Diplomatische Verwicklungen:Attacke in Nürnberg

Der nigerianische Politiker Ike Ekweremandu wird von Oppositionellen gehetzt. Die Botschaft übt harsche Kritik am mangelnden Schutz durch die Polizei

Von Lutz Mükke, Nürnberg

Die Ankündigung, der nigerianischen Organisation "Indigene Bevölkerung von Biafra" (IPOB), dass ihre Mitglieder hohe nigerianische Repräsentanten im Ausland angreifen werden, ist am vergangenen Wochenende Realität geworden. Ike Ekweremandu, Mitglied des nigerianischen Senats und langjähriger ehemaliger Senats-Vizepräsident, wurde in Nürnberg Mögldorf von IPOB-Anhängern attackiert. In den sozialen Medien sind mehrere Videos von der Attacke zu sehen. Sie zeigen, wie der Senator gehetzt, gezerrt, mit Eiern beworfen, geschlagen und am Betreten des Veranstaltungsortes gehindert wurde und sich schließlich in sein Auto rettete. Der Politiker wollte an einer Feierlichkeit der nigerianischen Community zum traditionellen New-Yam-Fest teilnehmen.

Die BBC berichtete über den Vorfall, und in nigerianischen Medien schlägt er hohe Wellen. Insbesondere die Reaktion der deutschen Polizei hält man in Nigeria für inadäquat. So sendete der Nachrichtensender Channels Television ein Interview mit Rainer Seebauer, einem Pressesprecher der Nürnberger Polizei. Der beschreibt, etwa 30 Leute hätten gegen den Senator demonstriert, die Polizei habe die Situation jedoch beruhigt, als sie gerufen wurde. Schließlich sei der Senator in seinem Auto davongefahren. Weiter sei nichts passiert. Niemand sei verhaftet worden. Die Polizei ermittele auch nicht.

Diplomatische Verwicklungen: Ike Ekweremandu ist Mitglied des Senats.

Ike Ekweremandu ist Mitglied des Senats.

(Foto: oh)

Yusuf Tuggar, der nigerianische Botschafter in Berlin, protestiert in einer Mitteilung: "IPOB ist in Nigeria als Terrororganisation verboten und die Botschaft hat Deutschland längst darum ersucht, das gleiche zu tun, denn hier hat IPOB seinen Hauptsitz." Der Botschafter, der kurz nach dem Handgemenge selbst in Nürnberg eintraf, erklärt, dass im Vorfeld die Nürnberger Polizei darum gebeten worden sei, die Veranstaltung entsprechend abzusichern. Auf diese Bitte sei nicht eingegangen worden. Man habe die Gefährdungslage offenbar nicht erkannt.

Die nigerianische Botschaft fordert eine Untersuchung des Überfalls. Dies solle auch von künftigen Gewaltakten abschrecken, so Tuggar. Er kritisiert zudem, dass es zunächst keinerlei Reaktionen von deutschen Behörden oder von Regierungsseite gegeben habe. "Es scheint noch ein langer Weg, bis es keinen Unterschied mehr zwischen einem afrikanischen, asiatischen, europäischen oder nordamerikanischen Regierungsvertreter auf deutschem Boden mehr gibt", so Tuggar. Sicherheit und Würde müssten jedoch unabhängig von der Herkunft gleichermaßen für alle gewährleistet werden. Es könne nicht sein, dass ein nigerianischer Senator aus Angst um sein Leben Deutschland fluchtartig verlasse. Der Senator flog nach dem Vorfall zurück nach Nigeria.

In dem westafrikanischen Land zirkuliert derweil ein Schreiben, adressiert von Außenminister Heiko Maas an den nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari, in dem auf die Eskalation in Nürnberg eingegangen und die nigerianische Regierung scharf kritisiert wird. Bei dem Schreiben handele es sich um eine Fälschung, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.

Das Polizeipräsidium Mittelfranken bedauerte den Vorfall am Freitag. Demnach sei eine Polizeistreife zum Veranstaltungsort gefahren und habe das Fahrzeug als Sperre eingesetzt, um die Verfolger vom Pkw des Senators zu trennen. Der Senator sei dann bis zu seinem Hotel in die Nürnberger Innenstadt begleitet worden. Eine Ungleichbehandlung bei der "polizeilichen Betreuung" erkenne man nicht. Inzwischen ermittle auch der Polizeiliche Staatsschutz, die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth prüfe und man stehe in Kontakt zur nigerianischen Botschaft, so Robert Sandmann, Erster Kriminalhauptkommissar.

Hintergrund der Nürnberger Geschehnisse sind die seit Jahren in Nigeria eskalierenden Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeitsbestrebungen des südöstlichen Landesteils Nigerias, auch Biafra genannt. Im Rahmen der "Operation Python Dance" agiert das nigerianische Militär in Südost-Nigeria teils mit äußerster Härte gegen Unabhängigkeitsbestrebungen, militante Gruppierungen und kriminelle Banden. Ein Höhepunkt der Eskalationen fand 2015 und 2016 statt, als nigerianische Militärs 150 Unabhängigkeitsaktivisten und Demonstranten töteten. Eine Untersuchung von Amnesty International spricht von Folter und "Hinweisen auf Massenexekutionen durch Sicherheitskräfte, darunter mindestens 60 Menschen, die anlässlich der Ereignisse zum Biafra-Gedenktag innerhalb von zwei Tagen erschossen wurden". Es waren vor allem IPOB-Mitglieder, die die Massendemonstrationen und Biafra-Gedenkveranstaltungen organisierten.

IPOB bekennt sich zu den Vorgängen in Nürnberg. Der Senator sei ein "Unterstützer" der "Operation Python Dance", erklärt ein Sprecher und warnt, dass kollaborierende Igbo-Führer nunmehr "gedemütigt werden", wo immer sie im Ausland auftreten. Namentlich werden unter anderem die Gouverneure der nigerianischen Bundesstaaten Ebonyi, Abia und Anambra gewarnt. IPOB sei weltweit in mehr als 100 Ländern aktiv. Die Organisation wurde 2012 gegründet und tritt für einen unabhängigen Staat Biafra ein. 2017 setzte die nigerianische Regierung sie auf ihre Liste von Terrorgruppen. In der Organisation sind hauptsächlich Igbo aktiv, die größte Volksgruppe des ölreichen Südost-Nigerias. Dort tobte zwischen 1967 und 1970 der Biafra-Unabhängigkeitskrieg, der mehr als eine Million Opfer forderte. Die Regierungstruppen gewannen ihn auch durch eine Hungerblockade.

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