Die "Sünderin" in Regensburg:Der Filmkrieg

Proteste, Beschimpfungen gegen die Geistlichkeit, Stinkbomben, Verletzte: Vor 60 Jahren stand Regensburg am Rande eines Bürgerkriegs. Wegen des Kinofilms "Die Sünderin", in dem Hildegard Knef eine Prostituierte spielte.

Hans Kratzer

Die Demonstranten warfen Stinkbomben, skandierten Parolen, schmähten den Bischof und die Geistlichkeit. Heute vor 60 Jahren, am 21. Februar 1951, stand Regensburg am Rande eines Bürgerkriegs. Ausgelöst wurden die Tumulte von einem Kinofilm, der die Bevölkerung in Befürworter und Gegner entzweite. "Die Sünderin" lautete der Titel des Skandalstreifens, in dem die damals 25-jährige Hildegard Knef für wenige Sekunden ihre nackte Brust zeigte.

Hildegard Knef in "Die Sünderin", 1951

Hildegard Knef in "Die Sünderin", 1951 FILE -- Famous German actress Hildegard Knef in a scene of the movie "The Sinner", taken Feb.27, 1951. As a daughter of an immoral society woman, the girl is seduced by her younger step-brother while her anti-nazi step-father is imprisoned by the Gestapo for listening to BBC. In this scene, her step-father, played by Robert Meyn, discovers the scandal on his return home. (AP-Photo)

(Foto: AP)

Aber nicht diese Szene löste einen Proteststurm aus, wie fälschlicherweise oft angenommen wird. Vielmehr kritisierten die Gegner des Films, dass er die Prostitution ebenso als Selbstverständlichkeit darstellt wie den Suizid und die Tötung auf Verlangen. Die Knef war in der Rolle einer Prostituierten zu sehen, die Sterbehilfe für ihren kranken Freund leistet und anschließend Selbstmord begeht.

Es war starker Tobak, der dem Kinopublikum serviert wurde. Als der Film am 18. Januar 1951 Premiere feierte, war der Skandal programmiert. Aber nirgendwo kam es zu so heftigen Reaktionen wie im Freistaat. Die Widersprüchlichkeit von Tradition und Moderne, die Bayern heute noch prägt, öffnete sechs Jahre nach Kriegsende den Weg für einen Wertewandel im deutschen Filmgeschäft.

Ähnlich sieht das die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK): "Wir waren eine verklemmte, postfaschistische Gesellschaft mit einem prüden Frauenbild und einem heldenhaft verklärten Männerbild", sagt FSK-Geschäftsführerin Christiane von Wahlers. " Dem Film ist eine klärende Debatte über die Freiheit der Kunst im Kino zu verdanken, von der wir bis heute profitieren."

Kurz vor der Veröffentlichung hatte die FSK die Freigabe verweigert, die Vorführung dann aber doch gestattet. Der katholische Film-Dienst rief sofort zum Boykott auf. Flugblätter wurden verteilt: "Die Sünderin - Ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau! Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?"

In Regensburg hatten sich am Abend des 21. Februar 1951 mehrere tausend Menschen auf dem Rathausplatz versammelt. Der Historiker Christian Kuchler, der die Ereignisse in einer Dissertation aufgearbeitet hat, sagt, dass unter den Teilnehmern nur etwa 400 Menschen ein Filmverbot gefordert hätten. Die Mehrheit sei erschienen, um für die Freiheit der Kunst zu demonstrieren.

Ein bewaffnetes Polizeiaufgebot im Kino

Als Stinkbomben gezündet wurden und ein Polizist verletzt am Boden lag, spitzte sich die Lage zu. In Rücksprache mit dem Innenministerium verhängte der Regensburger Oberbürgermeister Georg Zitzler ein Verbot des Films. Ein bewaffnetes Polizeiaufgebot drängte die Zuschauer aus dem Kino und beschlagnahmte die Filmrollen.

Nun marschierten empörte Regensburger vor das Rathaus. Das liberale Bürgertum wehrte sich gegen die Absetzung der "Sünderin", aber die Polizei ging mit Wasserwerfern und Knüppeln gegen die aufgebrachte Menge vor. Die Regensburger Feuerwehr, so überliefert es die Lokalpresse, habe sich geweigert, auf die Bürger zu spritzen - daraufhin habe die Polizei die Spritze beschlagnahmt. Vor dem bischöflichen Palais äußerten Demonstranten massive Beschimpfungen gegen die Geistlichkeit, außerdem beschädigten sie das Gebäude.

Erst der dritte Tag brachte die Wende. Wieder fanden sich Tausende vor dem Rathaus zusammen, wo der Stadtrat schließlich in einer Sondersitzung mit einer Stimme Mehrheit für die Freigabe des Streifens votierte. Ganz Deutschland blickte gebannt auf die Wirren, die der Knef-Film in Bayern ausgelöst hatte. Im ganzen Land hatten sich zwar Aktionskomitees gebildet, aber die bayerischen Bischöfe standen an der Spitze des Protests.

Die schärfsten Worte fand der Regensburger Erzbischof Michael Buchberger. Er sprach von einem "Vorgeschmack auf einen bolschewistischen Angriff, der die christliche Grundordnung zerstören" wolle. Seine Äußerungen zeigen, so Kuchler, dass man im katholischen Milieu das Ringen nicht nur als eine Konfrontation um einen Film ansah. Gerade im Bistum Regensburg war man erschüttert, welch hohe Mobilisierungskraft die antiklerikalen Kräfte entfalteten. Nur der Speyerer Bischof Joseph Wendel und der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Michael Faulhaber, schwiegen.

Der von der Kritik überwiegend als künstlerisch belanglos bewertete Streifen entwickelte sich dank der Aufführungsverbote und der Proteste zu einem Kassenerfolg. Vier Millionen Zuschauer sahen ihn, bevor er im Sommer 1951 wieder aus den Kinos verschwand.

Die Tumulte vor 60 Jahren sind Gegenstand einer Ausstellung, die von Regensburger Schülern und Studenten erarbeitet wurde und an diesem Montag (19 Uhr) in der Aula des Von-Müller-Gymnasiums in Regensburg (Erzbischof-Buchberger-Allee 23) eröffnet wird.

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