Ein Jahr nach dem Tod der Daxenbergers:Irgendwie geht's weiter

Vor einem Jahr passierte das Undenkbare: Erst starb Gertraud Daxenberger, und nur drei Tage später ihr Mann, der Hoffnungsträger der Grünen in Bayern, Sepp Daxenberger. Ein Besuch bei der Familie in Waging, die den Tod der beiden überlebt, aber nicht überstanden hat.

Annette Ramelsberger

Theresia Daxenberger ist eine gläubige Frau. Mit einem Marienmedaillon um den Hals. Und einem Herrgottswinkel in der Stube. Eine, die jahrelang die Kirche in Waging geputzt hat. Danach ist sie oft an den Marienaltar gegangen, hat eine Kerze angezündet und gebetet - für ihren Sohn Sepp. Für ihre Schwiegertochter Gertraud. Und für ihre drei Enkelsöhne. Dass die nicht alleine bleiben. Dass sich alles zum Guten wendet. Dass der Sepp und die Gertraud wieder gesund werden. Oder zumindest einer von beiden.

Ein Jahr nach dem Tod der Daxenbergers: Seit dem Tod von Gertraud und Sepp Daxenberger steht Großmutter Theresia den Söhnen (von links) Benedikt, Kilian und Felix bei.

Seit dem Tod von Gertraud und Sepp Daxenberger steht Großmutter Theresia den Söhnen (von links) Benedikt, Kilian und Felix bei.

(Foto: Diether Endlicher)

Das Beten der Theresia Daxenberger hat nicht geholfen. Vor einem Jahr, am 15. August, ist erst Gertraud Daxenberger gestorben, drei Tage danach ihr Mann Sepp. Die beiden waren 49 und 48 Jahre alt. Die Grünen verloren ihren beliebtesten Politiker, die Gemeinde Waging den ersten grünen Bürgermeister, den Bayern hatte, die Familie Daxenberger aber das Fundament. Und, so scheint es zumindest, auch den Glauben an eine höhere Gerechtigkeit.

Theresia Daxenberger ist 70. In diesem Alter ändert man seine Überzeugungen nicht mehr. Nicht wenn man fest in der Tradition steht. Sie hat immer die Zähne zusammengebissen, hat immer den Hof zusammengehalten. War immer da, wenn der Sohn und die Schwiegertochter zu schwach waren, um in den Stall zu gehen. Hat Felix, Kilian und Benedikt versorgt und den eigenen Mann. Doch jetzt, nach den beiden Beerdigungen vor einem Jahr, ist etwas brüchig geworden in ihr. Ihre Augen werden feucht, wenn sie allein am Tisch sitzt und auf die Bilder schaut von damals.

Als Sepp Daxenberger noch ein Baum von einem Mann war und seine Frau die Kinder auf dem Arm hatte. Theresia Daxenberger wischt sich schnell über die Augen. Sie muss ja den Hof zusammenhalten und die Familie. Sie geht auch in die Kirche und ans Grab. Aber vor dem Marienaltar, an dem sie so viel gebetet hatte, hat sie eine eigenartige Scheu. "Ich war so viel dort", sagt sie leise. "Ich kann da nicht mehr sein." Als wenn an diesem Altar all ihre Hoffnung erloschen wäre.

Es scheint, als habe das Vertrauen auf die göttliche Gerechtigkeit in dieser Familie Schaden gelitten. Als sei jener in Bayern so tief verwurzelte Glaube erschüttert, dass einem Gott nur so viel auferlegt, wie man tragen kann. Es wird nicht viel geredet auf dem Land - nicht über Gefühle. Es sind die Gesten, die mehr erzählen über den Zustand der Seele. Die Daxenberger-Söhne Benedikt, 13, und Kilian, 18, haben jahrelang als Ministranten in der Kirche gedient. Nach dem Tod ihrer Eltern haben sie abrupt aufgehört. "Weil ihnen die Eltern genommen worden sind", sagt Theresia Daxenberger. "Uns hat auch keiner gefragt, was wir wollen - so sagen sie das."

Sieben Jahre Kampf gegen den Krebs

Das Vertrauen auf Hilfe von oben, wenn es ganz eng wird, ist auf dem Dorf allgegenwärtig. Diesen Glauben hat auch Sepp Daxenberger gehabt - der Mann, um den die CSU die Grünen beneidete, weil er so kraftvoll war, so bayerisch, so lebendig. Der Mann, der als ernste Herausforderung für Horst Seehofer gesehen wurde. Die Grünen, sagt ihre Vorsitzende Theresa Schopper, spüren den Verlust. Noch immer. Sieben Jahre hat Sepp Daxenberger gekämpft gegen den Krebs. "Der Sepp hat immer an eine schützende Hand geglaubt", sagt Schopper, eine Vertraute der Familie. "Dass man einer Familie so viel antun kann, das konnte er gar nicht glauben."

