Ehrenamt:Bürger wollen sich nur noch für bestimmte Projekte engagieren

Deutschkurs für Flüchtlinge in der Bayernkaserne in München, 2015

Auch bei der Integration von Flüchtlingen engagieren sich Ehrenamtliche.

(Foto: Catherina Hess)
  • Mehr als fünf Millionen Menschen arbeiten in Bayern ehrenamtlich.
  • Doch sie sind wählerischer geworden, was ihre Aufgaben angeht.
  • Wer Zeit verschenkt, der will sich oft nur für eine begrenzte Zeit verpflichten - und er will auch etwas davon haben.

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Die gute Nachricht ist: In Bayern engagieren sich so viele Menschen ehrenamtlich wie wahrscheinlich noch nie. Der Haken: Sie sind anspruchsvoller als früher. Die Leute lassen sich nicht mehr zum Schriftführer wählen und bleiben dann bis zur goldenen Ehrennadel im selben Verein. Wer Zeit verschenkt, der will sich oft nur für eine begrenzte Zeit verpflichten - und er will auch etwas davon haben.

Auf diesen Nenner lässt sich eine Entwicklung bringen, die Sozialwissenschaftlerin Doris Rosenkranz in den vergangenen zehn Jahren beobachtet hat, und die sich weiter verstärkt. Aus den USA kennt man das schon lange, "jetzt schlägt es ganz stark in den Organisationen auf", sagt Rosenkranz. Die Vereine und Verbände stellt das vor keine unwesentlichen Herausforderungen. Sie müssen immer mehr Zeit und Geld aufwenden, um die Freiwilligen zu betreuen.

Denn wenn junge Menschen ihren Lebenslauf mit einem Nachweis für ihr ehrenamtliches Engagement aufwerten wollen, dann muss es im Verein jemand geben, der solche Zeugnisse ausstellen kann. Und wenn das Wirtschaftsunternehmen seine Arbeitnehmer zwecks Teambildung zu einem Sozialprojekt schicken will, dann ist jemand gefragt, der das koordiniert und dem im Zweifel etwas besseres einfällt, als die Helfer zum Wändeweißeln einzuteilen.

"Anders als früher zeigt sich, dass das Ehrenamt jemanden braucht, der sich darum kümmert", sagt Rosenkranz. Sie ist Professorin an der Technischen Hochschule in Nürnberg, die mit drei anderen Hochschulen eine anerkannte Weiterbildung zum "Freiwilligenmanager" anbietet. Solche Ehrenamtskoordinatoren gibt es nicht nur in Vereinen, sondern auch in mittlerweile 112 Freiwilligenzentren in Städten und Landkreisen, die zum Teil vom Sozialministerium gefördert werden.

Dort können sich Bürger beraten lassen, welches Engagement zu ihren Vorstellungen passt. Und so groß die Bandbreite des Ehrenamts, so unterschiedlich sind die Erwartungen an den erwünschten Nebeneffekt des Engagements. Ältere Menschen seien oft an Netzwerken und Geselligkeit interessiert, sagt Rosenkranz, jüngere wollten sich eher für den Berufsmarkt qualifizieren.

Die Anbieter müssen Werbung für sich machen

Die Stadt Nürnberg, um ein Beispiel zu nennen, bietet Interessierten die Möglichkeit, ganz einfach in einer Datenbank nach einem passgenauen Angebot zu stöbern: Will ich einmal im Monat beim Alleinerziehenden-Frühstück Essen ausgeben? Ab und zu im Sozialkaufhaus Waren sortieren? Oder eine Patenschaft für ein Kind übernehmen? Diese Auswahl führe zu einer steigenden Konkurrenz unter den Organisationen, sagt Rosenkranz, und dazu, dass viele die Notwendigkeit sehen, ihre Öffentlichkeitsarbeit zu professionalisieren.

Wie viele Menschen sich freiwillig engagieren, wird nur alle fünf Jahre erfasst. Die aktuellen Zahlen stammen deshalb aus dem Jahr 2014. Damals gaben in Bayern 47 Prozent der Befragten über 14 Jahren an, ehrenamtlich zu arbeiten. Weitere 30 Prozent konnten sich vorstellen, dass sie aktiv werden. Die meisten setzen sich dabei im Bereich Sport und Rettungsdienste ein, gefolgt vom Sozialen. Und das am liebsten im direkten Umfeld. "Die Menschen wollen, dass ihr Stadtteil lebendig ist", sagt Rosenkranz.

Sportverein Sportspaß

In Sportvereinen sind viele Ehrenamtliche tätig. Sie werden anspruchsvoller.

(Foto: Maurizio Gambarini)

Nach ihrer Beobachtung wollen sich viele Ehrenamtliche nur zu zeitlich begrenzten Projekten verpflichten. Wenn sie etwa einen Sprachkurs für Geflüchtete übernehmen, der auf den Hauptschulabschluss vorbereitet, dann müssen sie nach der Prüfung nicht erklären, warum sie aufhören. "Je flexibler das Engagement ist, desto höher ist das Interesse", sagt die Wissenschaftlerin. Für Organisationen wie Wasserwacht oder Feuerwehr, die schon allein wegen der Ausbildung auf ein langfristiges Engagement angewiesen sind, ist diese Entwicklung problematisch. Bei den Rettungsdiensthelfern kann man als Reaktion darauf schon einen Trend zur Professionalisierung zu beobachten: Es werden mehr bezahlte Kräfte eingesetzt.

Freiwillige wollen langsam anfangen

Auch Silvia Karl vom Landescaritasverband nimmt diesen Trend wahr. "Ja, die Leute wollen sich für den Anfang erst mal nur punktuell engagieren." Bei der Caritas gingen die einzelnen Diözesen ganz unterschiedlich damit um, sagt Karl. Manche machten kurzfristiges Engagement möglich, andere setzten weiter auf langfristige Verpflichtungen. Insgesamt habe die Caritas die Stundenzahl der Mitarbeiter, die sich auf Gemeindeebene um die Ehrenamtlichen der Caritas und der Kirchengemeinden kümmern, in den letzten Jahren deutlich aufgestockt.

Wohlfahrtsverbände wie die Caritas haben sich als erste darum gekümmert, dass es einen offiziellen Ehrenamtsnachweis für ihre Freiwilligen gibt. Mittlerweile wird diese Urkunde, die von Sozialministerium und Handelskammer anerkannt ist, von einem Trägerverein verliehen, dem 37 große Verbände aus allen Bereichen von der Feuerwehr über Sport und Musik angehören.

Am kommenden Freitag und Samstag trifft sich die Freiwilligenbranche zum Bayerischen Ehrenamtskongresses an der Technischen Hochschule in Nürnberg. Schon dessen Workshops spiegeln den steigenden Qualifizierungsdruck in den Vereinen wider: 500 Teilnehmer, die meisten Ehrenamtskoordinatoren und Amtsträger in Vereinen, können sich über Datenschutz und Haftungsfragen informieren, etwas über Öffentlichkeitsarbeit in den Neuen Medien lernen oder darüber, wie eine Kooperation mit Firmen gelingen kann.

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