BR-Dokumentation:Ein Bayern, das es bald nicht mehr geben wird

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Der Landwirt und Bestatter Ernst Schöfl ist die Hauptfigur in der Dokumentation "früher oder später". Er hält sich berufsbedingt häufig auf dem Friedhof auf. Die filmische Begegnung mit ihm gibt tiefe Einblicke in den ländlichen Existenzialismus. (Foto: Kaltenhauser, BR)

Mit "früher oder später" zeigt der Bayerische Rundfunk ein mehrteiliges Epos über das Dorf Schönsee in der Oberpfalz. Der Film kommt den Menschen und ihrem Alltag dramatisch nahe.

Von Hans Kratzer, München

". . . damit Jahrtausende nicht spurlos vergehen" lautete der Titel einer wegweisenden Fernsehserie der Historikerin Gertrud Diepolder, die in den frühen 80er-Jahren ein großes Publikumsinteresse weckte. Darin wurden das frühe Bayern und die Spuren, die es in der Erde hinterlassen hat, in einer bis dahin unerreichten Anschaulichkeit präsentiert. Damals schärften solche Filme das Bewusstsein, dass die Welt sich immer schneller dreht, dass viel Vertrautes verschwindet und dass es höchste Zeit ist, aussterbende Berufe, Bräuche und Lebensformen mit der Kamera zu dokumentieren, bevor es zu spät ist.

Das Archiv des Bayerischen Fernsehens hat sich diesbezüglich zu einer wahren Schatztruhe entwickelt. Allein die seit 1969 ausgestrahlte Reihe "Unter unserem Himmel" ergibt eine einzigartige filmische Dokumentation des Wandels vom darniederliegenden Nachkriegsbayern bis heute. So manche Sendung ist selbst schon ein Erinnerungsgut geworden.

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An diesem Mittwoch (22.45 Uhr) zeigt das Bayerische Fernsehen den ersten Teil der preisgekrönten Dokumentation "früher oder später", die diese Tradition eindrucksvoll fortsetzt. Sie zeigt ein Bayern, das mit der Hochglanz- und Tourismusregion, mit der man unentwegt belästigt wird, nur wenig zu tun hat. Der Schauplatz der vierteiligen Serie heißt Schönsee, es ist eine fast klischeehafte Ortschaft in der Oberpfalz, in der es noch Wald und Kirche, Bauern und Metzger gibt. Und bei einer Beerdigung versammelt sich noch das ganze Dorf auf dem Friedhof. Doch auch in dieser Gegend ziehen definitiv die Jungen weg, und die Alten sterben.

Die Hauptfiguren Ernst und Roswitha Schöfl bewirtschaften einen Hof, das ist in der heutigen Zeit mühsam genug. Um sich finanziell über Wasser zu halten, betätigen sie sich auch noch als Totengräber. Nachdem eine vegane Kommune das leere Hotel im Ort gekauft hat, prallen in Schönsee alte und neue Weltbilder aufeinander.

Welch ein Glücksfall für die Regisseurin Pauline Roenneberg, die vier Jahre lang in diesen Dorfkosmos eingetaucht ist und dort sogar ein Praktikum als Bäuerin und Bestatterin gemacht hat. Diese Nähe versetzte sie in die Lage, das dörfliche Leben mitsamt den daraus resultierenden Skurrilitäten und Absurditäten sowie mit seiner nicht selten tragischen Komik fein ziseliert einzufangen. Der Film kommt den Menschen bis in ihre Gefühlsregungen hinein dramatisch nahe. Er klammert auch Szenen des prallen Lebens, Unfälle, das Herrichten von Leichen und die Wintertristesse einer Beerdigung nicht aus.

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Der Film lief mit großem Erfolg auf dem diesjährigen Dokumentarfilmfestival (DOK.fest) in München und wurde dort mit dem Förderpreis Dokumentarfilm ausgezeichnet. Roenneberg hat eine Welt ausgeleuchtet, die es so nicht mehr lange geben wird. Damit steht sie in Bayern in einer großen Tradition, die sie mit einer modernen Bildsprache fortsetzt.

Ein ähnlich wuchtiger Wurf gelang vor kurzem dem Regisseur Christian Lerch mit seinem Dokumentarfilm "B12 - Gestorben wird im nächsten Leben". Es ist eine Hommage an das fast schon aus der Zeit gefallene Rasthaus bei Hohenlinden, an den Wirt Mane, seinen Vater Lenz und all die anderen Stammgäste, deren Geschichten, deren Leben und Leiden er frappierend direkt und ohne glättende Inszenierung dokumentiert hat.

Die Protagonisten in Christian Lerchs Doku über das Rasthaus an der „B12“. (Foto: Johannes Kaltenhauser)

Diese Art von bayerischem Existenzialismus dürfte Menschen in Zukunft stark berühren. Kein archäologischer Fund lässt so tiefe Einblicke in Randbezirke einer Gesellschaft zu wie solche Dokumentationen. Auch wenn sie vom aktuellen Publikumsinteresse her weit zurückfallen hinter Soaps und Seichtkrimis wie "Dahoam is Dahoam" oder "Hubert & Staller".

Ein anderer, sicherlich die Zeiten überdauernder Dokumentarfilm von 1993 trägt den Titel "Das Ei ist eine geschissene Gottesgabe". Handlungsort ist der von manchem Unglück getroffene Bauernhof Sprengenöd, 40 Kilometer südlich von München. Hauptperson ist die alte Bäuerin Sophie Geisberger, die in stoischer Ergebenheit ihr Schicksal meistert. Dagmar Wagner erhielt für dieses Meisterwerk den Bayerischen Filmpreis.

Nicht zuletzt passt der Streifen "Schöner als Fliegen - Geschichten aus dem Erdinger Moos" (1992) gut in diese Reihe. Drei Jahre lang begleiteten die Filmemacher Wolfgang Ettlich und Elke Jeanrond den Bau des Münchner Flughafens. Ihre Dokumentation schildert episodenhaft den fundamentalen Zusammenprall von Tradition und Moderne und die sich daraus ergebenden Dramen und Verhaltensmuster der betroffenen Menschen, die statt der Stallarbeit plötzlich karibische Nächte erleben.

"A altes Buidl vo München is mehra wert als a Brillant", soll Karl Valentin einst gesagt haben. Dies trifft erst recht auf solche Dokumentarfilme zu.

© SZ vom 28.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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