Eigentlich, sagt Ida Popp, könne sie sich gar nichts anderes vorstellen, als Psychotherapeutin zu werden. Die Nähe zu den Menschen, die Möglichkeit zu helfen. Dafür ist sie auch auf einem guten Weg: Im vierten Semester studiert die 20-Jährige Psychologie an der Universität Eichstätt. Doch was nach dem Bachelor kommt, ist für sie und ihre 30 Kommilitonen zurzeit völlig offen. Denn in ganz Bayern fehlen nach der Reform der Psychotherapieausbildung ausreichend Masterplätze. Stand jetzt wird es nur 75 Plätze geben, wenn Popp und ihre Kommilitonen fertig werden - ein Bruchteil des Bedarfs. "Wir wissen überhaupt nicht, wie es weitergeht", sagt Popp.
Nach der bundesweiten Reform des Weges zum Psychotherapeuten müssen Studierende vom kommenden Jahr an einen eigens darauf zugeschnittenen Masterstudiengang durchlaufen. Die Studierenden sollen so schnell Praxiserfahrung sammeln. Zudem soll die Ausbildung so an den medizinischen Facharzt angeglichen werden. Bayernweit wird es im kommenden Semester nur 75 Masterplätze geben. Ein Bruchteil der 350, auf die die bayerische Psychotherapeutenkammer den Bedarf taxiert.
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"Gravierend" sei das, sagt deren Präsident Nikolaus Melcop. "Das kann der Freistaat so nicht machen." Ähnlich sieht es Thomas Ehring, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Würden die Bedingungen an den Unis nicht geschaffen, "dann droht uns ein Versorgungsengpass". Ruth Waldmann, die gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-SPD, spricht von einer "hirnrissigen" und "ineffizienten" Entscheidung, die neuen Masterstudiengänge nicht ausreichend zu finanzieren: "Das ist kein gutes Signal für einen Mangelberuf."
Schon jetzt gibt es lange Wartelisten, die Lücke könnte größer werden
6169 kassenärztlich zugelassene Psychotherapeuten gibt es in Bayern, viele von ihnen haben monatelange Wartelisten. Verschärft wird die Situation durch verschleppte psychische Reaktionen auf die Corona-Zeit und vermehrten Bedarf durch den Krieg in der Ukraine. Dazu kommt, dass sich schlicht immer mehr Menschen auch trauen, zum Psychologen oder Psychotherapeuten zu gehen. So habe es schon vor der tief greifenden Reform der Ausbildung stets mehr Bedarf als Angebot gegeben. Nun befürchten viele, dass die Lücke noch größer wird - und junge Menschen wie Ida Popp in einer Sackgasse stehen.
Sie und ihre Eichstätter Kommilitonen haben den Besuch des Wissenschaftsministers Markus Blume (CSU) zum Dies Academicus am Dienstag genutzt, um eben darauf aufmerksam zu machen. Auf Plakate schrieben sie Slogans wie "Master - Disaster", "Das neue Psychotherapeutengesetz - kein Masterplan", "Psychologie ohne Approbation ist wie Eichstätt ohne Dom". In Eichstätt trifft es die Studierenden besonders hart. Dort würden Studierende wie Popp Stand jetzt völlig leer ausgehen.
"Bei uns bleiben 60 Leute auf der Strecke", sagt Rita Rosner, Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie und Leiterin der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz. Das sei den jungen Leuten gegenüber "unfair". Fest steht: Leute wie Popp müssten sich anderswo in oder außerhalb Bayerns um einen der raren Masterplätze bemühen. Die Erfolgsaussichten sind jedoch überschaubar. Bereits vor der Reform hat es stets mehr Bachelor- als Masterplätze gegeben, zudem werden die hauseigenen Absolventen vielerorts bevorzugt.
Bewerbungen dürfte es dennoch zahlreiche aus ganz Bayern geben. Denn während die Universitäten in Bamberg, Würzburg, München, Nürnberg-Erlangen und Regensburg im kommenden Wintersemester zunächst jeweils 15 Masterplätze in der Psychotherapie anbieten werden, ist man anderswo weiter. In Hessen werden es insgesamt 330 sein, NRW strebt jährlich 530 Plätze an.
Die Idee, den Master nur an zwei oder drei Unis anzubieten, wurde abgelehnt
Die Crux: Da der neue Master deutlich betreuungsintensiver wird, braucht es auch mehr Lehrpersonal. Die Idee, die Ressourcen an wenigen Standorten im Freistaat zu bündeln und den Master nur an zwei, drei Universitäten anzubieten, lehnten die Universitäten ab. Ihnen obliegt es nun, neben den insgesamt zehn neuen Stellen langfristig so umzuschichten, dass sie Studentinnen wie Ida Popp eine Perspektive anbieten können. Ihre Verantwortung betont denn auch Wissenschaftsminister Blume. Die Universitäten entschieden über die Einrichtung und Ausstattung von Studiengängen, manche wie die FAU hätten dabei Spielräume der High Tech Agenda genutzt.
Woher das Geld für ihren zukünftigen Studienplatz kommt, dürfte Ida Popp egal sein. Sie hat bereits ein Praktikum in einer Klinik absolviert, ihr Berufswunsch hat sich dadurch weiter verstärkt. Nun hofft sie, dass es weitergeht, irgendwie. Wobei, einen Wunsch hätte sie schon: "Wenn es geht, würde ich echt gern in Eichstätt bleiben."