Süddeutsche Zeitung

"Ein Leuchtturmprojekt":Das Wunderding von Haßfurt

In der Kleinstadt wird eine Anlage aufgestellt, die überschüssigen Öko-Strom in Windgas umwandelt. Die Technologie ist ein Riesenschritt für die Energiewende

Von Christian Sebald

Das unterfränkische Haßfurt ist ein 14 000-Einwohner-Städtchen am Main auf halber Strecke zwischen Bamberg und Schweinfurt. In seinen Gassen mit den alten Fachwerkhäusern geht es beschaulich zu, auch die Umgebung ist ländlich und ruhig. Nun wollen sie in Haßfurt Energiewende-Geschichte schreiben. Das örtliche Stadtwerk und der Hamburger Öko-Energie-Versorger "Greenpeace Energy" stellen unten am Main-Hafen einen sogenannten Elektrolyseur auf. Die containergroße Anlage soll Wunderdinge vollbringen: Als eine der ersten ihrer Art in Deutschland wird sie in großem Stil Öko-Strom aus Wind und Sonne in Wasserstoff umwandeln und ins Erdgasnetz einspeisen. Das sogenannte Windgas wird in Heizungsanlagen und einem Kraftwerk zur Produktion von Wärme und Strom verfeuert. "Unser Elektrolyseur ist ein Leuchtturmprojekt", sagt Stadtwerk-Chef Norbert Zösch. "Er bringt die Energiewende einen Riesenschritt voran."

Tatsächlich ist Windgas, wie sie auch bei Greenpeace Energy aus Wind- und Sonnenstrom gewonnenen Wasserstoff nennen, der Traum eines jeden Energiewende-Fans. Denn mit Windgas wäre auf einen Schlag das große Problem der Windkraft und der Photovoltaik gelöst: Dass man mit ihnen nur dann Öko-Strom produzieren kann, wenn ausreichend Wind weht und die Sonne scheint. "Mit Windgas werden Wind- und Sonnenstrom speicherbar, denn die Kapazitäten des Erdgasnetzes sind gigantisch", sagt Martin Thema, der an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg über Energienetze und -speicher forscht. "Mit Windgas ist Öko-Strom auch in all den Zeiten verfügbar, in denen es windstill und dunkel ist. Und zwar über Tage und sogar Wochen hinweg." Wer es mit der Umstellung auf hundert Prozent Öko-Strom ernst meint, wird also um Windgas nicht herumkommen. Deshalb sind für den Forscher Thema Pilotanlagen wie in Haßfurt sehr wichtig.

Das Verfahren für die Windgas-Produktion selbst ist bereits alt. Es ist die Elektrolyse. Sie geht auf den italienische Physiker Alessandro Volta zurück, der vor 200 Jahren lebte. Bei der Elektrolyse wird Strom eingesetzt, um Wasser in seine Grundstoffe Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Der Sauerstoff wird in die Atmosphäre geleitet, der Wasserstoff in das Erdgasnetz eingespeist. Aus ihm können später Wärme und Strom hergestellt werden. Durch ein weiteres Verfahren kann der Wasserstoff zu Methan aufbereitet werden. Anders als Wasserstoff kann das hochwertige Methan Erdgas sogar komplett ersetzen. In der Energieproduktion gab es bisher freilich wenig Bedarf für die Elektrolyse, weil stets ausreichend konventionelle Energieträger zur Verfügung standen. Mit der Energiewende ändert sich das nun. Wenig verwunderlich also, dass Konzerne wie Siemens seit einiger Zeit an leistungsstarken Elektrolyseuren forschen.

Der Haßfurter Elektrolyseur ist so eine hochmoderne Siemens-Anlage. Sie wird ungefähr eine Million Kilowattstunden Windgas im Jahr produzieren und in das Gasnetz des Stadtwerks einspeisen. "Die Technik ist serienreif", rühmt Greenpeace-Energy-Vorstand Niels Müller die Siemens-Anlage. "Durch den Praxisbetrieb wollen wir sie noch effizienter machen." Der Strom für den Elektrolyseur stammt aus einem nahen Bürger-Windpark und anderen Windrädern und Solaranlagen, die in das Haßfurter Stromnetz einspeisen. Wenn sie mehr Strom liefern, als in der Region verbraucht wird, wird der Elektrolyseur angeworfen und stellt aus dem Überschuss Windgas her.

Dem Stadtwerk und Greenpeace-Energy geht es bei ihrem Projekt aber nicht nur um die Verwertung von überschüssigem Öko-Strom. Sondern um den Preis, zu dem so ein Elektrolyseur arbeitet. Der ist zwar im Vergleich zu bisherigen Anlagen günstig. Aber gemessen an Erdgas immer noch um den "Faktor zehn teurer", wie Stadtwerk-Chef Zösch sagt. Er und Greenpeace-Energy-Vorstand Müller setzen darauf, dass ihr Projekt rasch Nachahmer findet. "Wenn Elektrolyseure in größerer Stückzahl gebaut werden, werden sie günstiger", sagt Müller. "Dann sinken auch die Preise für den erneuerbaren Wasserstoff." Zwei Millionen Euro lassen sich das Stadtwerk und Greenpeace Energy ihr Projekt kosten. Wenn alles klappt, wie sie sich das vorstellen, hat sich der Elektrolyseur in zehn Jahren amortisiert.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2016
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