Drei Wochen nach der Festnahme des Leiters der Kemptener Drogenfahndung hat die Staatsanwaltschaft München I erstmals Ermittlungsdetails bekanntgegeben. Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch berichtete von ersten Aussagen des Polizisten, in dessen Büro 1,6 Kilogramm Kokain gefunden wurden. "Der Verdächtige räumt ein, Drogen-Konsument zu sein", sagt Steinkraus-Koch, "aber er beteuert, das bei ihm gefundene Kokain habe er auf dienstlichem Wege erhalten und zu Schulungszwecken verwendet."
Diese Darstellung hält Steinkraus-Koch allerdings für "nicht plausibel". Dafür sei die Drogenmenge viel zu groß. "Bei uns wird häufig Kokain zu Schulungszwecken angefragt", berichtet der Oberstaatsanwalt, "aber dazu genügen eigentlich Mengen im Gramm-Bereich."
Der 52-jährige Erste Kriminalhauptkommissar steht zudem unter Verdacht, seine Ehefrau schwer verletzt zu haben. "Einen Streit mit seiner Frau räumt er ein, an Details könne er sich aber nicht mehr erinnern", sagt Steinkraus-Koch. Nach seinen Angaben hat der Verdächtige in der Nacht seiner Festnahme zunächst seine Ehefrau massiv gewürgt, dann ist er in alkoholisiertem Zustand mit seinem Auto geflüchtet. Die Ermittler prüfen nun, ob ein versuchter Totschlag vorliegt oder nur eine gefährliche Körperverletzung.
Nach seiner Flucht wurde der Polizist in alkoholisiertem Zustand festgenommen. Ob er auch unter Drogeneinfluss stand, verrät der Oberstaatsanwalt nicht. Laut Steinkraus-Koch hat sich die Ehefrau schon bei einem früheren Streit schwere Rückenverletzungen zugezogen, weil sie von einem Balkon sprang. Derzeit befindet sie sich in einer Reha-Klinik. Ihr Mann sitzt seit drei Wochen in München-Stadelheim in Untersuchungshaft. Allein dies ist schon eine pikante Angelegenheit: Dort könnte er auf Drogendealer treffen, die wegen seiner Ermittlungen ins Gefängnis mussten. Der Polizist muss also auch vor Mithäftlingen geschützt werden.
Ob der Verdächtige Kontakte zur Mafia respektive zur organisierten Kriminalität hatte, ist noch offen. "Aus den bisherigen Ermittlungen gibt es darauf keine Hinweise", sagt Steinkraus-Koch. Das heißt aber auch, dass diese Verdachtsmomente weiterhin geprüft werden. Ähnlich verhält es sich bei der Frage, ob der 52-Jährige zwei Neu-Ulmer Ermittler suspendieren ließ, weil diese ihm gefährlich hätten werden können. Steinkraus-Koch: "Dazu gibt es derzeit keine Anhaltspunkte."
Ein Verdacht weniger
Immerhin kann inzwischen ein Gerücht im Zusammenhang mit der Drogenfahnder-Affäre als widerlegt gelten: Dass bei einer Großrazzia im September 2013 mit 176 Polizeibeamten lediglich 30 Gramm Drogen gefunden wurden, lag wohl nicht an einem Verrat durch den Chef-Fahnder. "Das war eine Razzia, die man nach einem Aufgriff von Dealern verpflichtend bei deren Kleinabnehmern machen muss", berichtet ein Teilnehmer der Aktion, "es war schon vorher klar, dass da nicht viel gefunden wird." Immerhin wurde bei der Aktion fünf Personen "unerlaubter Besitz oder Erwerb von Betäubungsmitteln" nachgewiesen - sie wurden zu Geldstrafen verurteilt. Vier weitere Verfahren laufen noch.
Doch es bleiben noch viele offene Fragen: "Zentrale Punkte der Ermittlungen sind: Woher kommt das Kokain, wer hatte damit Kontakt und was war damit geplant", berichtet Steinkraus-Koch. Über all diese Punkte könne er aus ermittlungstaktischen Gründen aber keine Angaben machen.
Sehr brisant ist, dass der Chef-Fahnder eingestanden hat, Kokain geschnupft zu haben. Denn jeder Polizist lernt in der Ausbildung, wie man erkennt, ob eine Person Drogen konsumiert. Warum blieb ausgerechnet beim Ersten Polizeihauptkommissar der offenbar regelmäßige Kokaingebrauch unerkannt?