Prozess in Augsburg:24-Jähriger steht nach Tod eines Kindes vor Gericht

Prozess in Augsburg: Der 24 Jahre alte Sascha K. (im weißen Hemd) macht zum Prozessauftakt ausschließlich Angaben zu seiner Person.

Der 24 Jahre alte Sascha K. (im weißen Hemd) macht zum Prozessauftakt ausschließlich Angaben zu seiner Person.

(Foto: Florian Fuchs)

Sascha K. soll den dreijährigen Sohn seiner Lebensgefährtin mit Schlägen tödlich verletzt haben. Ein Fall, bei dem von Beginn an auch das Landratsamt Dillingen in der Kritik stand.

Aus dem Gericht von Florian Fuchs, Augsburg

Sein Gesicht möchte er nicht voll zeigen. Die Prozessbeteiligten, das stellt der Vorsitzende Richter der 8. Strafkammer am Landgericht Augsburg zu Beginn klar, dürfen im Sitzen ihre Gesichtsmasken abnehmen. Ein Angebot, das alle außer Sascha K. in Anspruch nehmen. Mit klarer, fester Stimme macht er Angaben zu seiner Person, 24 Jahre, Elektroniker. Dann verstummt der Angeklagte, auf Anraten seiner Anwälte. Hinter seiner Atemmaske regt sich keine Miene mehr, über den gesamten ersten Prozesstag.

Zu den Vorwürfen gegen ihn nimmt Sascha K. keine Stellung: Er soll den drei Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin so massiv geschlagen und misshandelt haben, dass das Leben des Jungen nicht mehr zu retten war. Der 24-Jährige muss sich wegen Totschlags und Misshandlung Schutzbefohlener verantworten. In der Kritik stand in dem Fall aber von Beginn an auch das Landratsamt Dillingen wegen einer Kommunikationspanne - sonst wäre vielleicht frühzeitig das Jugendamt auf die Familie aufmerksam geworden.

Es war der 20. Oktober 2019, als die Mutter des Jungen sich um neun Uhr morgens verabschiedete. Offenbar ging sie zum Reiten, sie plante, erst abends wieder zurückzukommen. Ihr Lebensgefährte sollte auf den Sohn und die zweijährige Tochter aufpassen. Laut Anklage eskalierte die Situation in der Wohnung am Nachmittag: Sascha K. soll dem Jungen wenigstens zwei kräftige Faustschläge in den Magen versetzt und seinen Tod so "mindestens billigend in Kauf" genommen haben. Der Staatsanwalt beschreibt den Dreijährigen als zierlich, offenbar war er unterernährt und bei 13 Kilogramm Gewicht 93 Zentimeter groß. Bei den Schlägen in den Magen blieb es nicht, der Angeklagte schlug dem Kind demnach auch mindestens zweimal ins Gesicht.

Der Dreijährige sei Sascha K. und dessen Aggressionen "schutz-, hilf- und wehrlos" ausgeliefert gewesen, sagt der Staatsanwalt. Der Junge begann aufgrund der Schläge zu schreien und zu weinen. Was nun folgte, war auch bei der Obduktion nicht eindeutig zu klären: Entweder der Angeklagte hielt dem Kind laut Anklage Nase und Mund zu oder er nahm es in beide Hände und schüttelte es, wobei er ein massives Schütteltrauma auslöste. In der Nacht um 3.42 Uhr starb der Junge im Universitätsklinikum Augsburg, wo er von der alarmierten Notärztin hingebracht worden war - entweder in Folge der Schläge durch massive Blutungen im Bauch. Oder er ist erstickt. Festgenommen wurde der damals 23 Jahre alte Angeklagte erst Monate später.

Hätten sich Mitarbeiter des Jugendamts früher eingeschaltet, könnte der Dreijährige vielleicht noch leben

Die Mutter war fast ein Jahr zuvor mit ihren Kindern und Sascha K. nach Dillingen gekommen. Sie hatte zuvor in Halle gewohnt, wo sie auch vom dortigen Jugendamt betreut wurde. Diese Information drang allerdings nie zum Jugendamt in Dillingen durch, wohl auch deshalb, weil die Betreuung in Halle vor dem Umzug endete. In Dillingen war der Ärger über die Kollegen in Sachsen-Anhalt dennoch groß, auf Fehlersuche ging das Landratsamt jedoch auch im eigenen Haus. Eine Nachbarin der jungen Familie hatte sich einige Zeit vor der Tat an das Dillinger Veterinäramt gewendet, weil sie aus der Wohnung immer wieder lautes Bellen gehört hatte. Dort lebten zwei große Hunde, teilte sie mit - die aber kaum je nach draußen kämen. Und in der Wohnung lebten auch Kinder.

Die Behörde verließ sich offenbar darauf, dass die Anruferin die Information über die Kinder selbst ans Jugendamt weitergeben würde: Das Veterinäramt jedenfalls verständigte das Jugendamt nicht. Hätten sich Mitarbeiter des Jugendamts früher eingeschaltet, könnte der Dreijährige vielleicht noch leben: Nach dem Notruf am 20. Oktober nahmen Mitarbeiter die zweijährige Schwester des toten Jungen wegen der für Kleinkinder unhaltbaren Zustände in der Wohnung sofort in Obhut. Sie lebt in einem Kinderheim.

Die behandelnde Notärztin sagt in der Verhandlung aus, dass ihr der Angeklagte mit dem leblosen Jungen im Arm entgegenlief, als sie am Wohnhaus ankam. Er habe einen besorgten Eindruck gemacht. Allerdings habe er ihr und ihrem Kollegen keinen einleuchtenden Grund nennen können für den Atem- und Kreislaufstillstand des Jungen. Das Kind habe Tage zuvor bereits Bauchschmerzen gehabt, sei die Auskunft gewesen. Der Kinderarzt habe aber nichts Auffälliges gefunden. Im Krankenhaus habe sich dann herausgestellt, dass etwas im Bauch perforiert gewesen sei. Es habe aber keine Prellungen oder Anzeichen für Schläge gegeben.

Der hinzugerufene Kollege der Notärztin sprach dagegen von bläulich verfärbten Stellen am Kinn des Kindes. Die Situation sei extrem ungewöhnlich, weil bei einem Kind nicht einfach so alles komplett stehen bleibe. Er habe deshalb veranlasst, die Polizei zu rufen. "Es war für mich nicht erklärlich, dass es ein natürlicher Tod gewesen sein sollte." Auch die Wohnung habe einen seltsamen Eindruck auf ihn gemacht, man habe keinen Schritt gehen können, ohne auf Spielzeug oder Plastik zu treten.

Das Gericht hat für den Prozess 15 Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil könnte Ende März fallen.

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