Drogenfahnder:"Wo Leute leben, gibt es auch Drogen"

Drogenfahnder: Job mit „Jagdinstinkt“: Hans Reisky war erst Polizist in Uniform, später verdeckter Ermittler in der Drogenszene.

Job mit „Jagdinstinkt“: Hans Reisky war erst Polizist in Uniform, später verdeckter Ermittler in der Drogenszene.

(Foto: privat)

Der frühere Polizist Hans Reisky hat über seine Zeit bei der Drogenfahndung in Regensburg ein Buch geschrieben. Es erzählt von einem Kampf, der nicht zu gewinnen ist.

Von Johann Osel

Als erster Polizist in Regensburg hatte Hans Reisky einen Ohrring. Erst war es nur ein kleinerer Goldknopf, später dann ein "Riesenteil, sooo ein Geschoss" mit eingearbeitetem Saphir, mitgebracht aus dem Urlaub in Sri Lanka. Das war zu einer Zeit, als Ohrringträger als Schwule oder als Punks galten, "linke Chaoten", wie man damals sagte. "Misstrauische Neugier" habe er bei einigen Kollegen gespürt, erzählt Reisky - und der Polizeipräsident, "der hat mir eh immer nur auf mein Ohrwaschel gestarrt statt in die Augen". Der Leiter des Rauschgiftkommissariats dagegen musterte den jungen Beamten von oben bis unten: "Du schaust aus, als wenn du zu uns passt!" Das war 1983.

Tatsächlich kann man sich gut vorstellen, wie Reisky als verdeckter Ermittler damals unterwegs war: Lange Haare, Jeans und Lederjacke, Cowboystiefel, im rechten war der Dienstrevolver versteckt - "da wär' keiner drauf gekommen". Und wie er sich dann durch dubiose Kneipen schlug, wo mehr Drogen über die Theke gingen als Bier und Asbach-Cola, das recht in Mode war seinerzeit in der Oberpfalz; oder in einem Nest kurz vor der tschechischen Grenze ein paar Kilo Koks kaufte - zum Schein, statt Bezahlung wartete der Zugriff. Bei Gericht wurde er vom Staatsanwalt sogar mal für den Angeklagten gehalten. Und einige Kollegen kolportierten gern über ihn: "Der nimmt ja selber was." Dabei, das beteuert Reisky, habe er nicht mal geraucht.

"Drogenhochburg Oberpfalz" heißt das Buch, das die Erinnerungen des Kriminalbeamten Hans Reisky, heute Mitte 60, erzählt (MZ-Buchverlag). Der Autor Rolf Peter Sloet, sonst auf dem Gebiet der Regionalkrimis beheimatet, hat die Erlebnisse, Action-Stoff wie persönliche Schnurren, aufbereitet. Es geht um die Achtzigerjahre und erste Hälfte der Neunziger, als sich abzeichnete, was heute mit Ostbayern oft in selbem Atemzug genannt wird: "Drogenhochburg", Einfallstor für den Schmuggel aus Tschechien. Um Crystal Meth geht es da in der Regel, wie im Crystal-Bericht des Innenministeriums. Die "hochgefährliche Killerdroge" breitet sich demnach weiter über Bayern aus, keine Entwarnung! Die Oberpfalz bleibe Brennpunkt, die von der Polizei sichergestellte Mengen steigen; wohl wegen des Trends zu "Einkaufsgemeinschaften" in Tschechien.

Zu Reiskys aktiver Zeit galt Methamphetamin, so der offizielle Begriff, noch fast als Randerscheinung, es fiel anfangs nicht mal unters Betäubungsmittelgesetz. Eifrige Chemikalienkocher gab es jedenfalls schon. Kokain, Heroin, Marihuana, LSD - damit hatte es Reisky meist zu tun. Die Ware kam nicht aus dem Osten (die Staatsgrenze war auch Systemgrenze), sondern häufig aus Holland. Andere Zeiten, andere Dimensionen, dennoch notiert Reisky für damals eine "sich schnell ausbreitende Rauschgiftkriminalität". Mit dem Titel "Drogenhochburg", Idee des Verlags, hadert er aber - da mag Lokalpatriotismus des gebürtigen Schwandorfers hineinspielen.

Auch der jüngste Sicherheitsbericht des Polizeipräsidiums Oberpfalz weist übrigens darauf hin, dass Aufgriffe mit größeren Mengen Crystal fast nur Personen betreffen, die nicht aus der Region stammten - sondern vorwiegend aus Mittelfranken und dem Raum München. Vor allem aber hätte Hans Reisky einen besseren Titel im Sinn gehabt: "Der zweite Sieger." Das nämlich - die Tatsache, dass man immer nur an einer Stelle hineinsticht in die Szene, bei jeder Sicherstellung aber längst Nachschub auf dem Weg ist - sei eine Erkenntnis, die man als Drogenfahnder gewinnen kann. Gewinnen muss.

Ein Treffen in einem Straubinger Café, er wohnt im Umland, als Pensionär mit Frau und Hunden. Ein bäriger Typ, kumpelhaft, er bestellt alkoholfreies Weißbier. Nach wie vor lange Haare, in Grautönen. Schlachtverletzungen kann Reisky zeigen, einen abgebrochenen Zahn, was bei einer Entwaffnung geschehen sei, eine Gesichtshälfte ist lädiert - dazu später. Ein Blick aus dem Fenster in ruhige Straubinger Gassen. Könnte man jetzt und hier Drogen kaufen, ein dickes Briefchen Koks gar? "Sicher kein Problem", meint Reisky. Wenn man "Connections" habe oder nur einen kennt, der einen kennt, oder wenn man mal herumhorcht - "wo Leute leben, gibt es auch Drogen". Weitere Erkenntnis des Jobs.

