Schließung im Chemiedreieck:Söder und Aiwanger warnen vor "wirtschaftspolitischem Desaster"

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Luftaufnahme vom Chemiepark Gendorf im oberbayerischen Burgkirchen. (Foto: Heiner Heine/Chemiepark Gendorf)

Batteriespeicher, Windräder, Chips: An den Kunststoffen von Dyneon hängen wichtige Technologien. Dennoch will der US-Mutterkonzern das Werk in Burgkirchen stilllegen - mit weitreichenden Folgen.

Von Matthias Köpf, Burgkirchen

Wie eng verflochten die Unternehmen im Chemiepark Gendorf im oberbayerischen Burgkirchen sind, das lässt sich schon an den Rohrleitungen ablesen. Unzählige davon spannen sich hoch über dem Boden kilometerweit über das 190 Hektar große Gelände. 30 Unternehmen gibt es hier, darunter acht große Chemieproduzenten. Einer davon stellt Fluorpolymere her, die nicht nur hier im Chemiepark von anderen Firmen gebraucht werden, sondern von der Industrie in ganz Europa.

Mehr als 40 Prozent des europäischen Markts bedient Dyneon mit manchen Produkten, bei einzelnen Substanzen ist es sogar der einzige Lieferant auf dem gesamten Kontinent. Und doch will die US-Konzernmutter 3M das Dyneon-Werk in Gendorf bis Ende 2025 stilllegen. Das hat inzwischen auch die bayerische Politik alarmiert. Am Donnerstag haben Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) bei einem Besuch im Chemiepark der Branche und der Region ihre Unterstützung zugesagt.

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Im bayerischen Chemiedreieck im Landkreis Altötting gehe es um "genau die Zukunftsindustrie, die wir dringend brauchen", sagte Söder. Dyneon sei darin "ein Schlüsselunternehmen". Denn die Fluorpolymere, die zu großen Teilen im Verdacht stehen, Krebs und andere Gesundheitsschäden verursachen zu können, werden nicht nur für Beschichtungen etwa von Bratpfannen oder wetterfester Kleidung gebraucht. Für solche Anwendungen gibt es längst Ersatz. Bisher unverzichtbar sind solche Substanzen nach Angaben von Industrievertretern jedoch, um etwa Rohre und Tanks in Produktionsanlagen auszukleiden, um Membranen für Brennstoffzellen herzustellen und um Batteriespeicher, Windradflügel, Mikrochips, Wasserstoff-Elektrolyseure und bestimmte Medizintechnik zu produzieren. Im schlechtesten Fall könne all das in Europa bald nicht mehr hergestellt werden, warnte Aiwanger.

Denn 3M steht in den USA unter juristischem Druck und sieht sich vor Forderungen gestellt, für Gesundheits- und Umweltschäden aus der Produktion solcher per- und polyfluorierter Chemikalien (PFAS) aufzukommen. Letzteres gilt in ähnlicher Weise auch für Dyneon in Gendorf, wo es bis 2003 die Perfluoroctansäure (PFOA) hergestellt und noch bis 2008 verarbeitet hat. Spuren dieser in der EU seit 2020 verbotenen Substanz finden sich noch heute im Boden und im Grundwasser der Region. Das Unternehmen kommt mit einigen anderen Nachfolgefirmen des einstigen Herstellers Hoechst etwa für wirksame Filteranlagen bei den regionalen Trinkwasserversorgern auf. Aus dem ehemaligen Gendorfer Hoechst-Werk ist in den Neunzigerjahren der heutige Chemiepark geworden.

Die PFAS-Produktion könnte in der EU bald schon verboten sein

Doch zugleich begründet 3M, bei dem die PFAS-Produktion nur etwa drei bis fünf Prozent des Konzernumsatzes ausmacht, den Ausstieg auch mit regulatorischen Risiken. Denn inzwischen geht es auf europäischer Ebene um ein vollständiges Verbot der Tausende einzelner Substanzen umfassenden Stoffgruppe der PFAS, die auch "Ewigkeitschemikalien" genannt werden, weil sie kaum natürlich abbaubar sind. Die deutsche Bundesregierung treibt zusammen mit Norwegen, Schweden, Dänemark und den Niederlanden innerhalb der EU ein solches Verbot voran, das je nach Stoff teils schon in eineinhalb Jahren und teils erst in zwölf Jahren wirksam würde.

