Drogenschmuggel von Tschechien nach Bayern:Teuflisches Kristall

Lesezeit: 5 Min.

Man kann es kaufen wie Wurst beim Metzger: In immer größeren Mengen beschaffen sich Dealer in Tschechien billiges "Crystal" und schmuggeln es nach Bayern. Der Kampf der Behörden gegen die weiße Droge ist aussichtslos. Die Folgen sind fatal, denn "Crystal" gilt als gefährlicher als Heroin.

Florian Fuchs und Verena Hölzl, Selb

Bei "Tony 6" wollen sie heute keine Drogen verkaufen. Es ist ruhig, aber ein bisschen windig am Vormittag auf dem Vietnamesenmarkt im tschechischen Asch, in den Auslagen der Bretterbuden liegen Schlagringe, Klappmesser und T-Shirts der "Böhsen Onkelz". Die zwei Verkäufer am Stand "Tony 6" führen in einen Hinterraum ihres Verschlags und sperren eine schwere Tür auf: CDs, DVDs, alles gefälscht, alles gebrannt. Und Crystal? "Nein, kein Crystal", sagt der vietnamesische Verkäufer. "Gefährlich, Polizei."

Crystal ist die am schnellsten abhängig machende Substanz. Die Rückfallquote bei Süchtigen liegt über 90 Prozent. (Foto: dapd)

Da hat er recht, zumindest an diesem Tag. Nur ein paar hundert Meter weiter, über der Grenze, in der Nähe der bayerischen Ortschaft Selb, haben sich Zöllner zur Drogenkontrolle aufgestellt. Einen Wagen nach dem anderen ziehen sie aus dem Verkehr, untersuchen das Auto, befragen den Fahrer. Die Kontrollaktion ist Teil des Kampfes der bayerischen Drogenfahnder gegen Crystal, der sich am stärksten verbreitenden Droge in Bayern.

Der Kampf aber gegen Crystal, von dem Experten sagen, dass es gefährlicher als Heroin sei, ist schwierig. "Die Politik", klagt SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder, die den Wahlkreis Schwandorf und Cham betreut, "nimmt das Problem nicht ernst genug." Und die Tschechen, in deren Land der Stoff auf den Vietnamesenmärkten nahe der Grenze vorwiegend hergestellt und nach Bayern geschmuggelt wird, gingen nicht entschieden genug gegen Dealer vor.

Während seine Kollegen draußen bereits Fahrzeuge kontrollieren, sitzt Jürgen Thiel, oberster Rauschgiftfahnder des bayerischen Zolls, noch im Hauptzollamt Selb vor einer Tasse Kaffee und erzählt, wie das Problem mit Crystal in Bayern überhaupt entstehen konnte.

Aufgekommen ist die Droge hier Mitte der neunziger Jahre, damals allerdings noch in geringen Mengen. Wer Crystal wollte, der brauchte einen Dealer und gute Kontakte, vor allem ins Rotlichtmilieu.

Die Vietnamesenmärkte, vor allem die größeren an der Grenze zu Selb, Waldsassen und Furth im Wald, spielten damals noch keine so große Rolle, sie stiegen erst 2005 ins Geschäft ein. Damals ging der tschechische Zoll massiv gegen Zigarettenschmuggel vor, den vietnamesischen Einwanderern brach das Tabakgeschäft weg - also stiegen sie um. Seitdem mischen sie in ihren Bretterbuden oder abgelegenen Höfen Crystal an und verkaufen es auch an viele Deutsche.

Das Problem dabei: Auf den Märkten ist Crystal inzwischen so leicht zu bekommen wie kaum eine andere harte Droge. "Der Stoff verbreitet sich wie eine Welle und kommt jetzt auch vermehrt im südlichen Bayern an", sagt Thiel.

Seit 2006 erst wird Crystal in Deutschland gesondert registriert. Im Jahr 2009 stellte der bayerische Zoll bei 21 Aufgriffen 138 Gramm Crystal sicher. 2010 waren es 109 Fälle und 1200 Gramm. Dieses Jahr verzeichneten die Beamten bereits 370 Fälle und 3,3 Kilo beschlagnahmtes Crystal.

Die Droge kann in jeder Küche hergestellt werden. (Foto: Zoll München)

Für einen Kick braucht man nicht viel Stoff, den kriegt man schon ab einer Dosis von zehn Milligramm. "Die Zahlen gehen durch die Decke", sagt Thiel, "weil man das Zeug auf den Märkten inzwischen kaufen kann wie Wurst beim Metzger."

Etwa 30 Euro kostet ein Gramm Crystal in Tschechien, verkauft man es in Deutschland weiter, gibt es bis zu 100 Euro, in Ballungsräumen wie Nürnberg oder München gerne auch mehr. Konsumenten, die laut Thiel meist jünger als 30 Jahre sind, bekommen dafür einen kristallinen Stoff, der in der chemischen Substanz Ecstasy ähnelt. "Crystal aber ist viel gefährlicher", sagt Roland Härtel-Petri, der sich in der Suchtfachklinik im oberfränkischen Hochstadt auf die Behandlung von Abhängigen dieser Droge spezialisiert hat. Denn Crystal hat ein viel höheres Suchtpotenzial als Ecstasy.

Der Stoff, der meist geschnupft wird, aber auch gespritzt und geschluckt werden kann, macht extrem schnell abhängig, oft bereits nach dem ersten Konsum. Er kann zu Hirninfarkten und Herzversagen führen, vor allem aber leiden Abhängige an Psychosen und Hirnschäden. Crystal tötet großflächig Nervenzellen ab, Junkies haben Symptome wie bei Alzheimer. Bei exzessivem Konsum fällt das Gesicht ein, die Zähne verfaulen, der Körper ist übersät mit Pusteln.

