Süddeutsche Zeitung

Die Woche:Held der Woche

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Michael Riffelmacher steht am Dienstagmorgen im Operationssaal, als sein Piepser schrillt. Der Chefarzt für Anästhesie ist 30 Minuten später am Mangfallkanal, joggt die letzten Kilometer zur schwer zugänglichen Unfallstelle. Das Zugunglück zwischen Bad Aibling und Kolbermoor übertrifft alles, was der leitende Notarzt in 30 Jahren gesehen hat. 150 Menschen saßen in den Regionalzügen, die auf eingleisiger Strecke zusammengestoßen waren. Elf Reisende starben, 20 wurden schwerst, 80 leichter verletzt. 750 Helfer aus der Region und Tirol versuchten, die Verletzten schnellstmöglich aus den Trümmern zu bergen. "Ich habe noch nie eine Situation erlebt, in der solch ungebremste Kräfte freigesetzt wurden, das zeigen auch die Verletzungen", sagt der 62-Jährige. Er übernahm die medizinische Leitung an der Einsatzstelle, kämpfte sich mit Sanitätern und der Feuerwehr zu den Schwerverletzten im Innern der zerstörten Waggons vor. Die Teamarbeit habe sehr gut funktioniert. Aber mit dabei war stets die Angst, Freunde unter den Verletzten zu entdecken. Besonders dramatisch stand es um einen 17-Jährigen, der so zwischen den Trümmern eingeklemmt war, dass Michael Riffelmacher nur Gesicht und Handrücken sehen konnte. Die Feuerwehr musste schweres Gerät einsetzen, damit der Notarzt überhaupt schmerzstillende und beruhigende Medikamente geben konnte. Zweieinhalb Stunden dauerte es, bis der junge Mann befreit war. Zweieinhalb Stunden, in denen Riffelmacher und eine junge Bundespolizistin ständig mit ihm sprachen. "Sie hat sich rührend gekümmert, damit er sich nicht alleine fühlt", sagt Riffelmacher. Der 17-Jährige überlebte, seine Prognose sei für das, was er durchlitten hat, gut, sagt der Arzt. Um die furchtbaren Bilder zu verarbeiten, spricht er viel mit seiner Frau und den Kollegen: "Reden und ein starkes soziales Umfeld helfen immer."

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SZ vom 13.02.2016 / angu
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