Drogenpolitik in Bayern:Der gejagte Patient

Augsburg: Schmerzpatient ROBERT STRAUSS muss kiffen

Droge auf Rezept: Robert Strauss gehört zu den wenigen Menschen, die Cannabis legal konsumieren dürfen.

(Foto: Johannes Simon)

Robert Strauss darf legal Marihuana konsumieren, weil er nach einer Tumor-Operation unter chronischen Schmerzen leidet. Trotzdem ist er den Schikanen der Augsburger Polizei ausgesetzt - und jetzt ermittelt auch noch die Staatsanwaltschaft gegen ihn.

Von Dario Nassal

Robert Strauss schüttelt den Kopf. Er kann das immer noch nicht fassen: Am Abend des 12. September, einem Freitag, um 19 Uhr, stürmte die Polizei seine Wohnung. Vier Bewaffnete in Uniform und ein Drogenfahnder. Sie marschierten zur Haustür herein, schoben Strauss zur Seite, rissen Schubladen auf, warfen Schränke um und durchwühlten seine Klamotten. Dann legten sie ihm Handschellen an und brachten ihn aufs Revier. Erst nach drei Stunden durfte er wieder gehen. Alles wegen ein bisschen Cannabis.

"Ich bin doch kein Schwerverbrecher", sagt Strauss. Seine Augen werden groß und wütend, wenn er vom 12. September spricht. "Ich habe das Gefühl, es gibt hier eine Lücke zwischen Gesetz und Medizin." Der 50-Jährige hat lichtes, zerzaustes Haar, unter seiner Lederjacke trägt er ein bedrucktes T-Shirt, er ist unrasiert, seine Haut gerötet. Er sieht fertig aus. Mit gebücktem Rücken sitzt er auf einer Holzbank in seiner Lieblingspizzeria in Augsburg - "Bob's", der Laden gehört einem Amerikaner.

Lizenz zum Kiffen

Hier erzählt Robert Strauss seine Geschichte. Hier fühlt er sich ein bisschen wie zu Hause in den USA. Man hört das Knallen von Bowlingkugeln in der Nähe der Bar, es riecht nach Pizza und Käse. Robert Strauss kam vor 28 Jahren von New Jersey nach Augsburg, er hat hier eine deutsche Frau geheiratet und eine Familie gegründet. Seit einigen Jahren ist er geschieden und lebt alleine mit seiner Krankheit. "Ich habe immer gerne in Bayern gelebt", sagt Strauss. Aber seit der Hausdurchsuchung fühle er sich nicht mehr sicher. "Ich habe das Gefühl, die können machen, was sie wollen."

Die - das sind die Polizisten. Strauss darf legal machen, was für andere Menschen in Bayern strafbar ist: Er zählt zu den wenigen Patienten mit der offiziellen Erlaubnis zum Gras-Rauchen. Gras, das ist seine Schmerzmedizin. Seit 4. Februar 2014 hat Strauss eine Genehmigung von der Bundesopiumstelle. "Und seit diesem Tag macht die Polizei mir in Augsburg das Leben zur Hölle", sagt er. Ständig werde er auf der Straße von Beamten angehalten und müsse alle seine Taschen leeren.

"Das ist Schikane."

Die Beamten wüssten, wer er sei, und hielten ihn trotzdem immer wieder fest, wenn sie ihn auf der Straße sehen. "Das ist Schikane. Die wissen ganz genau, dass ich eine Erlaubnis habe", sagt Strauß. Nachts könne er nicht mehr schlafen, jeden Morgen wache er um fünf Uhr auf, weil er Angst habe, die Polizei klingele wieder bei ihm.

Neben dem Gras aus der Apotheke fanden die Beamten im September auch eine Hanfpflanze in seiner Küche. Ihr Anbau ist verboten. Seitdem läuft ein Verfahren gegen Strauss wegen illegalen Besitzes und des Verdachts auf Drogenhandel. Strauss stellt ein gelbes Plastikdöschen auf den Tisch: "Cannabis Flos" steht auf dem Etikett und darunter in etwas kleinerer Schrift "Bedrocan". Strauss dreht am Deckel und öffnet: Zum Vorschein kommen fünf Gramm reine Marihuana-Blüten. Das reicht ihm für zweieinhalb Tage, er braucht zwei Gramm, um durch den Tag zu kommen.

Während Strauss erzählt, steht er hin und wieder auf. Er kann nicht lange sitzen bleiben, sonst tut es zu sehr weh im unteren Rücken. Seit September 2010 fühlt er diese Schmerzen. Zwei seiner Rückenwirbel waren von einem Tumor befallen, sie mussten ersetzt werden, die Wirbelsäule wurde mehrmals operiert. Nun ist sie stabilisiert, aber die Schmerzen sind geblieben. Deshalb raucht Strauss Cannabis. Er sagt: "Es ist das Einzige, was mir hilft."

