Süddeutsche Zeitung

Dinkelsbühl:Barmherzigkeit für Metal-Fans

Auf dem Summer Breeze Festival in Dinkelsbühl steht ein Zelt der evangelischen Kirche. Vor der Verdammnis warnen wollen die Christen aber nicht.

Von Theresa Krinninger, Dinkelsbühl

Zehn Bierdosen, ein paar Streifen schwarzes Klebeband und Bindfaden: Fertig ist das festivaltaugliche Christuskreuz. Pünktlich zum Auftakt des Summer Breeze Festivals am Mittwoch hängt das Kunstwerk am Zelt der evangelischen Kirche, die seit drei Jahren auf der Festwiese in Dinkelsbühl vertreten ist.

Jedes Jahr versetzt das zweitgrößte Metal-Festival in Deutschland das 11 000-Einwohner-Städtchen in den Ausnahmezustand. Hinzu kommt für fünf Tage eine riesige Zeltstadt mit 40 000 Menschen. Größer ist nur das Wacken Open Air in Schleswig-Holstein mit mehr als 70 000 Besuchern.

Mitten drin steht das kleine Kirchenzelt. Unauffällig und trotzdem einladend soll es wirken. Menschen können sich hier begegnen, sich bei den Haupt- und Ehrenamtlichen "auskotzen" oder über Gott und die Welt plaudern. "Nach anfänglicher Diskussion haben wir das Kreuz dann richtig rum aufgehängt", sagt der Rosenheimer Religionslehrer Jörg Hettich. Er ist zum dritten Mal dabei.

Was scherzhaft gemeint ist, trifft die Gemengelage im Kern: Was macht die evangelische Kirche auf einem Treffen, bei dem sich - so die allgemeine Vorstellung - mehrheitlich Atheisten und geübte Biertrinker versammeln? "Anstatt sich mit einem Bibelspruch am Kirchturm von der Festivalgemeinschaft abzugrenzen, wollen wir auf die Menschen zugehen", sagt Dekan Uland Spahlinger.

Die evangelische Kirchengemeinde hatte jahrelang das Festival mit einem Transparent an der Paulskirche kommentiert, auf dem der Bibelspruch zu lesen war: "Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird sein Leben nicht in der Finsternis verbringen." Darüber sei innerhalb der Gemeinde kontrovers diskutiert worden. Der Dekan packte es 2015 anders an, mit der Idee vom Kirchenzelt.

Der Mann mit den freundlichen Augen und buschigen Brauen ist festivaltauglich gekleidet: schwarze Lederweste, Lederhut mit breiter Krempe. "Der Veranstalter ist wahrscheinlich zusammengezuckt, als er von unserem Plan gehört hat", sagt Spahlinger.

Zwischen Festivalgästen und frommen Kirchengängern war der Ärger programmiert. Unter anderem hatten Ultrakonservative und freikirchliche Anhänger die Festivalbesucher mit Plakaten vor der Verdammnis gewarnt. Spahlingers Konzept funktioniert anders. Es geht ihm nicht um Bekehrung, sondern darum, dass Menschen die Kirche anders kennenlernen.

"Unser Zelt kam schon im ersten Jahr sehr gut an", sagt Spahlinger. 2015 hat sein Team 450 intensive Gespräche gezählt. Im zweiten Jahr waren es 600. Dieses Jahr ist es zu früh für eine Prognose, das Festival endet an diesem Samstag. "Da kommen zum Beispiel Pärchen, die einen Segen haben wollen, andere reden ganz offen über Missbrauch in der Kirche und der Familie", sagt Hettich. Gerade hat sich eine junge Vikarin mit einem Festivalgast hinten ins Zelt zum Gespräch zurückgezogen.

Die Reaktionen sind dennoch sehr unterschiedlich. Viele Passanten halten das Kirchenzelt für einen Witz. Andere kommen hauptsächlich wegen der Handy-Aufladestation oder für eine Tasse Kaffee vorbei, den es hier um vier Uhr nachts noch gibt. Am spannendsten seien die Nachtgespräche. "Da sind die Zungen lockerer als am Nachmittag", sagt Hettich. Allerdings wird der Alkoholpegel auch manchmal zum Problem.

Wie etwa bei "Bier-Björn" im ersten Jahr, erinnert sich Hettich. Er war sehr betrunken und zunehmend aggressiv, man musste einschreiten. Allerdings blieb es bislang bei Einzelfällen. "Generell läuft es hier sehr friedlich ab", sagt Dekan Spahlinger. Unter den Fans herrsche fester Zusammenhalt. Das hat auch die Freiwillige Feuerwehr bestätigt. Verglichen mit den Einsätzen auf anderen Festivals, sei das Publikum auf dem Summer Breeze am friedfertigsten.

Der friedliche Ablauf ist schon mal der erste Schritt. Wenn man sich aber die Glaubensfrage ernsthaft stellt, muss man auch fragen, ob man als überzeugter Christ Heavy Metal hören darf. "Why should the devil have all the good music?" - "Warum soll dem Teufel die gute Musik gehören?", erwidert Hettich mit einem Zitat von Larry Norman, Vorreiter des White Metal, einem Subgenre mit christlichen Texten. Hettich ist nicht nur überzeugter Metal-Fan, sondern auch fachkundig.

In seiner Diplomarbeit hat er religiöse Tendenzen in der Rockmusik analysiert. Sein persönliches Fazit: Ja, man kann Christ sein und Metal hören. Es gehe dabei weniger um die Musik als um die Werte, die man vertritt. Problematischer seien radikalere Black-Metal-Bands, die mit antichristlichen oder satanistischen Texten provozieren.

Black Metal hat wegen seines teils gewaltverherrlichenden und rassistischen Gedankenguts auch innerhalb der Szene einen zweifelhaften Ruf. Hettich zufolge liegt das Problem oft schon am Stil der Darbietung. "Viele Fans verstehen gar nicht, was da gesungen wird." Er meint damit den Kehlgesang - zu Deutsch das Geschrei der Metal-Sänger.

Natürlich seien auch Fans dabei, die beim Anblick des Kirchenzelts auf Konfrontation gehen. Das löse sich aber häufig auf. Hettich hat in diesen Situationen schon die schönsten Erfahrungen gemacht. Etwa als Menschen erst skeptisch waren, dann aber schnell Vertrauen gefasst haben.

Auch "Bier-Björn" ist dieses Jahr wieder da. Hettich erkennt den großen Mann mit dem langen blonden Zopf sofort. Björn entschuldigt sich, er sei zu betrunken gewesen und verabschiedet sich mit "schön, dass ihr wieder da seid".

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SZ vom 19.08.2017/amm
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