Aus Sicht von Industrievertretern aus dem bayerischen Chemiedreieck würde Europa auf diese Weise aber eine Schlüsseltechnologie preisgeben und sich existenziell von Zulieferungen aus China, Indien, Japan oder den USA abhängig machen - im Maschinenbau, der Autoindustrie und auch in erklärten Zukunftsbranchen wie der Produktion erneuerbarer Energien und der Chipherstellung, bei der Europa die Abhängigkeit von externen Lieferanten ausdrücklich verringern will. Zudem soll nicht nur die Herstellung, sondern auch der Import von PFAS grundsätzlich verboten werden, allerdings zunächst mit der Möglichkeit, Ausnahmen und Fristverlängerungen zu beantragen.

Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger nennt das "ein wirtschaftspolitisches Desaster, hausgemacht auf Bundes- und europäischer Ebene". Auch für den Ministerpräsidenten ist es "ein schwerer Fehler", die wirtschaftlich nach wie vor profitable PFAS-Produktion in Gendorf stillzulegen, die inzwischen als modernste und sauberste weltweit gilt. Denn auch ein anderes Unternehmen wird das Werk nach bisherigen Stand kaum übernehmen können. 3M will weder Dyneon noch dessen Anlagen verkaufen und - fast noch wichtiger - auch nicht seine einschlägigen Patente. Dies interpretiert nicht nur der Altöttinger Landrat Erwin Schneider (CSU) als Versuch einer besonders demonstrativen Abkehr von PFAS, um in anstehenden Schadenersatzprozessen in den USA auf das eigene Wohlverhalten verweisen zu können.

Nicht nur die 680 Arbeitsplätze bei Dyneon stehen auf dem Spiel

Rein regional stehen in Gendorf bei Dyneon direkt 680 Arbeitsplätze auf dem Spiel, dazu womöglich Hunderte weitere bei anderen mit der Dyneon-Produktion verflochtenen Unternehmen. Insgesamt arbeiten im Chemiepark Gendorf etwa 4000 Menschen. Die Dyneon-Mitarbeiter dürfen sich vergleichsweise gute Chancen ausrechnen, bei anderen Unternehmen im Chemiedreieck unterzukommen. Wie hingegen die Chancen stehen, die Produktion von Dyneon und das Werk zu halten und die europaweiten Lieferketten nicht abreißen zu lassen, dazu wollen sich die Pessimisten nicht öffentlich zitieren lassen - und Optimisten sind kaum zu finden. Wenn aber nun die Mitarbeiter abwandern, wird Dyneon ohnehin kaum mehr zu retten sein, warnt der Sprecher des Interessenverbands Chemdelta Bavaria, Bernhard Langhammer.

Im aufziehende Landtagswahlkampf versprachen Söder und Aiwanger am Donnerstag Hilfen für die Region, politischen Druck in Berlin und Brüssel und weiteren Einsatz bei 3M für Dyneon. "Gleichzeitig wissen wir, dass Konzernentscheidungen Konzernentscheidungen bleiben", sagte Söder. Die Möglichkeiten der Staatsregierung seien da "nicht allumfassend".

Gleiches gilt für die bayerische SPD, die sich ebenfalls am Donnerstag per Pressemitteilung erklärte. "Wir wollen die Arbeitsplätze im Chemiepark erhalten, deshalb stehen wir an der Seite der Beschäftigten und der Gewerkschaft", sagte demnach die bayerische SPD-Co-Vorsitzende Ronja Endres. Es gehe aber auch darum, "dass wir nicht in noch mehr Abhängigkeiten von Drittstaaten rutschen". Deshalb will sich auch SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn erklärtermaßen "für den Erhalt von Dyneon im Bund und auf europäischer Ebene stark einsetzen". Es sei niemanden geholfen, wenn die Fluor-Kunststoffproduktion in andere Länder mit oft deutlich schlechteren sozialen und ökologischen Standards verlagert werde.

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