Mehr als 1000 Euro pro Monat für das Medikament

Diese Medizin aber kommt ihn teuer zu stehen. Für eine Dose Bedrocan zahlt Strauss 85 Euro. Laut ärztlicher Verschreibung braucht er zwölf Dosen in vier Wochen, das sind mehr als 1000 Euro im Monat, die Strauss komplett aus eigener Tasche zahlen muss. Denn seine Krankenkasse erstattet die Kosten nicht, trotz ärztlicher Bescheinigung.

Dreimal wurde sein Antrag von der Krankenkasse bereits abgelehnt. "Das ist in Deutschland immer so: Wenn überhaupt, zahlt die Krankenkasse Cannabis nur bei HIV im Endstadium oder Multipler Sklerose", sagt Markus Backmund, Internist und Psychotherapeut aus München. Der Arzt ist von Cannabis überzeugt. "Schon im Mittelalter war Cannabis als Heilmittel bekannt, und zwar nicht ohne Grund", sagt er.

Nur wenige Ärzte verschreiben Cannabis

In den 90er-Jahren habe man körpereigene Cannabinoide dann auch im Gehirn entdeckt. Seitdem investierten Pharma-Konzerne vor allem in den USA in die Forschung. "Cannabis hilft gegen Erbrechen und Übelkeit bei Krebs-Chemotherapien, Appetitlosigkeit bei HIV-Erkrankten, Spasmen bei Multipler Sklerose und bei chronischen Schmerzen", sagt Backmund. Allerdings beruhten die Studien zu Cannabis bisher auf sehr geringen Fallzahlen. Bei der Wirkung sei vieles noch unklar.

In Bayern jedenfalls gibt es nur wenige Ärzte, die ihren Patienten Cannabis verschreiben. Viele beschäftigten sich nicht mit der Wirkung, sagt Backmund. Anderen sei der Aufwand zu groß: "Ich selbst kann es mir gar nicht leisten, regelmäßig Patienten Cannabis zu verschreiben." Denn für eine Genehmigung bei der Bundesopiumstelle muss ein Arzt im Detail begründen, warum für den Patienten Cannabis angebracht ist - bei Strauss ist diese Begründung ein fünfseitiger Text.

Doch selbst wenn sich ein Arzt vehement für eine Cannabis-Behandlung ausspricht, sind die bürokratischen Hürden hoch: Franjo Grotenhermen, der Arzt von Strauss, musste zwei Gutachten erstellen, erst das zweite wurde von der Bundesopiumstelle genehmigt - das Verfahren dauerte länger als ein halbes Jahr.

"Mein Patient ist auf Cannabis angewiesen."

Bevor Strauss mit Cannabis anfing, hatte er viele Tabletten schlucken müssen. Und die bekamen ihm schlecht: Buprenorphin, Pethidin, Morphin, alles Wirkstoffe auf Opium-Basis wegen der starken Schmerzen in der Wirbelsäule. "Ich hatte Bauchkrämpfe, Kopfweh und Durchfall davon", sagt er und kneift die Augen zusammen. Wegen der hohen Dosierung musste Strauss die Schmerzmittel zusammen mit Psychopharmaka einnehmen.

Neben all den körperlichen Nebenwirkungen habe das seinen Charakter verändert. "Ich wurde aggressiv, lustlos und müde." Er habe seine Kollegen auf der Arbeit beleidigt. "Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt", sagt er. Bekannte aus den USA empfahlen ihm schließlich, es mit einer Cannabis-Kur zu probieren. Seitdem leide er kaum noch an Nebenwirkungen. Sein Hausarzt Grotenhermen bringt es auf den Punkt: "Mein Patient ist auf Cannabis angewiesen."

Aus Geldnot baute Strauss Hanf an

Doch finanziell treiben ihn die 1000 Euro pro Monat für Bredocan in den Ruin. 14 Jahre arbeitete er beim Weltbild-Verlag, bevor er Anfang 2014 entlassen wurde. Von seiner Abfindung konnte er seine Arznei bisher finanzieren. Aber das Geld geht zur Neige. Deshalb fasste er im Sommer den Entschluss, Hanf bei sich daheim anzubauen. Er steckte einige Samen in einen Blumentopf in der Küche, die Pflanze wuchs. Dann kam an jenem Abend die Polizei. Ohne Vorwarnung, ohne Durchsuchungsbefehl. Die Pflanze wurde ebenso einkassiert wie die plastikverpackten Dosen aus der Apotheke.

Sein Anwalt Sebastian Glathe klingt erbost, wenn man ihn zu dem Vorfall befragt: "Ein Mensch, der medizinisch die Erlaubnis für den Umgang mit Marihuana hat, benutzt das Marihuana nur zu medizinischen Zwecken. Das ist doch völlig klar", sagt er. Wie sollten sich Patienten mit dem Medikament versorgen, wenn die Krankenkasse trotz ärztlicher Bescheinigung keine Kosten übernehme?

Angeblich keine Zeit für einen Durchsuchungsbefehl

"Auf die Dauer sind diese Menschen gezwungen, sich das Medikament anderweitig zu besorgen. Und die Polizei in Bayern geht dann mit aller Härte dagegen vor." Im Übrigen sei das Vorgehen der Polizei rechtswidrig, es habe kein Durchsuchungsbefehl vorgelegen.