Bis zuletzt hatte Daxenberger fest damit gerechnet, dass er weiterlebt - oder seine Frau. Und deswegen wurde auch nicht geredet über das Undenkbare. Die Kinder traf es wie ein Schock, als im Juli 2010 plötzlich der Pfarrer bei der kranken Mutter war und ihr die Krankensalbung erteilte. Erst da erfuhren sie, dass ihre Mutter nicht mehr zu retten ist. Das war keinen Monat vor ihrem Tod. "Die Kinder haben es nicht gewusst", sagt Theresia Daxenberger. "Der Sepp und die Gertraud haben übers Sterben nicht geredet."

Ein Jahr später steht der Hof der Daxenbergers voller Blumen. Der kleine Bauerngarten geht über vor Petersilie, Blumen und Rhabarber. Hinterm Haus steht der neue Stall, den Sepp Daxenberger noch geplant hatte. Der Stall, der ihm so viel Kritik unter den Bauern eingebracht hatte: dass einer, der schon so lange am Krebs leidet, noch so eine Investition auf sich nimmt. Oder besser: seiner Familie aufhalst.

Auf dem Friedhof in Waging steht ein schlichter Stein. Eigentlich wollte die Familie nur die beiden Namen und das Geburts- und Sterbedatum eingraviert wissen. Aber der Steinmetz sagte ihnen, so einfach gehe es dann doch nicht: "Bürgermeister und Landtagsabgeordneter muss schon drauf." So steht es nun auf dem Stein. Eigentlich wollte Sepp Daxenberger, der gelernte Schmied, ein Kreuz fürs Familiengrab schmieden. Er hat es nicht mehr geschafft.

Die Familie ist nun eng zusammengerückt, die Enkel sind ins Bauernhaus der Großeltern gezogen - in die Wohnung, in der ihr Vater einst gelebt hatte. Die drei Söhne haben nun ein gemeinsames Wohnzimmer, die ehemalige Stube von Sepp Daxenberger - und haben sie erst mal monatelang nicht betreten. Sie konnten nicht. Vor Weihnachten hatte die ganze Familie Angst. "Das war ein Tief", sagt Felix, der Älteste. Sie wollten auch keinen Christbaum für ihr Wohnzimmer. Sie haben sich dann zu den Großeltern gesetzt.

Nur eine geringe Waisenrente

Irgendwie ist es gegangen", sagt Felix Daxenberger, 21. "Ich hab' versucht, alles zu bewerkstelligen." Er hat den Hof geerbt, soll nun die Verantwortung tragen. Und muss sehen, wie die drei Söhne mit ein paar hundert Euro Waisenrente auskommen. Mehr gibt es nicht - obwohl Sepp Daxenberger jahrelang im Landtag saß. Keine großzügige Abgeordnetenversorgung. Die hätte seine Frau bezogen, aber die ist ja auch gestorben. Unterstützung haben Landtag und Gemeinde versprochen. Die gibt es auch, vor allem wenn es um Behördengänge geht. Aber die Daxenberger-Söhne müssen ihr Geld straff zusammenhalten.

Eigentlich wollte Felix Forstwirtschaft studieren, doch jetzt macht er eine Lehre als Landschaftsgärtner. Er will nicht theoretisieren, er will anpacken. Das hilft. Und mehr noch hilft seine Freundin. Die hat er im Fasching kennengelernt. Bei der Prinzengarde. "Das tut mir gut", sagt Felix. Auf einem Hof, auf dem keine Worte gemacht werden, kann das als Liebeserklärung gelten. Es wird nicht viel geredet hier. Der Jüngste, Benedikt, hat sich lange in seine Computerwelt geflüchtet. Jetzt ist er im Zeltlager, in der realen Welt. Das gilt als gutes Zeichen.

Und der Zweitälteste, Kilian, hat das Abitur bestanden und macht ein freiwilliges soziales Jahr im Krankenhaus Traunstein - dort, wo seine Eltern so oft waren. Er setzt sich seinen Gefühlen aus. Die ersten Tage war er mit alten Menschen unterwegs, hat Rollatoren geschoben und Schnabeltassen gehalten. Dann sollte er Medikamente auf die Palliativstation bringen - dorthin, wo sein Vater gestorben ist. Er hat es getan - und er war dort auf einmal nicht mehr der Sohn von Sepp Daxenberger, sondern einfach ein netter junger Kerl, der hilft. "Die Schwestern haben mich gar nicht erkannt", sagt Kilian. Er wundert sich, aber es klingt auch fast ein wenig erleichtert.

In der Küche steht Theresia Daxenberger, sie hat Kuchen gebacken, räumt jetzt das Geschirr zusammen, wie immer. "Ich kann meine Arbeit tun, ich kann den Buben beistehen. Ich darf nicht jammern", sagt sie ruhig. "Ein paar Jahre, wenn ich noch hab', bis der Kleinste erwachsen ist, dann können wir zufrieden sein." Irgendwann, nicht so bald, wird sie wieder zum Marienaltar gehen.

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