Drogen-Affäre bei der Polizei:Die Mafia spricht Schwäbisch

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Seit einem halben Jahrhundert spannt die Mafia ihre Fäden im Allgäu. Gerade wurden beim Chef der Kemptener Drogenfahndung 1,6 Kilogramm Kokain gefunden. Welche Rolle spielen Cosa Nostra und 'Ndrangheta zwischen Oberstdorf und Memmingen? Eine Spurensuche.

Von Stefan Mayr

Das Allgäu und die Mafia, diese pikante Konstellation flammt in den Medien immer wieder auf. Auch jetzt, angesichts der Affäre um den festgenommenen Chef der Kemptener Drogenfahndung, in dessen Schrank 1,6 Kilogramm Kokain gefunden wurden - und das nicht ohne Grund: Schon seit einem halben Jahrhundert spannt die Mafia im Allgäu ihre Fäden, wie das Landeskriminalamt bestätigt. Dies hat vor allem historische Ursachen. Mit dem Eintreffen der italienischen Gastarbeiter in den 1950er-Jahren seien auch "kriminelle mafiose Netzwerke importiert" worden, und diese Netzwerke bestehen teilweise "bis heute" fort.

Welche Rolle spielen Cosa Nostra, Camorra und 'Ndrangheta zwischen Oberstdorf und Memmingen? Eine Spurensuche:

Erst Ende Januar verurteilte das Landgericht Kempten den Italiener Agatino P. wegen Drogenhandels zu zwei Jahren Haft. Kokain ist in Kempten leichter zu bekommen als Kaviar. Man muss sich im Stadtzentrum nur ein wenig umschauen und umhören. Der nächste Italo-Kokain-Prozess steht schon bevor, der Angeklagte Guiseppe A. gilt als "größerer Fisch", wie der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz sagt. Die richtig fetten Fische zogen die Ermittler zwischen Bodensee und Forggensee allerdings in den 1980er- und 1990er- Jahren an Land. 1989 verhafteten Fahnder des Landeskriminalamts in Kempten den Gemüsehändler Salvatore Salamone, Kopf des Mafia-Clans Santangelo, dem Tötungsdelikte in Sizilien und Schutzgelderpressungen sowie Rauschgift- und Waffenhandel vorgeworfen wurden.

Nach der Razzia verkündete der Präsident des bayerischen Landeskriminalamts, Heinz Lenhard, erstmals, dass das Allgäu längst nicht mehr nur als Ruhe- und Rückzugsgebiet für jene Mafiosi diene, denen es in Italien zu heiß geworden sei, sondern auch als Drehscheibe für den mitteleuropäischen Drogenhandel. Die Nachricht sorgte für Aufsehen, dabei hatten die Drogen- und Falschgeldhändler längst ihre unsichtbaren Netzwerke gesponnen. 1991 wurde Salamone an Italien ausgeliefert und wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Drogenhandel, Erpressung, Geldfälschung

Aber immer, wenn ein großer Fisch weg ist, schlüpft der nächste in dessen Rolle. 1992 fasste die Polizei Salamones Nachfolger Vito di Stefano. Die Anklagepunkte gegen den 37-jährigen Memminger Pizzabäcker klangen bekannt: Drogenhandel, Erpressung, Geldfälschung. Er wurde 1993 zu acht Jahren Haft verurteilt. Aber die Mitgliedschaft in einer organisierten Verbrecherbande konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Nach nur drei Jahren wurde er 1996 wieder entlassen und nach Italien abgeschoben - wegen guter Führung.

Nur ein Jahr später wurde vor dem Neu-Ulmer Landratsamt Pietro B. festgenommen. Der Tipp kam von der italienischen Justiz, die bereits seine Auslieferung beantragt hatte. Der 37-Jährige stammte, wie Vito di Stefano, aus dem Örtchen Adrano in der sizilianischen Provinz Catania. Seitdem es dort innerhalb von drei Jahren 363 Mafia-Morde gegeben hat, wird die Region "Todesdreieck" genannt. "In Salzsäure auflösen oder einbetonieren, das sind dort gängige Mordmethoden", sagte ein LKA-Experte am Rande der Prozesse.

Giorgio Basile sagte als erster Kronzeuge gegen die Mafia im Allgäu aus. (Foto: BLKA)

Und weiter ging es im Wettrennen gegen die Mafia-Clans: 1998 verhaftete die Polizei in Kempten den Profikiller Giorgio Basile, er soll für die kalabrische 'Ndrangheta bis zu 30 Auftragsmorde verübt haben. Er trägt den Spitznamen "Engelsgesicht". Bald darauf packte er aus und wurde zum ersten Kronzeugen gegen die Mafia auf deutschem Boden.

Im Jahr 2000 wurde Armin N. Chef der Drogenfahndung in Kempten. Das ist jener Mann, der im Februar 2014 seine Ehefrau krankenhausreif schlug und wegen Drogenbesitzes festgenommen wurde. In den Jahren nach seiner Amtsübernahme wurde es ruhiger um die Allgäu-Mafia. Bis zur Razzia 2008 in der Pizzeria Vulcano in Sonthofen, die der Mafia als Drogen-Drehscheibe zwischen Italien und Belgien diente. Allerdings hatten sich zwei Hauptverdächtige kurz vor der Razzia nach Italien abgesetzt. Wurden sie gewarnt? Das LKA wird nun auch diese Frage prüfen müssen.

Immerhin wurden die zwei wenig später in ihrer italienischen Heimat verhaftet und ausgeliefert. Sie bekamen fünf und sechs Jahre Haft aufgebrummt. Und wie ist die Lage heute? Staatsanwalt Gunther Schatz bestätigt einerseits, er habe "permanent" mit italienischen Drogenhändlern zu tun. Andererseits gebe es aber auch Banden, die ihre Wurzeln woanders haben - zum Beispiel in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Im Allgäu mordet die Mafia nicht. Die Täter ziehen es vor, ihre Opfer in die Heimat zu locken. Aber alle anderen Straftaten finden statt. Auch Schutzgelderpressung - bis heute. Wie viele Wirte betroffen sind, weiß niemand. "Wir haben immer wieder Anhaltspunkte", sagt Schatz, "aber das wurde nie beweiskräftig." Das Problem: Die Opfer haben zu viel Angst, um auszusagen.

Doch längst zeigt sich, dass die Mafia es nicht mehr bei Landsleuten belässt. Schatz bestätigt, dass sie in den 1990er-Jahren die Staatsanwaltschaft Kempten unterwandern wollte. Der Santangelo-Clan hatte versucht, eine Schreibkraft als Spionin einzuschleusen. Die Sache wurde im letzten Moment entdeckt. Damals scheiterte die Mafia noch, aber nun wird die bange Frage laut, ob sie den obersten Drogenfahnder des Allgäus auf ihre Seite ziehen konnte. Zu diesem Fall darf Schatz nichts sagen. Er verweist auf die ermittelnde Staatsanwaltschaft München I. Die bestätigt nur, dass sie gegen einen Polizisten wegen Drogendelikten ermittelt. Auf die Frage, ob es auch um Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung geht, lautet die Antwort: "Wir schauen uns den Fall in der Gesamtheit an." Ende der Auskunft. Wie lange die Ermittlungen dauern, weiß niemand.

Bislang gilt die Unschuldsvermutung, aber ein gewisser Verdacht gegen Armin N. steht im Raum, solange unklar ist, woher der Festgenommene die Drogen hatte. Die Mafia-Expertin Petra Reski sagte im Bayerischen Fernsehen: "Wer 1,6 Kilo Kokain hat, muss ganz nah an der Quelle sein. Und diese Quelle ist die 'Ndrangheta."

© SZ vom 03.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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