Edmund Stoiber zum 70. Geburtstag:Der Zauderkünstler

Edmund Stoiber ist ein Mann, der zu viel konnte. Am Ende haben seine eigenen CSU-Freunde ihn gestürzt. Doch vier Jahre später steht fest: Dem ehemaligen Strauß-Schüler, Generalsekretär, Parteichef, Kanzlerkandidat, Ministerpräsident und Euro-Skeptiker geht es besser als der Partei, die ihn gestürzt hat.

Heribert Prantl

Es ist erst vier, fünf Jahre her, dass die CSU ihren Vorsitzenden und Ministerpräsidenten gestürzt hat. Wenn man ihn heute sitzen, reden und hantieren sieht, muss man feststellen, dass der Gestürzte seinen Sturz besser verkraftet hat als die Partei, die ihn gestürzt hat. Es geht Edmund Stoiber besser als der CSU. Er ist aufgeräumter als früher, was man von der Partei nicht sagen kann. Und er ist so leidenschaftlich wie früher, was man von der Partei auch nicht sagen kann. Nicht er ist in ein Loch gefallen, sondern die Partei.

Edmund Stoiber CSU, Landtagswahl Bayern 2013

Fast 15 Jahre regierte Edmund Stoiber den Freistaat - dann stürzte die CSU ihren Parteichef und Ministerpräsidenten.

(Foto: dpa)

Etliche von denen, die ihn damals vom Thron gedrängt, gezerrt und gestürzt haben, kriegen heute leuchtende Augen, wenn sie von ihm reden. Vielleicht nicht unbedingt wegen Stoiber, auch nicht wegen seines 70. Geburtstags, der an diesem Mittwoch im Münchner Prinzregententheater gefeiert wird; sehr wohl aber wegen der großen, alten Zeiten, die er jetzt verkörpert. Die CSU kann aus eigener Kraft nicht mehr regieren, ist halt nur noch eine ganz normale Partei; und Edmund Stoiber ist der Letzte, unter dem sie noch Staatspartei war. Früher, als die CSU noch lateinisch redete, hätte sie gesagt: Sic transit gloria mundi, so vergeht der Glanz der Welt. Stoiber war noch "gloria mundi".

Bis Stoiber, und unter ihm gleich gar, bezog die CSU ihr Selbstbewusstsein daraus, dass sie eben keine normale Partei war. Er hat sie in die höchsten Höhen gehoben, aus denen die Partei dann, am Ende der Stoiber-Ära, gefallen ist. Er hat in vielen Wahlen sogar seinen Mentor Franz Josef Strauß überflügelt. Auch dem Amt des Bundeskanzlers war er viel näher als Strauß; bei der Bundestagswahl 2002 mit dem Kandidaten Stoiber hat nicht viel zum Kanzler, bei der von 1980 mit Strauß sehr viel gefehlt.

Die Ära Stoiber war das große Finale der großen Zeit der CSU. Die letzten drei seiner 14 Jahre als bayerischer Ministerpräsident freilich waren zugleich der Anfang der neuen bösen Zeiten für die CSU; aber das hat er verdrängt. Er redet nicht abfällig-kritisch über seine Nachfolger, und betont auch gleich, dass er sich dazu nicht drängen lasse. Er weiß, dass der Vergleich gut ausfällt für ihn; das macht ihn gelassen. Also nimmt er sich Zeit für ein Mittagessen, bei dem es, anders als früher, mehr gibt als einen nackten Salat und eine Flasche Wasser, nämlich einen Salat mit Putenstreifen und ein Glas Wein mit Wasser gemischt. Nicht dass er jetzt, mit siebzig, ein Genussmensch geworden wäre. Aber er genießt es, wenn er gefragt wird und er dabei trumpfen und auftrumpfen kann mit Erfahrungen, die seine Nachfolger nicht mehr haben.