Früher war das Mittel sogar legal. Eigentlich ist Crystal nur der Szenename für Metamphetamin, das erstmals 1893 in Japan synthetisiert wurde. 1938 brachten es die Temmler-Werke in Deutschland als Arznei auf den Markt, unter dem Namen Pervitin. Bald darauf kam es als Aufputschmittel im Militär zum Einsatz, nicht nur bei japanischen Bomberpiloten, etwa um beim Angriff auf Pearl Harbor die gewaltige Flugdistanz zu meistern. Auch deutsche Soldaten schluckten es millionenfach, "Panzerschokolade" nannten Soldaten die Pillen aus der braunen Packung.

Die Droge dämpft Angst, wer sie nimmt, fühlt sich unbesiegbar und kann Hunger, Durst und Schlaf 48 Stunden und länger unterdrücken. Selbst die Nazi-Spitze soll es gelegentlich konsumiert haben, noch heute ist Crystal deshalb unter dem Namen "Hitler-Speed" bekannt.

"Das Schreckliche ist, dass Crystal trotz allem total unterschätzt wird", klagt Drogenfahnder Jürgen Thiel. Die Drogenküchen der Dealer sind so ausgereift, dass sie Crystal mit einem Reinheitsgehalt von mehr als 90 Prozent herstellen. "Das ist kein Vergleich mehr zu früher", sagt Thiel. Weil Crystal zudem weiß ist und kristallin, sieht es eher ungefährlich aus. "Die Hemmschwelle ist niedriger als bei Heroin", warnt Thiel. "Heroin ist braun, man braucht Spritzen, das hat ein schmutziges Image."

Auch die deutsche Politik unterschätzt die Problematik offenbar. Marianne Schieder, deren Wahlkreise in der Oberpfalz wegen der Nähe zur tschechischen Grenze unmittelbar betroffen sind, hat Crystal zu einem ihrer zentralen Themen gemacht. Allein, es will ihr niemand richtig zuhören.

Schieder ist noch heute entrüstet über die Antwort des Innenministeriums aus dem Oktober auf ihre Anfrage im Bundestag, was die Bundesregierung zu tun gedenke, um die "zutiefst beunruhigende Drogenschwemme an der deutsch-tschechischen Grenze" einzudämmen. Dem Innenministerium fiel nichts Besseres ein als anzumerken, dass seit dem 17. Februar 2011 Arzneimittel mit einer Wirkstoffmenge von mehr als 720 Milligramm Pseudoephedrin pro Packung der Verschreibungspflicht unterstellt sind. Ephedrin, das unter anderem in Hustenmitteln vorkommt, ist der Grundstoff für die Herstellung von Crystal. Den aber beziehen die Dealer aus Tschechien vor allem in Polen. "Was nützt uns da eine Verschreibungspflicht in Deutschland", schimpft Schieder.

Natürlich verweist das Ministerium auch auf die Zusammenarbeit der Behörden mit den tschechischen Kollegen. "Die aber", fordert Schieder, "müsste stark ausgebaut werden."

Am 8. September gab es tatsächlich mal eine großangelegte Razzia unter dem Decknamen "Mercato". Nach einem Jahr Ermittlungsarbeit, auch mit Hilfe des bayerischen Zolls, stürmten 150 tschechische Ermittler den Markt in Asch nahe Selb. Sie stellten 660 Gramm Crystal sicher, genug für 4000 Kicks, und nahmen sieben Verdächtige vorläufig fest. "Danach war dort ein paar Wochen Ruhe", sagt Drogenfahnder Thiel, "aber jetzt verkaufen manche schon wieder offensiver. Deshalb bräuchten wir solche Aktionen öfter."

Petr Koci jedoch, stellvertretender Direktor der Nationalen Rauschgiftbekämpfungszentrale der tschechischen Polizei, winkt ab. "Beim derzeitigen Personalabbau werden wir uns so etwas nicht mehr oft leisten können", befürchtet er. Den Tschechen, klagen deutsche Ermittler, seien schon jetzt wegen chronischen Personalmangels häufig die Hände gebunden. Jetzt ist das Land gerade dabei, seine Polizei weiter zu verkleinern. Wie man da den Handel mit Crystal bekämpfen soll, der laut Thiel so gut wie alle Merkmale organisierter Kriminalität aufweist, ist Schieder ein Rätsel.

Die Bundestagsabgeordnete hat das Problem bereits bei einer Reise der SPD-Landesgruppe nach Tschechien im September und bei einem Treffen mit dem tschechischen Botschafter in Nürnberg angesprochen. Herausgekommen ist so gut wie nichts. "Wir müssen mehr politischen Druck auf unser Nachbarland ausüben", fordert deshalb Schieder, "damit die das Problem nicht weiter vernachlässigen." Nur so könne man die Drogenküchen in den Märkten ausheben und den Schmuggel nachhaltig unterbinden.

Auch Fahnder Thiel würde die Zusammenarbeit mit den Tschechen gerne noch weiter intensivieren. Das Hauptaugenmerk des deutschen Zolls jedoch wird voraussichtlich auch weiterhin vor allem auf Kontrollen im grenznahen Raum liegen. Bei der zweitägigen Aktion in Selb beschlagnahmten die Zöllner insgesamt 100 Gramm Crystal. Ein Erfolg, sicher. Aber eben wieder nur ein kleiner Nadelstich im Kampf gegen den Schmuggel von Crystal.

© SZ vom 28.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: