Edmunds Stoffsammlung:Was in Stoibers Memoiren stehen könnte

Edmund Stoiber will seine Erinnerungen aufschreiben. Die SZ hat rekonstruiert, wie es wirklich war. Oder zumindest wie es gewesen sein könnte. Ein - nicht ganz ernstgemeinter - Streifzug durch Stoibers politisches Leben.

Die Politik gleicht einem Eisberg - das meiste findet unter der Wasseroberfläche statt und bleibt somit im Verborgenen. Manchmal lüften die Politiker aber den Schleier der Geheimnisse und gewähren einen kleinen Einblick, was hinter verschlossenen Türen geschah: indem sie ihre Memoiren schreiben. Aber am Ende wird vieles geglättet, denn allzu indiskret wollen die meisten dann doch nicht sein. Es ist deshalb ein seltener Glücksfall, Memoiren in einem ganz frühen Stadium in die Hände zu bekommen - wenn die ersten Gedanken notiert werden.

Stoiber muss sich zum Landesbank-Debakel erklaeren

Edmund Stoiber seine Erinnerungen aufschreiben.

(Foto: dapd)

Jetzt will Edmund Stoiber seine Erinnerungen schreiben. Die SZ hat sich auf die Suche nach der ersten Stoffsammlung gemacht - und ist auf handschriftliche Notizen gestoßen. Vieles ist unleserlich, doch SZ-Redakteure haben rekonstruiert, wie es wirklich war. Oder zumindest wie es gewesen sein könnte. Ein - nicht ganz ernstgemeinter - Streifzug durch Stoibers politisches Leben.

Das Wurzelgeflecht

Franz Josef Strauß hat seine möglichen Nachfolger ja immer gerne das Wurzelgeflecht der CSU genannt. Dass das eine eingeschworene Truppe war, in der alle an einem Strang gezogen haben, ist eine der am besten gepflegten Legenden der CSU. Erstaunlich, dass nie jemand dahintergekommen ist, wie es wirklich zugegangen ist.

Von wegen Einigkeit und Freundschaft! Da hat es jede Menge Eifersüchteleien und Rangkämpfe gegeben. Jeder wollte beim großen Meister die Nummer eins sein. Und mit offenen Karten ist da überhaupt nicht gespielt worden, jedenfalls von den anderen nicht. Der Tandler zum Beispiel, mein größter Rivale: Da hast du nie gewusst, was der wirklich denkt, kein Gesichtsmuskel hat bei dem gezuckt.

Ich glaube ja, der Tandler hat mich nicht leiden mögen, wahrscheinlich weil ich studiert habe und er nicht. Einmal waren wir auf einem Fraktionsausflug am Titisee im Schwarzwald. Es war heiß, da haben viele von uns gebadet, ich auch. Der Tandler natürlich nicht, der saß mit Journalisten auf der Terrasse. "Mei, der Edmund ist aber fett geworden", hat er gesagt, als er mich in Badehose gesehen hat. Ist mir später erzählt worden. Dabei war ich allenfalls ein bisschen gut beieinander in dieser Zeit.

Eine Sonderrolle hat der Scharnagl gespielt. Als Chefredakteur vom Bayernkurier hatte der ja gar keine politische Funktion, aber auf den hat der Strauß gehört, das war unglaublich. Wenn der Scharnagl dem Strauß irgendwas geraten hat, konnte keiner von uns ihn mehr umstimmen. Der Scharnagl war mir immer irgendwie unheimlich. Der war noch klüger als der Strauß und hat daraus leider auch kein Hehl gemacht. Wenn der Scharnagl in kleinem Kreis die politische Lage analysiert hat, bin selbst ich mir manchmal wie ein Depp vorgekommen.

Am schlimmsten war der Gauweiler. Wie der sich beim Strauß eingeschleimt hat. Der hat sich wie der Adjutant vom Strauß gefühlt. Am Sarg vom Strauß hat er sogar salutiert. Wenn ein Zivilist salutiert, das sieht vielleicht komisch aus. Die Urlaube mit Strauß waren immer fruchtbar. Die anderen haben gebechert. Und wenn ich dann mit der Unterschriftenmappe kam, hat's immer geheißen: Ach, der Edi schon wieder mit seinen Akten. Klar, dass du da als Spaßbremse giltst. Aber einer musste sich doch um Bayern kümmern. Ich glaube, das schreibe ich gar nicht so genau auf. Legenden soll man pflegen, nicht zerstören.