Lieber als über Horst Seehofer und dessen Kabinett redet Stoiber über Gott und die Welt und Europa. "Man hat seine Verantwortung gehabt", so erklärt er, "jetzt sind andere in der Verantwortung. Da kommentiert man nicht mehr jeden Spielzug von denen - weil es auch der Partei nichts nutzt." Er sagt das und bedauert zugleich, dass es bestimmte Spielzüge gar nicht mehr gebe. Außenpolitik? Außenpolitik für Seehofer ist es, wenn er nach Berlin fliegt. Das sagt Stoiber natürlich nicht so, aber er hadert schon damit, dass Außenpolitik kaum noch eine Rolle spielt in der Partei. Er sagt maliziös, dass Seehofer "die außenpolitischen Dinge noch intensiver ansprechen könnte". Da fehlt halt das Strauß-Gen. Fehlt der CSU womöglich noch mehr als die Außenpolitik, fehlt ihr der intellektuelle Überbau? Da schweigt des Stoibers Höflichkeit: "Das haben Sie gesagt", antwortet er.

Edmund, der Weise

In der Europapolitik gibt Edmund Stoiber den Weisen, der jetzt mit den Fehlern leben muss, die Kohl, Waigel und die anderen einst "gegen meinen Widerstand" gemacht haben: Der Euro sei "gegen meine Vorstellung eingeführt" und dann Griechenland "gegen meine Kritik in die Euro-Zone aufgenommen worden", klagt er. Ja schon, es habe sich vieles leider genauso entwickelt, wie er es damals gefürchtet hat. 1983, es war in seinem letzten Jahr als CSU-Generalsekretär, hat ihn, so stand es damals in der SZ zu lesen, eine bedrückende Vorstellung vom europäischen Haus geplagt: "Die Front ist von solider deutscher Wertarbeit, die Seitenflügel und das Rückgebäude bestehen aus Holzverschlägen und aus Pappmaché, das haben die Italiener, die Franzosen und die Griechen gebaut!" Wenn man ihn an diese Beschreibung erinnert, könnte er nun, auf gut Bairisch, sagen: Und jetzt haben wir halt den Dreck im Schachterl!

60 Jahre Bundesrepublik - Rücktritt Stoiber

Am 18. Januar 2001 erklärt Edmund Stoiber in der Staatskanzlei seinen Rücktritt von allen Ämtern.

(Foto: dpa)

Aber seitdem Stoiber ehrenamtlich in Brüssel arbeitet, seitdem er dort Europa zu entbürokratisieren versucht und zum luxemburgischen Ministerpräsidenten Juncker, zum Chef der Euro-Gruppe also, "mein Freund Jean-Claude" sagt, seitdem ist Stoiber kein wilder Anti-Europäer mehr. Er lamentiert zwar darüber, dass die Griechen sich "hineingeschwindelt haben" in die Euro-Zone, aber jetzt, sagt er, "haben wir sie halt", jetzt könne man sie nicht mehr einfach hinauswerfen: "Was ist denn, wenn Griechenland pleitegeht. Was ist denn dann los in diesem Land? Banken werden gestürmt, Hunderttausende Menschen auf der Straße, die kriegen keine Gehälter mehr bezahlt, nichts mehr, aus, Schluss. Ich weiß nicht, ob die Demokratie dort das überlebt."

Stoiber hat den Euro damals nicht gewollt; heute will er ihn, weil er sonst nicht weiß, wie es weitergehen soll mit Europa. Er hat damals die "Krönungstheorie" vertreten: Er wollte "erst eine politische Union und dann, anschließend, als Krönung, den Euro. Kanzler Kohl dagegen habe "aus einer Reihe von Gründen, das hängt sicher auch mit der Wiedervereinigung zusammen" aus der Krönungstheorie die Motortheorie gemacht: "Der Euro sollte die politische Union herbeizwingen." Das hat bisher aber nicht so besonders funktioniert.

Stoiber will trotzdem kein Rechthaber sein: Er will den Euro nicht abschaffen, man könne einfach nicht mehr zurück, man könne zwanzig Jahre nicht so mir nichts dir nichts abwickeln, man könne auch Griechenland nicht so einfach hinauswerfen, weil sonst bald das nächste Land auf der Rauswurfliste stünde. Was also tun? "Eine Brandmauer einziehen." Und woraus soll die bestehen? Soll Griechenland unter Brüsseler Kuratel gestellt werden? Stoiber mag es so nicht nennen, aber irgendwie so soll es seiner Ansicht nach laufen.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Stoiber ist heute viel unterwegs zwischen München und Brüssel. Dort hätte er - Kanzler Schröder hatte ihm das 2005 angeboten - das sein können, was José Manuel Barroso heute ist: Präsident der EU-Kommission. Aber Stoiber hat, wie so oft in seinem Leben, gezaudert. Er ist ein Zauderkünstler. Vielleicht hatte er das Gefühl, dass die europäischen Akten sogar über die Kräfte eines Aktenfressers wie ihn gehen.