Die Polizei reagiert gelassen auf die Vorwürfe. Bernd Waitzmann, Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Nord, bestätigt den Einsatz. "Dieser Mensch mag die Erlaubnis haben zum Umgang mit diesen illegalen Substanzen, nicht aber zum Anbau davon", sagt er. Man habe Marihuana aus der Wohnungstür gerochen, da habe man sofort eingreifen müssen - keine Zeit für einen Durchsuchungsbefehl. Das Handy und die Schmerzmittel behalte man als Beweismittel weiter ein. "Wissen Sie, das muss erst mal alles untersucht werden. Das dauert", sagt Waitzmann.

"Im Freistaat werden Konsumenten behandelt wie Schwerverbrecher"

Strauss hält dem entgegen: "Ich habe meine Erlaubnis der Augsburger Polizei schon in März vorgelegt. Die wussten, dass es bei mir nach Marihuana riechen darf. Die wussten auch, dass sie dann logischerweise Marihuana bei mir finden", sagt er und erhebt Vorwürfe: Die Polizei habe Behinderten-Witze gemacht, als sie seinen Schwerbehinderten-Ausweis sahen. Danach hätten sie ihn bedroht und seine Schränke in der Wohnung umgeworfen. Ihre Ausweise hätten sie ihm ebenso wenig gezeigt wie einen Durchsuchungsbefehl. Stattdessen hätten sie ihm Handschellen angelegt.

Als Strauss in der Nacht auf den 13. September wieder daheim war, musste er den Notarzt rufen, weil die Schmerzen zu stark wurden. Die Polizei hatte ihm den Zugang zu seinen Medikamenten verwehrt. Das rabiate Vorgehen der Beamten hat durchaus Tradition. Anwalt Glathe hat oft mit Cannabis-Delikten zu tun: "Im Freistaat werden Konsumenten behandelt wie Schwerverbrecher - das war schon immer so."

Strauss möchte Gras nicht mehr mit Tabak rauchen

Die Augsburger Polizei schweigt zu den Vorwürfen. Glathes Beschwerde wegen des rechtswidrigen Vorgehens bei der Durchsuchung wurde vom Landgericht Augsburg ohne nähere Begründung abgewiesen. Dagegen läuft das Verfahren gegen Strauss wegen illegalen Besitzes von Marihuana weiter.

Strauss steht wieder auf, er hält es nicht mehr aus. Er hat sich eine Hanf-Zigarette gedreht. Draußen auf der Terrasse der Pizzeria raucht er sie in langen, schnellen Zügen. Sein Gesicht entspannt sich etwas. "Deshalb bin ich hier und erzähle meine Geschichte", sagt er. Damit die Polizei in Bayern nicht immer so weitermache, damit Cannabis-Patienten irgendwann besser behandelt würden.

"Ich bin ein Kämpfer-Typ!"

Ein Bekannter von ihm, Christoph Rossner ist ebenfalls Patient in Bayern. Er hat gerade den ersten Gesetzesentwurf zur Legalisierung in Deutschland im Eigenverlag veröffentlicht, den hätten Juristen für gut befunden. Jetzt gehe es erst richtig los, er werde für seine Rechte kämpfen, sagt Strauss, der vor seiner Erkrankung Marathon gelaufen ist: "Ich bin ein Kämpfer-Typ!"

Der erste Schritt in seinem Kampf ist ein Schritt für seine eigene Gesundheit. Strauss möchte das Gras nicht mehr zusammen mit Tabak rauchen. Er hat sich einen Vaporizer gekauft, der das Gras verdampft. Damit kommen keine Schadstoffe in seine Lunge. Er hofft, dass die Krankenkasse wenigstens dafür die Kosten übernimmt.

Schmerztherapie

Ärzte dürfen Medikamente auf Cannabis-Basis in Deutschland verschreiben - dazu zählen Dronabinol und Sativex. 250 Milligramm Dronabinol, eine durchschnittliche Tagesdosis, kostet 230 Euro. Die Kassen kommen nur selten dafür auf. Darüber hinaus gibt es in Deutschland eine zweite Möglichkeit: Patienten können wie Robert Strauss eine ärztlich-begleitete Selbsttherapie machen mit Cannabis-Blüten aus der Apotheke. Die Behandlung mit Cannabis-Blüten ist etwas günstiger als die verschriebene Arznei. Der Eigenanbau von Cannabis ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Fünf Schmerzpatienten haben allerdings vor dem Kölner Verwaltungsgericht dagegen geklagt. Am 22. Juli 2014 hat das Gericht entschieden, dass drei von ihnen Cannabis anbauen dürfen. Derzeit haben 350 Patienten eine Genehmigung zur Behandlung mit Blüten aus der Apotheke, bis zu 10 000 Patienten beziehen andere Medikamente auf Cannabis-Basis. DNAS

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