Eine Verfolgungsjagd, Gerangel, Sturz von einem Bahndamm

Er spricht lebhaft, gestikuliert viel; und will kaum aufhören zu erzählen. Noch ein Fall, noch eine brenzlige Situation. Dass er zur Polizei kam, war einst Zufall. Ein Freund brachte ihn auf den Gedanken. Und: "500 Mark schon in der Ausbildung", das zog. Den strengen Vater konnte er damit befrieden, der hatte schon hinter seinem Rücken eine Lehrstelle im Steuerbüro organisiert. Dass er später zur Kripo und "zum Rauschgift" kam, war kein Zufall. Begehrt ist bei jungen Beamten das Morddezernat, nicht bei Reisky - "die tragen ja Krawatte, das wär' eh nichts gewesen für mich". Die Drogenfahndung gefiel ihm sehr in der Ausbildung, das entspreche seinem "Jagdinstinkt", Fälle müsse man sich gewöhnlich selber erarbeiten.

Drogenfahnder: Hans Reiskys Bilanz heute fällt gemischt aus.

Hans Reiskys Bilanz heute fällt gemischt aus.

(Foto: Osel)

Denn: "Connections" braucht auch der Fahnder, das Buch gibt Einblicke. Es geht nicht nur darum, Wohnungen zu durchsuchen, Depots auszuheben, Rockkonzerte zu filzen. Als verdeckter Drogenankäufer benötigt man V-Leute. Also galt es, Kleindealer als Zuträger zu verpflichten. Oft hatten Kriminelle untereinander offene Rechnungen. Reisky schildert manche Einsätze, als würde er 200 Gramm Aufschnitt beim Metzger ordern. "Da hast du einen Tipp, dem kaufst mal für'n Hunderter was ab. Und sagst dann: Wie schaut's aus, kannst ein paar Kilo herkriegen? Oder kannst mir einen dafür bringen?"

Wenn das klappt, kann die Falle zuschnappen. Er ist oft dem Verfall begegnet. "Da hat man sich bei manchen in der Heroinszene gewundert, dass der noch lebt, der spritzt ja schon so lang." Aids hatte damals seine hysterisch begleitete Frühphase. Auf Süchtige, so Reisky, habe er aber nie verächtlich geschaut, den Verantwortlichen habe die Verachtung zu gelten, "nicht den armen Schweinen". Im Buch heißt es: "Die jungen Leute, die einen Joint rauchten, interessierten mich weniger. Ich war hinter den Großdealern her, die verdienten eine Menge Geld und hielten sich im Hintergrund."

Nicht selten überschnitten sich Metiers von Verbrechern. Einen Zuhälter, als skrupellos bekannt, habe er mal rabiat festgenommen ("Ich musste mehr als hart durchgreifen, bis ich ihn k.o. zu schlagen vermochte"). Der Mann schwor Rache, heuerte einen Mörder an - der wiederum kalte Füße bekam. Reisky kam heil durch den Job. Bis zu dem Tag, der alles änderte. Die Verhaftung eines Dealers in Furth im Wald stand an, ein eisiger Wintertag, die Cowboy- mussten Winterstiefeln weichen. Eine Verfolgungsjagd, Gerangel, Sturz von einem Bahndamm.

Auf dem Rückweg bemerkte Reisky eine große Wunde, nachts schwoll sein Gesicht an und schmerzte. Der Kiefer war sechsfach gebrochen, ein Lendenwirbel dazu. 1995, mit Anfang 40, wurde Reisky Frühpensionär, vollzugsdienstuntauglich. "Man hat einen Traumjob und kann nicht mehr", sagt er. Da falle man "in ein Loch, aus dem man sich rausarbeiten" müsse, mental. Das Buch wirkt auch wie ein Stück Selbsttherapie. Und wie Genugtuung - weil er beim Abschied komische Blicke erhalten habe, von "Kollegen, die sich früher beim Zugriff hinter meinem breiten Kreuz versteckt haben." Er sagt, er wolle einfach zeigen, wie es läuft in dem Beruf, "das hat nichts mit James Bond zu tun oder Angeberei". Wichtiger ist ihm die Ernüchterung als zweiter Sieger.

Und wie blickt er heute auf die Szene? Bei Crystal müsse man offensiver vorgehen, europäisch kooperieren, in Tschechien einkaufen und Leute einkassieren. Gleichwohl: Die Polizei ist nicht untätig. Dass in der bayernweiten Kriminalstatistik die Drogenkriminalität steigende Zahlen verbucht, kann quasi als Ausweis davon gelten. Der Bereich ist ein "Kontrolldelikt", je mehr man unternimmt, desto mehr Stoff findet sich. Dennoch hat es in Bayern zwischen 2012 und 2017 fast 1500 Drogentote gegeben. Reisky rät zu mehr Prävention, auch mit Sport. Wenn Jugendliche ausgepowert seien, kämen sie nicht auf Unsinn. Er bezweifelt, ob man jeden kleinen Kiffer verfolgen und anklagen müsse. Auf Cannabis entfielen in der Oberpfalz zuletzt 62 Prozent der Drogendelikte (zum Vergleich: Crystal und Kokain zusammen 14). Ändere man die Strategie, so Reisky, könnte das ungeheure Kapazitäten freisetzen "für wichtigere Aufgaben", den Kampf gegen Händler harter Drogen.

Sein Jagdinstinkt, er ist noch wach.

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