Edmund, der Zauderer

Stoiber glaubt nicht an kuenftige Europa-Begeisterung

Edmund Stoiber hätte so viel werden können: Bundespräsident, Bundesminister. Doch er blieb lieber in Bayern.

(Foto: ag.ddp)

Gezaudert hat er auch, als er Bundespräsident hätte werden können. Da war er noch im Rausch des Regierens, ein Kontemplieren im Schloss Bellevue erschien ihm nicht gemäß. Jedenfalls: Der Mann, der in Brüssel der Hausmeier, also der Chef der Verwaltung, hätte sein können, ist heute dort Hausmeister, einer, der die überflüssigen Paragraphen aus den Paragraphentürmen hinauskehrt. Aber auch das macht er mit rasender Akribie, mit eben der Lust, mit der er sein ganzes Leben Politik gemacht hat. Er ist kein Grübler, keiner, der sein Leben absucht mit der Wünschelrute und der Frage "Was wäre gewesen, wenn?" Das alles hat dazu geführt, dass aus dem nationalkonservativen Stoiber von einst ein gemäßigter Europäer geworden ist; ein "Vernunft-Europäer", wie er sagt.

Es reut ihn zwar nicht, dass er vor 15 Jahren als Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission die "Vereinigten Staaten von Europa" aus dem Parteiprogramm gestrichen hat. Die will er nach wie vor nicht: "Das ist ein völlig falscher Ansatz, und wer das heute fordert, weiß nicht, was er tut." Europa sei nun einmal "ein Kontinent der Vielfalt mit unterschiedlichen Mentalitäten und unterschiedlichen Sprachen". Die EU sei und bleibe ein "Staatenverbund sui generis", ein Staatenverbund freilich, der sich als eine politische Union darstellen müsse mit "gemeinsamen Standards in der Finanz- und Wirtschaftspolitik". Die dafür notwendigen Operationen müsse man nun "am lebenden Organismus" machen.

Wenn Stoiber die Schuldenmacherei der europäischen Staaten anprangert, dann verwandelt er sich, zwischen Salat und Dessert, in den alten Bierzelt-Stoiber, und er wird lauter, als es im edlen Restaurant sein müsste: "Die Europäische Union hat insgesamt 10 000 Milliarden Euro Schulden. Und die Krise, die wir heute haben, hängt damit zusammen, dass wir uns halt Geld pumpen müssen auf den Finanzmärkten." Es müsse ganz anders laufen, idealiter so wie bei Bayern München. Wenn der Uli Hoeneß einen neuen Spieler kaufen will, dann spaziert der "an der Kreditabteilung der Bank vorbei, stattdessen geht er zur Festgeldabteilung, löst ein Konto auf und verpflichtet den Neuen".

Stoiber sieht nicht nur den Fußballverein Bayern München, sondern das Land Bayern überhaupt als Vorbild für Europa: Er, Stoiber, habe damals als bayerischer Ministerpräsident einen rigiden Sparkurs und einen ausgeglichenen Haushalt durchgesetzt. Verglichen mit dem, "was jetzt die Italiener, die Griechen, Portugiesen und die Iren" machen müssen, sei der bayerische Sparkurs natürlich "ein Wellnessprogramm" gewesen. Aber Bayern habe eben seit jeher besser gewirtschaftet.

Es klingt immer ein wenig besessen: Bayern muss Vorbild werden, Bayern muss Vorbild sein, Bayern muss Vorbild bleiben. Das ist der schwarze Faden im Leben des Edmund Stoiber. Da gibt es ein Urerlebnis, so erzählt er es jedenfalls: Zu Beginn der fünfziger Jahre, schleppte der kleine Edmund den Kurgästen, die aus Wanne-Eickel und Düsseldorf nach Oberaudorf kamen, die Koffer in die Pension. Da war er zehn Jahre alt, ein Bub aus kleinen Verhältnissen. An die Bemerkungen, die sie über Bayern machten, erinnert er sich bis heute: "Wunderschönes Land, bisschen langsam, bisschen zurückgeblieben, bisschen doof." Damals hat es, sagt er, in ihm zu nagen begonnen. Dann hat ihn seine Mutter aufs Gymnasium nach Rosenheim geschickt und ihn, als er seine alten Volksschulfreunde kaum noch traf, mit dem Satz getröstet: Wenn er dort gut lerne, werde er "vielleicht auch einmal ein so großer Politiker wie Adenauer".

