Kohlestrom für die Energiewende in Bayern? Das war Ministerpräsident Horst Seehofer schon lange suspekt. Ausgerechnet in Sachsen-Anhalt soll eine jener Trassen starten, die Bayern nach dem Abschalten der letzten Meiler mit Strom versorgt. Von Bad Lauchstädt bei Halle - das mitteldeutsche Braunkohlerevier liegt gleich um die Ecke - nach Meitingen bei Augsburg. 450 Kilometer lang, quer durch Bayern.
Für den Freistaat nicht hinnehmbar: "Der Anfangspunkt einer Gleichstrom-Übertragungsleitung im Zentrum der Braunkohlestromerzeugung", heißt es in einer Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums zum Netzausbau, "schafft bei Bürgern kein Verständnis für deren Notwendigkeit und deren Zusammenhang mit der Energiewende".
"Phantasievolle" Lösung gesucht
Aber Bayern braucht Strom, wenn das Atomzeitalter 2022 zu Ende ist. Eine "phantasievolle" Lösung des Problems hatte sich Seehofer neulich im Kabinett gewünscht. Längst fahndet der Freistaat nach einem Plan B, denn neuen Leitungen wird er sich nicht länger verweigern können. Und so suchen die Bayern auch einen neuen Startpunkt für ihre Leitung. Einen, der nach Ökostrom klingt, nach Zukunft. Nicht nach Kohlerevier.
Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) stehen schon in Kontakt. "Wir glauben, dass wir mit den Bayern zusammen Vorschläge entwickeln können, wie man Trassenverläufe so organisiert, dass man keinen gesellschaftlichen Streit hat", sagt Gabriel.
Alternative enthielte quasi Windstrom pur
Eine Alternative könnte ausgerechnet die Verlängerung der umstrittenen Leitung sein - bis hoch in den Norden. Ursprünglich war das ohnehin so vorgesehen, die Trasse hätte bis nach Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern führen können. Eine Leitung von dort enthielte quasi Windstrom pur. Obendrein prüft derzeit der ostdeutsche Netzbetreiber 50Hertz eine Trasse nach Schweden, die "Hansa Power Bridge". Die vorgebliche Kohleleitung würde so zur astreinen Energiewende-Leitung, samt Zugang zu gigantischen Stromspeichern in Schweden.
Richtung Süden dagegen könnte die Leitung beim Atomkraftwerk Isar enden, also bei Landshut. Sie wäre zwar nicht sehr viel kürzer. Aber jeder Kilometer weniger erspart schon Ärger, so aufgeheizt ist die Stimmung in Bayern. Auch wäre nicht mehr der Dortmunder Netzbetreiber Amprion zuständig, sondern Tennet. Sitz: Bayreuth.
Seehofer selbst agiert noch zurückhaltend. "Ob es eine Alternative gibt, wird man überlegen müssen", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Das hört sich schon anders an als das kompromisslose Nein der letzten Wochen und Monate. Zudem werde er eine "Beschädigung der Landschaft" durch eine Trasse, die "quer durch Bayern" verläuft, nicht akzeptieren. Das muss er vielleicht auch nicht. Eine Änderung im "Bundesbedarfsplangesetz", die bis zum Sommer verabschiedet sein soll, könnte ihm gelegen kommen: Es regelt bisher haarklein, welche Stromtrassen auch unterirdisch verlegt werden können und welche nicht.
So sind für die "SuedLink"-Trasse, die aus dem Norden kommend durch Unterfranken nach Grafenrheinfeld bei Schweinfurt führen soll, Erdkabel-Abschnitte möglich. Für die Süd-Ost-Trasse aber nicht. Eine winzige Änderung, Teil des Reformpakets zum Ökostrom, hebt diese Unterscheidung auf. Danach können die neuen Hochspannungstrassen grundsätzlich auch als Kabel verlegt werden, wenn sie zu nah an Siedlungen vorbeiführen - "auf technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitten". Nur dort, wo sie direkt entlang bestehender Hochspannungstrassen verlaufen sollen, wäre es verboten.
Für den Verlauf der Süd-Ost-Trasse durch Bayern könnte das Folgen haben. Denn ein neuralgischer Punkt der Trasse war bisher Bayreuth. Hier stößt die Leitung, die an der Autobahn A 9 entlangführen soll, direkt an die Stadt - die Autobahn nimmt einen Tunnel. Ließe sich auch die Stromtrasse hier als Kabel verlegen, müsste sie nicht durchs Fichtelgebirge. Jedenfalls so lange nicht, wie der Endpunkt bei Augsburg liegt. Auch Netzbetreiber Amprion signalisiert Flexibilität. "Wir sind offen für alle Vorschläge, die uns das Gesetz erlaubt", sagt eine Sprecherin.
Ob das den Gegnern reicht? "Es geht um die Notwendigkeit dieser Trasse", sagt Andrea Carl, Sprecherin des Aktionsbündnisses der Leitungsgegner, dem in Bayern und Thüringen mittlerweile 50 Bürgerinitiativen angehörten. "Wir wollen sie nicht woanders hinschieben." Vergangene Woche hatte das Aktionsbündnis in Berlin 130 000 Unterschriften gegen die Amprion-Trasse übergeben. "Wir werden kämpfen bis aufs Messer", sagte Carl. Auch bei der SuedLink-Trasse, deren erste Pläne am Dienstag in Wasserlosen bei Schweinfurt vorgestellt wurden, hat die Aussicht auf Erdkabel-Abschnitte den Widerstand bislang nicht weiter beeindruckt.
Spaltung des Strommarktes in Nord und Süd droht
Allerdings scheint auch der Staatskanzlei zu dämmern, dass die Probleme ohne die Leitung noch größer sein könnten als mit. Es droht eine Spaltung des Strommarktes in Nord und Süd - mit unterschiedlichen Preisen. "Wenn man auf den Netzausbau verzichtet, kann immer öfter der günstigere Strom aus dem Norden nicht nach Süden transportiert werden", warnt Patrick Graichen, Direktor des Berliner Energie-Thinktanks Agora Energiewende.
Folglich müssten Reservekraftwerke im Süden einspringen. Die Kosten dafür könnten bald eine halbe Milliarde im Jahr betragen, sagt Graichen, zu zahlen von den Stromkunden. "Und irgendwann wird sich die Allgemeinheit fragen, wie lange sie dafür noch geradestehen will." Wo der Strom bei einer Teilung des Strommarkts teurer wäre, ist schon klar: in Süddeutschland.