zuvor schon, wie der Tod seiner beiden Töchter ihn noch mehr aufwühlt als das im Alltag ohnehin immer wieder passiert - auch fünfeinhalb Jahre nach dem Unfassbaren: nach dem Einsturz eines öffentlichen Gebäudes, der am 2. Januar 2006 zwölf Kindern und drei Frauen das Leben kostete.

Unter den Trümmern der eingestürzten Eishalle starben 15 Menschen. Für die Angehörigen ist die Suche nach Verantwortlichen ein Trauerspiel. (Foto: AP)

Die Bilder des zertrümmerten Dachs der Bad Reichenhaller Eishalle werden hochkommen, die Wut über das Versagen der Verantwortlichen, das niederschmetternde Leid der Tage, Wochen und Jahre danach.

Trotzdem, und trotz des Verlangens, endlich einen Abschluss zu finden, wird Robert Schmidbauer hingehen zum Auftakt des Prozesses, in dem der Tod der 15 Eisläufer auf Weisung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (BGH) noch einmal verhandelt wird. "Man hofft, dass man noch einen drankriegt, der schuld ist."

Robert Schmidbauer weiß aus vielen Verhandlungstagen des ersten Prozesses, was ihn an den voraussichtlich zehn Terminen am Landgericht Traunstein erwartet: die Schicksalsgemeinschaft der Eltern und Angehörigen der 15 Opfer.

Viele von ihnen werden wieder als Nebenkläger vertreten sein. Fünf Sachverständige, die nochmals erklären sollen, wer gepfuscht hat. Zwei Staatsanwälte. Drei Verteidiger, die in der ersten Auflage einen Freispruch für ihren Mandanten erstritten haben. Und ein Angeklagter, der 58 Jahre alte Bauingenieur Rüdiger S., der den Zustand des beim Bau verpfuschten und nach 30 Betriebsjahren maroden Dachs noch im Jahr 2003 als gut beurteilt hatte. Nur der Richter wird ein neuer sein, der alte hat in den Augen des BGH beim Freispruch von Rüdiger S. entscheidende Fehler gemacht.

Gegen drei Angeklagte wurde im ersten Verfahren verhandelt, nach 28 Prozesstagen verurteilte Richter Karl Niedermeier am 18. November 2008 den Statiker Walter G., heute 71 Jahre alt, wegen fahrlässiger Tötung von 15 Personen zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren. Der Architekt Rolf R., 67, wurde ebenso freigesprochen wie der Statiker Rüdiger S. Dieses letzte Urteil hob der BGH am 12. Januar 2010 auf. Im neuen Prozess wird nun zu klären sein, in welchem Verhältnis Rüdiger S. und die Stadt Bad Reichenhall standen.

Fest steht, dass der Bauingenieur öfter öffentliche Aufträge erhielt, unter anderem sollte er die Sanierungskosten für die Eis- und Schwimmhalle schätzen. Ohne das Dach genau zu untersuchen - bis auf einen der mächtigen Holzträger kontrollierte der Bauingenieur die Konstruktion nur durch das Teleobjektiv einer Fotokamera - bescheinigte er ihm einen guten Zustand. Obwohl ein solches Standfestigkeitsgutachten offiziell gar nicht sein Auftrag war.

Der Preis dafür betrug pauschal 3000 Euro. Der Bauingenieur und auch die Fachleute in der Stadtverwaltung hätten nach Ansicht des BGH wissen müssen, dass dafür kein profundes Urteil über das Dach möglich war.

Zwischen den Zeilen ist aus dem Urteil des BGH herauszulesen, dass die Untersuchung der Eishalle ein Gefälligkeitsgutachten gewesen sein könnte. Ein billiger "Freibrief", so heißt es, um die Stadt nicht zu weiteren, kostspieligen Untersuchungen oder Sanierungen zu zwingen.

Sollte sich dieser Verdacht erhärten, säßen bei der Stadt möglicherweise sogar Mittäter, so die Richter des BGH. Und einen zweiten Fehler halten sie den Traunsteiner Kollegen vor: die Einschätzung, dass eine Verurteilung von Rüdiger S. nur möglich gewesen wäre, wenn die Stadt bei einem Alarm des Ingenieurs "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" reagiert hätte. Es hätte gereicht, wenn die Traunsteiner Richter einfach zu der Überzeugung gelangt wären, dass die Stadt etwas unternommen hätte, so der BGH.

Für eine mittlerweile enttäuschte Hoffnung bei den Angehörigen hatte der deutliche Hinweis des BGH auf mögliche Mittäter in der Stadt gesorgt. "Der Angeklagte war der Haus- und Hofgutachter, er musste billig sein, um an seine Aufträge zu kommen. Auf solche Weise entstehen problematische Beziehungen, die zu solchen Katastrophen führen können", sagt Rechtsanwalt Daniel Amelung, der eine Mutter als Nebenklägerin vertreten wird, die ihre Tochter in der Eishalle verloren hat.

Doch die Staatsanwaltschaft Traunstein lehnte eine Anklage gegen die städtischen Mitarbeiter wegen fehlender Erfolgsaussichten konsequent ab. Bis hinauf ins Justizministerium wanderten die Einwände der Angehörigen gegen diese Haltung - vergeblich. "Wir sind enttäuscht, was nach jahrelangen Ermittlungen und Verhandlungen herausgekommen ist", sagt Robert Schmidbauer.

Inzwischen sind mögliche Vergehen von Stadtangestellten verjährt. Auch weil die Neuauflage des Prozesses eineinhalb Jahre auf sich warten ließ. "Alles so weit hinauszuzögern, das ist doch Zermürbungstaktik", ärgert sich Schmidbauer.

© SZ vom 14.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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