Ein Adenauer wurde er nicht. Er wurde Jurist, der über die "Straftaten gegen die öffentliche Ordnung" promovierte, er wurde der Aktentaschenträger von Strauß, er wurde der bienenfleißige Bayern-Reformator, der immer wieder eine neue Rolle spielte, aber dabei stets so wirkte, als würde er über dem Jackett eine schwarze Juristenrobe tragen.

Es gab den Grundrechts-Zertrümmerer Stoiber, der aus dem Asylrecht schon 1991 ein Gnadenrecht machen wollte; es gab den Herz-Jesu-Marxisten Stoiber, der den Unternehmern ins Gewissen redete; es gab den Unternehmerfreund Stoiber, der ihnen Steuererleichterungen versprach; es gab den Staatsmanager Stoiber, der die Unternehmen im Staatsbesitz privatisierte und verscherbelte und dabei mitunter so brachial vorging, dass ihm frühere Anhänger die Gefolgschaft verweigerten. Manche nannten Stoiber, nicht nur wegen des gern schiefgelegten Kopfes, den "Ratzinger der Politik". Und in all diesen Stoibers steckte immer der hitzige Redner Edmund, der Bandwurmsätze sagen kann, die nirgendwo enden, und die nicht nur Parteitage umschlingen können. "Bei mir waren die Bierzelte immer voll", jubiliert er, das "war meine Bestätigung". Deswegen habe er die "Häme und den Spott" ausgehalten, der über ihm "fast noch mehr als über Strauß" ausgeschüttet worden seien. Da hätten die Süddeutsche und der Spiegel schreiben können, was sie wollten, als "Massenredner" habe er das alles abschütteln können.

Wie er das gelernt hat, die Sau rauszulassen vor großem erwartungsvollen, volksfestgestimmten Publikum? Von Strauß? Hat er zu Hause geübt? Es war anders. "Strauß hatte die Eigenheit, dass er oft eineinhalb Stunden zu spät gekommen ist." Dann war Stoiber das Vorprogramm. Er war aber nur "eingestellt auf zehn Minuten, aber das dauerte dann sechzig bis neunzig". Und da habe er halt reden und reden müssen, sich hineinreden in die Leidenschaft, die ihn selbst und die Leute mitriss - schreiend und schwitzend; er hat sich verausgabt. "Ich war", so beschreibt er sich, "vielleicht nicht der geschliffenste Redner, aber der leidenschaftlichste."

In Wahlkämpfen hat er einst in den Saal gerufen: "Hier steht ein Ministerpräsident, der brennt." Als er dann den Kampf um die Kanzlerschaft gegen Schröder knapp verloren hatte, brannte er auf Revanche und wollte daher in Bayern zeigen, wie man Reformen wirklich anpackt. Dabei hat er sich selbst verbrannt und die CSU angesengt. Er reformierte so lange herum, bis selbst die Obersten Richter und die Förster, die treuesten der CSU-Treuen, die Stoiber-CSU für überspannt hielten. Um zu zeigen, wie ernst ihm die Reformerei ist, löste er sogar das traditionsreiche Bayerische Oberste Landesgericht auf. Von seinen Fehlern ist das der einzige, den er wirklich einräumt: "Das würde ich wahrscheinlich heute anders machen."

Im Vorspann zur Fernsehserie "Das Königlich Bayerische Amtsgericht" heißt es: "Das Bier war noch dunkel, die Menschen war'n typisch; die Burschen schneidig, die Dirndl sittsam und die Honoratioren ein bisserl' vornehm und ein bisserl' leger. Es war halt noch vieles in Ordnung damals." An die Ära Stoiber wird man sich in der dahinmickernden CSU bald so ähnlich erinnern. Es war, abgesehen von den letzten drei Jahren, die große Zeit der CSU. Was fast am Ende der bayerischen Monarchie der Prinzregent Luitpold war, ist in der Geschichte der CSU Edmund Stoiber. Kein großer Gestalter, aber ein großer Verwalter. Der Mann aus der alten Zeit der CSU.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: