Die neue Formel der Landespolitik:50 minus X

Ganz neue Töne in der bayerischen Landespolitik: Die Opposition wittert Morgenluft, die CSU übt sich derweil in Bescheidenheit und hätschelt die FDP. Worte wie "Alleinregierung" nimmt bei den Christsozialen keiner mehr in den Mund.

Frank Müller

In viele Winkel Bayerns haben sich die im Landtag vertretenen Parteien in den vergangenen zwei Wochen zu internen Strategiedebatten zurückgezogen. Nach den zwei Klausurwochen sieht Bayerns Politikwelt deutlich anders aus, als noch in der ersten Jahreshälfte. Das merkt man vor allem bei der CSU: Dort nimmt nun Wörter wie "Alleinregierung" oder "absolute Mehrheit" keiner mehr in den Mund.

Herbstklausur der CSU-Landtagsfraktion

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (rechts) und CSU-Fraktionschef Schmid: Niemand redet mehr von Alleinregierung.

(Foto: dapd)

Noch vor wenigen Wochen folgte die Politik von Ministerpräsident Horst Seehofer der unausgesprochenen Strategie: zurück an die ungeteilte Macht, dadurch, dass man die FDP ganz einfach zerquetscht. Seehofers - ebenfalls nicht offen formulierte - Botschaft zum Start in den politischen Herbst ist nun eine andere: der FDP die Luft zum Atmen lassen, denn es könnte gut sein, dass sie der CSU und damit Seehofer selbst das politische Überleben in Regierungsverantwortung rettet. Wann hat es das je gegeben, dass der Ministerpräsident die Klausurergebnisse der FDP lobt, bevor er auf die eigenen zu sprechen kommt?

Es hat sich etwas verschoben in Bayern, das hat vor allem damit zu tun, dass aus der zuvor nur theoretischen Machtoption für die Opposition nun eine halbwegs konkrete geworden ist. Der Antritt des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude als Spitzenkandidat für die SPD hat die Gefechtslage verändert: Er könnte SPD, Grüne und Freie Wähler gemeinsam um die ein, zwei entscheidenden Prozentpünktchen stärker machen als CSU und FDP zusammen. Und als die CSU alleine sowieso.

Die aktuelle bayerische Wahlarithmetik ist nämlich höchst subtil. Von der guten alten Formel "50 plus X", die früher das CSU-Standardwahlziel war, redet kein Mensch mehr. "50 minus X", heißt jetzt die Aufgabe: Wie zimmert man sich mit weniger als der Hälfte der abgegebenen Stimmen eine regierungsfähige Mehrheit zusammen?

Die interessante Variable in dieser Mathematik ist die Fünf-Prozent-Hürde. Je mehr Parteien ihr bei der Wahl im Herbst 2013 nahekommen, ohne sie zu überspringen, desto tiefer sinkt die Schwelle zur absoluten Mehrheit der Sitze im Landtag. Wenn also Linke, ÖDP, vielleicht die FDP, neuerdings auch die Piraten alle auf vergleichsweise hohem Niveau draußen bleiben, könnte es schon mit 43 Prozent der Stimmen zur Regierungsbildung langen.

Nun rechnen sich also alle etwas aus, aber auf höchst unterschiedliche Weise, wie bei den Klausuren deutlich wurde: Die CSU übt sich in Bescheidenheit und will, dafür trommelt vor allem Fraktionschef Georg Schmid, durch solide Arbeit herausholen, was geht - neuerdings gemeinsam mit der FDP. Die wiederum verfährt nach dem Prinzip Hoffnung: Weitermachen, sich nicht vom Krisengerede anstecken lassen und schon gar nicht nach Berlin gucken. Die neue Sympathiewelle von der CSU haben die FDP-Abgeordneten mit Genugtuung aufgenommen - und der Hoffnung, dass Seehofers nächster Strategieschwenk möglichst lange auf sich warten lassen möge.

Die Opposition dagegen setzt mit unterschiedlich starker Ausprägung auf Angriff. Bei der SPD verteilen sie gedanklich schon die Regierungsposten für die Zeit nach 2013 - häufig zwar im Spaß, aber auch darin liegt bekanntlich Ernst. Doch wenn aus dem Ude-Effekt mehr werden soll als nur ein verfrühtes Strohfeuer, müssen der OB und seine Partei erst noch zu einer Kampfeinheit zusammenwachsen.

Deutlich nüchterner, das zeigte sich auf der Klausur in Amberg, gehen die Grünen die Vision vom Machtwechsel an. Sie machen weiter, als wäre nichts gewesen, wollen auch den Herausforderer für Seehofer nicht vorzeitig nominieren. Das wirkt zwar gelassen, überlässt allerdings der SPD das Feld des Oppositionsführers.

Bleiben noch die Freien Wähler, die auch auf ihrem Strategietreffen wieder deutlich machten, wie sehr sie das Dasein als Zünglein an der Waage genießen. Entweder mit SPD und Grünen oder aber doch mit der CSU, auf alle Fälle aber an der Macht: Die Strategie fährt Landeschef Hubert Aiwanger mit sichtlichem Vergnügen weiter. Er pokert dabei hoch: Am Ende könnte es sein, dass viele Wähler es doch gern etwas konkreter hätten.

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