Interview am Morgen: Flüchtlinge:"Wen wir abschieben, ist für mich nicht nachvollziehbar"

Verzehnfachung der Asylverfahren

Sie haben sich gut integriert, verfügen über einen Arbeitsplatz - und müssen oft trotzdem Deutschland verlassen: Ein neues Gesetz soll nun Rechtssicherheit für geduldete Ausländer schaffen.

(Foto: picture alliance / Sven Hoppe/dp)

Deutschland soll ein Gesetz zur Duldung von Ausländern mit Job bekommen. Der Unternehmer Thomas Strobl spricht darüber, wie schwer es ihm gemacht wird, eine gut ausgebildete Fachkraft zu halten.

Interview von Martin Moser

Zahlreiche Unternehmer in Deutschland haben Flüchtlingen eine Ausbildung ermöglicht und damit Angela Merkels "Wir schaffen das" umgesetzt. Die Voraussetzung im Fall von geduldeten Ausländern bildet die sogenannte 3+2-Regelung, drei Jahre Ausbildung, danach sollte man noch für mindestens zwei weitere Jahre den Mitarbeiter im Unternehmen behalten dürfen. Doch die Bedingungen dafür waren oftmals nicht allen klar, die Unsicherheit in den Betrieben dafür umso größer.

Die Bundesregierung will nun mit einem Gesetz zur Beschäftigungsduldung dafür einen rechtlichen Rahmen schaffen. Menschen, die ihren Lebensunterhalt selber sichern und gut integriert sind, würden dadurch einen 30-monatigen Aufenthaltsstatus erhalten.

Die Firma von Thomas Strobl wäre davon betroffen. Er hat 2015 zwei Flüchtlinge in seinem Vertriebsunternehmen für Outdoor-Produkte eingestellt: Mahmud und Atif. Der eine flüchtete aus Syrien und darf nach einem positiven Asylbescheid im Lager des Unternehmens arbeiten. Bei Atif ist die Sache komplizierter, weil er während seiner Ausbildung in Deutschland nur geduldet wurde - und damit begannen die Probleme für den Unternehmer Strobl.

SZ: Herr Strobl, wie geht man als Chef damit um, wenn ein Mitarbeiter jede Minute von der Polizei abgeholt und abgeschoben werden könnte?

Thomas Strobl: Für uns war das schlimm. Wir haben Atif 2015 eingestellt. Damals wurde uns mitgeteilt, dass es eine 3+2-Regelung gibt. Also drei Jahre Ausbildung und dann könne er auf jeden Fall noch zwei Jahre bleiben; vielleicht sogar nochmal verlängern, wenn er sich gut integriert, keine Straftaten begeht und selbstständig seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Seine Ausbildung war diesen Juni zu Ende, wir waren schockiert, als es plötzlich hieß: Atif kann abgeschoben werden. Von dem Versprechen der 3+2-Regel wollte man bei den Behörden auf einmal nichts mehr wissen. Da waren wir völlig perplex und haben die Welt nicht mehr verstanden.

Was hätte eine Abschiebung für Ihr Unternehmen bedeutet?

Atif ist ein sehr netter Kollege, der sich hervorragend integriert hat. Für uns wäre eine Abschiebung menschlich nicht nachvollziehbar gewesen. Er ist aber auch ein guter, wertvoller Mitarbeiter für die Firma. Er hätte eine Lücke hinterlassen, was für uns finanziell betrachtet, ein großer Verlust gewesen wäre. Wir haben ihn drei Jahre ausgebildet, das kann man nicht so leicht wieder neu besetzen. Wir haben 2015 nach Mitarbeitern gesucht und so gut wie keine Bewerber gehabt. Unser Sitz ist in Eurasburg im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Da ist es ein bisschen schwer, mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinzukommen und wir konkurrieren mit vielen Arbeitgebern in München. Deswegen waren wir eigentlich ganz froh, dass wir Atif bekommen konnten.

Hätten Sie Atif trotzdem angestellt, wenn Sie vorab gewusst hätten, dass die 3+2-Regelung so unsicher ist?

Den Menschen Atif hätte ich natürlich angestellt. Vom unternehmerischen Standpunkt aus ist es jedoch anders: In einer Ausbildung ist es ja so, dass man auf jeden Fall die erste Hälfte bis zu zwei Drittel der Zeit in eine Person investiert und man dann vielleicht im letzten Jahr als Unternehmen etwas zurückbekommt. Aber vor allem soll die Person danach ein vollwertiger Mitarbeiter werden. Wenn diese Sicherheit vor Abschiebung nicht garantiert ist, macht es für mich keinen Sinn, so jemanden einzustellen.

Thomas Strobl

Der Unternehmer Thomas Strobl wünscht sich mehr Rechtssicherheit für Betriebe, wenn diese geduldete Ausländer beschäftigen.

(Foto: oh)

Was müsste sich dafür ändern?

Dass es endlich Rechtssicherheit für uns Unternehmer gibt, eine klare Richtlinie, wie die gesetzlichen Regelungen aussehen. Die auf 2022 zu befristen, wie nun in dem Gesetzentwurf geplant, ist kein gutes Signal. Man stellt jemanden ein, damit er langfristig im Unternehmen bleibt. Bei uns ist das zumindest so.

2015 waren viele euphorisch und dachten, wie unsere Kanzlerin so schön gesagt hat: "Wir schaffen das." Wir wollten damals als Unternehmen auch unseren Beitrag dazu leisten und haben zwei Flüchtlingen eine Chance geboten, die beide wahrgenommen haben. Sie müssen sich vorstellen, das sind bei 20 Mitarbeitern immerhin zehn Prozent unserer gesamten Belegschaft. Wenn das bei vielen anderen Firmen auch so gelaufen wäre, wären heute deutlich mehr Flüchtlinge integriert. Es darf aber nie aus reinem Altruismus geschehen, sondern muss auch immer eine gute Investition für die Firma sein.

Eine Investition, die Sie die vergangenen Jahre viele Nerven gekostet hat?

Die Bürokratie war sehr aufwendig für uns. Man darf auch keine Fehler machen. Zum Beispiel war mir nicht klar, dass Atif mit Beendigung seiner Ausbildung keine Arbeitserlaubnis mehr hatte. Hätte ich ihn weiterbeschäftigt, hätte ich eine Straftat begangen. Das sind lauter solche Fallstricke. Wir sind ein kleines Unternehmen und wollen eigentlich Schlafsäcke und Goretex-Jacken verkaufen und uns nicht mit so einem Zeug rumärgern müssen.

Die Konsequenz war also, dass Atif nach seiner Ausbildung nicht mehr im Unternehmen arbeiten durfte und ihm die Abschiebung drohte. Schieben wir im Moment die falschen Personen ab?

Das kommt auf den Einzelfall an: Wenn man ihn abgeschoben hätte - was ja zunächst geplant war - dann aber auf jeden Fall. Die Prüfung, wen wir abschieben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wobei ich die Verantwortung dafür nicht auf die örtliche Ausländerbehörde abwälzen möchte, eher auf die Politik in Berlin. Die Sachbearbeiter in Bad Tölz haben wenigstens versucht, uns mit gutem Menschenverstand zu helfen.

Was am Ende auch Erfolg hatte.

Ja. Atif hat im Juli einen Aufenthaltstitel für drei Jahre bekommen und arbeitet wieder für uns. Diesen Aufenthaltstitel kann er normalerweise mehrmals verlängern. Normalerweise - hunderprozentige Sicherkeit gibt es aber im Moment noch nicht. Es wäre schön, wenn sich das künftig ändern würde.

Zur SZ-Startseite

Fachkräfte
:Was sich mit dem Einwanderungsgesetz ändern soll

Die Pläne der Koalition sehen Lockerungen für Qualifizierte und für Ausreisepflichtige vor - aber nur, wenn sie einige Voraussetzungen erfüllen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: