Süddeutsche Zeitung

Dürre:Was von der Donau übrig bleibt

Bayerns großer Strom führt derzeit so wenig Wasser wie noch nie zuvor. Das behindert nicht nur den Verkehr. Naturschützer machen sich sogar schon Sorgen um die Fische.

Von Max Ferstl, Straubing

Dort, wo sonst Wasser fließt, steht ein Zelt. Es ist im ausgedorrten Flussbett aufgebaut worden, wo die Uferbäume noch Schatten spenden gegen die drückende Sonne. 35 Grad, mal wieder. Um das Zelt herum ist die Erde an manchen Stellen aufgeplatzt wie rissige Haut. Normalerweise mündet hier bei Straubing die Kößnach in die Donau. "Ein Zelt", sagt Josef Mauerer, "gehört sicher nicht hierher."

Doch das Wasser der Flüsse verdampft in der Hitze, die schon seit Wochen übers Land flirrt. Weil es außerdem kaum regnet, sinkt der Wasserstand. Größere Flüsse ziehen sich immer weiter in ihr Bett zurück, kleinere trocknen ganz aus. Vor Kurzem wurde an der Donau, Bayerns wasserreichstem Fluss, der niedrigste Pegel aller Zeiten gemessen: 1,38 Meter - drei wären normal. Wer will, kann an einigen Stellen vom einen Ufer zum anderen waten.

Eigentlich hat der Mensch vorgesorgt für trockene Perioden. An vielen Stellen hat er Staustufen in die Donau gerammt, die den Pegel relativ konstant halten. Doch in Niederbayern, zwischen Straubing und Vilshofen, fließt sie frei - hier lässt sich das fehlende Wasser nicht kaschieren. Im Juni liefen erst bei Pfelling, später bei Deggendorf Schiffe auf Grund und blockierten tagelang die wichtige Wasserstraße vom Schwarzen Meer bis nach Rotterdam. Die meisten Transportschiffe können zurzeit nur noch ein Viertel der üblichen Last laden. Schwere Kreuzfahrtschiffe meiden die Donau schon seit Wochen.

Und Fischer wie Josef Mauerer blicken mit in Falten gelegter Stirn hinaus auf den Fluss. "So extrem habe ich die Donau noch nie erlebt", sagt Mauerer, der zweite Vorsitzende des Straubinger Bezirksfischereivereins. Mauerer muss gegen den Fahrtwind anschreien, während das Motorboot, bemannt mit drei Fischern, über das Wasser hüpft. Es ist genau ein Jahr her, da fuhren die Fischer mit dem Boot von der Donau in die Kößnach, um dort den Fischbestand zu prüfen. Sie entdeckten tolle Aale und Zander. In diesem Jahr aber zelten dort Ausflügler.

Die Fahrt führt vorbei an der ausgetrockneten Mündung, flussabwärts, vorbei an den Bäumen am Ufer, die sich normalerweise tief über das Wasser wölben. Nun recken sie ihre Äste ins Nichts. Wenn sich der Fluss zurückzieht, legt er Verborgenes frei. Zum Beispiel einen aufgebrochenen Tresor und eine Pistole, gefunden bei Osterhofen Ende Juli. Oder eine Panzerfaust aus dem Zweiten Weltkrieg, die Fußgänger im August bei Kelheim entdeckten. Oder, zum allgemeinen Vergnügen: breite, weitläufige Kiesbänke.

Dort liegen Menschen auf ihren Handtüchern, schlafend oder lesend. Manche winken dem vorbeifahrenden Motorboot zu. An diesem Montag sind nur wenige gekommen, vermutlich verbringen die meisten Straubinger den Tag auf dem Gäubodenfest. "Normalerweise ist alles voll", sagt einer der Fischer. Für sie ist das Problem weniger die Donau, die noch immer genügend Wasser führt, sodass sich die Fische an die tieferen Stellen zurückziehen können. Komplizierter ist die Lage in den Altwässern, den ruhigen Seitenarmen der Donau. Hier legen Hechte und Brachsen im Frühjahr ihre Eier ab.

Ein typischer Transporter auf der Donau lädt normalerweise 1300 Tonnen, derzeit geht höchstens ein Drittel

Wenn sich allerdings das Wasser zurückzieht, wenn die Verbindung zum Hauptstrom gekappt wird, sitzen die jungen Fische fest. "Fischfalle", nennen die Fischer solche Sackgassen. Sie stehen jetzt auf einer schmalen Landzunge, auf der einen Seite die Donau, auf der anderen das Altwasser Pillmoos, verbunden nur durch einen schmalen Wasserstreifen. Verschwindet er, schnappt die Falle zu. Dass ihnen der Nachwuchs wegstirbt, kennen die Fischer zwar schon. Aber diesmal, sagt Mauerer, könnte es kritisch werden. "Was wir bräuchten, wäre ein langer Regen."

Knapp 30 Kilometer donauabwärts steht Werner Soukup am Kai und blickt in die Tiefe, runter zum Wasser. "Was soll man dazu sagen?", fragt er. Soukup ist der stellvertretende Werkleiter des Deggendorfer Hafens. Man könnte meinen, ihm dunstet gerade das Geschäft weg. Doch Soukup macht einen recht entspannten Eindruck. "Uns trifft es vergleichsweise sanft", sagt er. Jedes Schiff, das nicht fährt, kostet die Reedereien Geld. Deshalb versuchen sie alles, um die Schiffe doch irgendwie durch das Nadelöhr im freifließenden Teil der Donau zu quetschen. Die Güter lassen sie in den Häfen Passau, Regensburg oder eben Deggendorf umladen, vom Schiff auf Lastwagen, vom Schiff auf Züge, oder vom Schiff auf ein anderes Schiff.

Ein typischer Transporter auf der Donau lädt normalerweise 1300 Tonnen, derzeit geht höchstens ein Drittel. "Wirtschaftlich ist das schon lange nicht mehr", sagt Soukup. Während die Reedereien Schadensbegrenzung betreiben, macht zumindest der Deggendorfer Hafen kein schlechtes Geschäft: "Es sieht so aus, als würden wir ungefähr dieselbe Menge bewegen wie im Vorjahr." Schon eher sorgen Soukup die langfristigen Folgen. Vor allem dass die Transportunternehmen ihr Interesse am Flussweg verlieren könnten und künftig Güter noch häufiger auf der Straße oder Schienen verschicken. Sie werden schließlich für eine pünktliche Lieferung bezahlt. Die Donau, sagt Soukup, ist allerdings "wie ein Gebirgsfluss: entweder hoch, oder niedrig, aber nie normal".

Am Kai liegt derzeit ein Schiff vertäut, das einen Reaktor geladen hat. Es würde Monate dauern, einen Schwertransport zu organisieren. Schiff und Ladung sitzen fest, bis der Pegel steigt. "Ich glaube, niemand hätte etwas gegen Regen", glaubt Soukup. Immerhin: Für das kommende Wochenende sind Niederschläge angekündigt. Ganz am Ende des Kais stehen zwei Angler. Ihre Schwimmer treiben schlaff in dem von der Abendsonne angestrahlten Wasser. Ihre Straubinger Kollegen haben erzählt, dass man zurzeit nichts fange. Die Fische hätten keinen Appetit. Trotzdem versuchen sie ihr Glück. Stehen sehr aufrecht da, wartend, hoffend.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2018/haeg
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