Peter Fahrenholz

Ein Freund, ein guter Freund

Tja, was schreib' ich jetzt über den Günther? Den Franken, den Unverbesserlichen? Totschweigen wäre ja das Richtigste, wenn einer sich so erhebt gegen mich wie der Beckstein. Unverzeihlich, so eine Revolte. Andererseits, ich will ja jetzt in meinen Erinnerungen doch staatsmännische Milde walten lassen.

Und dann könnt' ich ja zumindest andeuten, dass der Günther all die Jahre schon ein Getreuer war. Natürlich war ich nie angewiesen auf ihn, eher umgekehrt. Aber ein ganz klein wenig hilfreich war der Günther dann schon. Damals, 1993, beim Parteitag der Nürnberger CSU, als er erst meinen Konkurrenten, den Theo Waigel, bei seinen Franken hat antanzen lassen, und als der weg war, mich als fähigsten Bewerber für das Ministerpräsidentenamt ausrief.

Ich weiß bis heute nicht, warum der Theo mir und dem Günther deswegen Hinterhältigkeit vorgeworfen hat. Die Nürnberger haben dem Theo einfach nur die Wahrheit gesagt: dass ich halt der Bessere bin als Ministerpräsident. Und er gerade gut genug als Finanzminister in Bonn. Der Günther wird ja wohl eine Meinung haben dürfen. Und der Günther hatte immer eine Meinung, nämlich meine. Die kleineren Sachen konnte man den Günther schon machen lassen. Aber dass ich damals im Hotelzimmer in Nürnberg gewartet habe, falls er's doch nicht schafft und ich gebraucht werde, um die Stimmung herumzureißen, das muss ich ja nicht aufschreiben.

"Stoibers rechter Diener" hat der Spiegel den Günther mal getauft, weil er mir in den 90er Jahren diese ganzen Asylangelegenheiten vom Hals gehalten hat. Er hätt's halt nur beim Dienen bewenden lassen sollen. Es gibt Leute, die sind nicht so zum Regieren geboren wie ich. Und als der Günther es doch versucht hat, hat ihn die Geschichte gerichtet: 43,3 Prozent nach den über 60, die ich errungen habe. Desaströs. Aber nach mir konnte es ja nur bergab gehen. Sieht man bis heute.

Der Günther hat mir dann später die Freundschaft aufgekündigt. Nur weil ich ihn nicht Bundesinnenminister hab' werden lassen. Und dann so ein bisschen angedeutet habe, dass er's auch als Ministerpräsident nicht bringt. Dass der aber auch alles so persönlich nehmen muss. Soll sich mal ein Beispiel an mir nehmen: Mir ging's nie um mich. Immer um die Sache, die Partei, das Land. Das wär' eigentlich ein hübscher Titel für das Buch.

Annette Ramelsberger

Laptop und Lederhose

Mein Gott, was hat's mich oft schon in der Lederhosn gefroren. Es ist ja im Grunde ein dermaßen unpraktisches Kleidungsstück: im Sommer zu warm, im Winter zu kalt. Und wenn es pressiert, dann kriegt man die Hirschhornknöpfe nicht auf. Die Karin hat gesagt: "Edmund, du bist kein Lederhosentyp, du bist Volljurist, dir muss man die Wadlstrümpf mit dem Einmachgummi festbinden, weil sie sonst dauernd runterrutschen."

Andererseits, wenn ich mir die Gebirgsschützen vorm Oberlanddenkmal in Waakirchen immer angeschaut hab': Mit dem Übergewicht hätten die es 1705 allenfalls bis zum Kolberbräu nach Tölz geschafft - aber nie zu Fuß bis nach Sendling. Das hat mir auch der Gauweiler immer wieder bestätigt: "Die bayerischen Gebirgsschützen mit ihren Stopselflinten sind nur bedingt einsatzbereit, Edmund, im Zweifelsfall ist kein Verlass drauf."

Ja, im Nieselregen vor dem Denkmal in Waakirchen, das waren die Momente, in denen ich mich als Ministerpräsident manchmal in eine bessere Welt weggeträumt habe: Ich hab' mir dann vorgestellt, es sei Urlaub, ich sitze recht gemütlich mit einer guten Flasche Wasser im Büro und lese die zehnte Novelle des Bundesbaugesetzbuches. Ich mag Novellen - aber Lederhosen, niemals!

Wenn ich schon mal dabei bin: Auch mit der Computertechnik hatte ich am Anfang meine Schwierigkeiten. Einmal habe ich im Zimmer von der Constanze (älteste Tochter, d. Redaktion) Fernsehen geschaut. Das Programm war so was von langweilig. Die Constanze hat danach gesagt: Papa, das war bloß der Bildschirmschoner. Ich habe sofort um Mitternacht den Alois Glück angerufen und ihn gefragt: "Alois, könnte das sein, dass die Staatsregierung eine technische Entwicklung verpasst hat?" Aber der Alois hat nur geantwortet, die Fragestellung sei ein Stück weit berechtigt, andererseits aber auch komplex, und ich müsse Obacht geben, nichts zu überstürzen.

Danach habe ich den Erwin Huber in Reisbach angerufen. Der Erwin hat alle meine Bedenken geteilt und mir vor geschlagen, wir könnten doch morgen gleich sämtliche Staatsbeteiligungen verkaufen und mit dem Geld eine Hightech-Offensive von Weltrang auflegen, dass es nur so kracht, samt PP-Partnerships, IT-Kompetenzcluster und Innovationsregionskernen. Das klang plausibel, und so haben wir es dann auch gemacht. Nur für die Modernisierung der Gebirgsschützen ist am Ende leider kein Geld übrig geblieben.

Sebastian Beck

Das Frühstücksei

Bei dem berühmten Frühstück in Wolfratshausen haben wir uns nicht lumpen lassen, die Karin und ich. Sogar Lachs stand auf dem Tisch. Dabei bin ich frühstücksmäßig eher der Müsli-Typ, auch wenn mir das viele nicht zutrauen. Klar war die Merkel blass, als sie ankam, aber sie hat sich nichts anmerken lassen. Das Gespräch kam nur schleppend in Gang. Ich hab' mich mit der Merkel immer schwergetan, dieses Norddeutsch-Protestantische liegt mir irgendwie nicht.

Aber Gott sei Dank hat die Karin über die aktuellen Modefarben für Damenblazer geredet, ob jetzt ein gedecktes Brombeerfarben besser ist oder doch ein kräftiges Lila. Ich habe mich da rausgehalten, da kenne ich mich nicht aus. Mir legt ja die Karin immer alles raus. Das Wort "Kanzlerkandidat" hat die Merkel nicht einmal in den Mund genommen. "Wir wollen, dass Sie das jetzt machen", hat sie gesagt. Von wegen! Als ob sie das gewollt hätte.

Eins ist mir in Erinnerung geblieben: Die Merkel hat ihr Frühstücksei geköpft, zack, mit einem Schlag. Das sieht man bei Frauen selten. Da hätte mir eigentlich schon aufgehen müssen, was für eine Brutalität in dieser Frau steckt. Aber ich wollte im Moment des Triumphes großzügig sein, wollte ihr das Gefühl geben, auf Augenhöhe mit mir zu reden. Statt auf Unterwerfung zu bestehen.

Später hat sich das dann gerächt. Dabei habe ich mich sonst immer bemüht, menschliche Regungen aus der Politik rauszuhalten. Sonst überlebst du ja nicht in diesem Haifischbecken. Lieber mal einen wie den Sauter über die Klinge springen lassen, statt selbst in Bedrängnis zu geraten, war meine Devise. Ob ich das mit dem Frühstücksei jetzt schreiben soll? Besser nicht, sonst kommt man leicht ins Psychologisieren, das ist nicht so meine Stärke.

Peter Fahrenholz

Flucht aus Berlin

Also, da muss ich ja in meinen Memoiren dringend was richtig stellen. Ich hätte mich 2005 vor der Aufgabe in Berlin gedrückt! Ich hätte Angst vor der Merkel gehabt. Und der Schavan! Ich, ausgerechnet ich! Ja, was lassen sich die Leute nur alles einreden. Sogar die eigene Partei. Also gut, jetzt mal nicht für die offiziellen Erinnerungen: Das mit der Schavan hat mich schon gefuchst. Wollte mir ihre Wissenschaftsabteilung nicht abtreten, das renitente Weibsbild. Mir, dem designierten Super-Wirtschafts-Wissenschafts-Aufschwung-Minister.

Und die Merkel hat dann nur gesagt, wir zwei sollten uns mal zusammensetzen. Ja, wo samma denn? Da war mir klar, dass das nicht gutgehen kann. Ich, in Berlin auf Bonsai-Format geschrumpft? Hab' dann nur noch auf einen guten Ausweg spekuliert. Und mit dem Tüchtigen ist das Glück: Tritt mitten in den Koalitionsverhandlungen der Franz Müntefering zurück als SPD-Chef. Schwierige Partei, hatte es auch nicht leicht, der Münte. Aber für mich war's grandios. Wie wär' ich sonst aus der Merkel-Kabinetts-Nummer rausgekommen? Mir von der Pfarrerstochter das Wort erteilen lassen? Und am Ende unterbricht sie mich dann auch noch im Vortrag? Unvorstellbar! Da kam der Müntefering grad' recht.

Ich nix wie vor die Presse und erzähle was von den "Koordinaten der Koalition", die sich verschoben hätten. Und dass ich jetzt auf keinen Fall ins Kabinett eintreten kann. Klang gut, haben mindestens zwei geglaubt - der Martin Neumeyer (Stoibers engster Ratgeber; d. Red.) und ich. Muss mal schauen, wie ich das in den Memoiren formuliere.

Daheim hätten sie sich freuen können, dass ich wieder da bin. Und was war? Nichts als Spott! Ich sei als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet. Sie hätten "keine Verwendung" mehr für mich. Denen hab' ich's gezeigt. Ich zeig's ihnen bis heute. Und der Münte? Macht jetzt Fahrtrainingsstunden, damit er sich mit dem eigenen Auto wieder in den Verkehr traut. Und 'ne junge Frau hat er auch. Brauch' ich nicht. Ich hab' immer noch den Dienstwagen. Und meine Karin.

Annette Ramelsberger

Der Sturz von Kreuth

Dabei hatte ich doch einen Plan! Der Neumeyer hatte ihn mir aufgeschrieben. "Pyramide der Entscheidungsoptionen" hat er das genannt. Ganz oben die weitestgehende Variante: "1. Regieren auf ewig." Geht leider heutzutage wegen Demokratie und so nicht mehr - also gestrichen. "2. Regieren bis zum Umfallen." Ein Stoiber fällt nicht um - gestrichen. "3. 2008 wieder antreten und weiter regieren." Gute Idee. Bis 2011 vielleicht und dann Stabübergabe? Das hätten die Stamms, Glücks und so gerne gehabt - nix da.

Wer mich kennt, weiß, dass ich keine halben Sachen mache. Also bis 2013. Darauf haben wir uns geeinigt und sind nach Kreuth gefahren. Kann ich aber leider alles nicht schreiben, sonst wird der Neumeyer noch weiter degradiert und am Ende Sachbearbeiter Hospizwesen im Sozialministerium.

Und dann: diese Krauterer in Kreuth. Planen einen Putsch, vor laufender Kamera im Pressekonferenzraum. Wie dilettantisch. Durchhalten, hat der Neumeyer gesagt, wer in der Küche steht, muss Hitze vertragen können. Bevor ich wieder nach München fahre, sag' ich zum Beckstein noch: Red halt mal mit dem Erwin Huber. Brillant! Das wäre das Ende des Putsches gewesen. Wer hätte denn gedacht, dass die sich einigen? Die beiden? Das war doch so wahrscheinlich wie dass ich den Alfred Sauter wieder ins Kabinett hole!

Der nächste Morgen, ein Donnerstag, das Land in Aufruhr. Der Kurt Faltlhauser kommt in mein Büro. Er nimmt ein Blatt und malt seine Pyramide der Entscheidungsoptionen auf. "1. Regieren bis 2013" - geht nicht mehr, gestrichen. "2. Regieren bis 2011 oder so" - geht jetzt auch nicht mehr. "3. Zurücktreten." Niemals! Ich zerreiße das Papier und entwerfe Option 4: "Regieren noch bis September, dann als CSU-Chef nicht mehr antreten, diesbezüglich also Rücktritt vermeiden, stattdessen neunmonatige Huldigungstour durchs Land, Vorfestlegung der Landespolitik für die nächsten Jahre erreichen."

Was ich nicht dazu geschrieben habe: Ich musste ja nur still warten, bis mich die Wähler zurückrufen würden; neun Monate sind eine lange Zeit. Der Kurt ist von der Idee begeistert, ich sowieso. Wir holen den Neumeyer dazu, der nickt. Also ist alles beschlossen. Zum ersten Mal in all den Jahren habe ich die Zeit, in meinem Büro aus dem Fenster zu blicken. Draußen tobt ein Sturm. Kann man alles natürlich nicht so offen schreiben.

Was kann ich denn bitte dafür, dass sich das Volk an meinen Plan nicht hält? Weh getan hat mir Kreuth schon, ich bin ja auch ein Mensch.

Kassian Stroh

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