Süddeutsche Zeitung

Voß im Gespräch:"Klaus Ernst wusste um die Ungereimtheiten"

"Ausgebremst, wo es nur ging": Der bayerische Linken-Schatzmeister Ulrich Voß legt in der Affäre um angeblich manipulierte Mitgliederdaten nach - und berichtet aus der Innenwelt einer zerstrittenen Partei.

Uwe Ritzer

Das grüne Idyll und die Ruhe passen nicht so recht zum Aufruhr, in den Ulrich Voß, Schatzmeister der bayerischen Linken, seine Partei bundesweit gestürzt hat. Mit Frau und acht Kindern lebt der 56-Jährige am Rande eines kleinen Dorfes in einem abgelegenen Tal in der Oberpfalz. In einem Dossier erhebt er schwere Vorwürfe gegen den Vorsitzenden Klaus Ernst. Uwe Ritzer sprach mit Voß über Phantommitglieder und Machtkämpfe bei den Linken.

SZ: Herr Voß, sind Sie so etwas wie die Gabriele Pauli der Linken?

Ulrich Voß: Mich kann man nicht mit Frau Pauli vergleichen.

SZ: Pauli kam aus dem Nichts und stürzte CSU-Chef Edmund Stoiber, Sie kommen aus dem Nichts und sägen am Stuhl von Linken-Chef Klaus Ernst.

Voß: Darum geht es mir nicht. Ich will, dass die bayerische Linke überhaupt politikfähig wird. Bei der CSU stand das damals nicht in Frage.

SZ: Man kannte Sie in der Partei kaum, und Sie lebten erst wenige Monate in Bayern. Warum ließen Sie sich im April überhaupt zum Schatzmeister wählen?

Voß: Die Linken in Bayern haben einen riesigen Nachholbedarf an Organisation und Struktur, gerade in finanziellen Belangen. Ich bin beruflich seit mehr als 20 Jahren als Unternehmer und in der Wirtschaftsprüfung aktiv, unter anderem bei sehr risikoreichen Mandaten wie dem des Deutschen Ordens. Ich wollte meine Erfahrungen einbringen. Es müssen die Grundlagen für den Landtagswahlkampf 2013 geschaffen werden. Politische Arbeit findet bislang nur in Kreisverbänden statt, aber überhaupt nicht im Landesvorstand. So wird das nichts.

SZ: Sie setzten sich bei der Schatzmeister-Wahl in einer Kampfabstimmung gegen den Ernst-Vertrauten und Gesundheitsexperten Harald Weinberg durch.

Voß: Landesschatzmeisterei ist sehr zeitaufwendig. Mein Vorteil war sicher auch, dass ich nicht, wie Harald Weinberg, durch ein zeitaufreibendes Bundestagsmandat eingeschränkt bin und keiner Strömung in der Partei angehöre. Ich war früher Juso, dann in der Hamburger GAL (Grün-Alternative Liste) aktiv und bin ein undogmatischer Linker.

SZ: Nun will man Sie aus der Partei werfen, weil Sie in einem Dossier mit Ernst, Weinberg und anderen aus dem Gewerkschaftsflügel scharf abrechnen. Wie kam es zu diesem Dossier?

Voß: Ich stand vor der Wahl, als Schatzmeister zurückzutreten, weil die Mehrheit des Landesvorstandes mir alle notwendigen Kompetenzen entzogen hatte. Oder aber die wesentlichen Missstände offensiv anzugreifen. Das Dossier ist mein Beitrag zur innerparteilichen Demokratie. Vom ersten Tag nach meiner Wahl an wurde ich ausgebremst, wo es nur ging.

SZ: Wie sah das aus?

Voß: Ich habe bis heute keine Kontovollmacht erhalten, sodass es mir nicht möglich ist, Zahlungen anzuweisen. Eine wesentliche Behinderung war auch der Entzug der Weisungsbefugnis für das in Mitglieder- und Finanzfragen zuständige Personal. Der zeitweilige bayerische Linken-Chef Michael Wendl sagte mir auf einer Sitzung des geschäftsführenden Landesvorstands ganz offen, man halte mich aus sämtlichen Informationen heraus, weil ich zu viele kritische Fragen stelle. Wenn so viel an einem Schatzmeister vorbeiläuft, kann er am Ende nicht den Rechenschaftsbericht unterschreiben.

SZ: Führende Genossen sagen, Sie hätten sich nie richtig um Ihre Arbeit gekümmert und laufend Sitzungen geschwänzt.

Voß: Ich habe hart gearbeitet. Ein großer Teil meiner Zeit ging leider für die Abwehr der Behinderungen durch die zentralistische Landesvorstandsmehrheit drauf. Beispielsweise gab es gleich zu Beginn meiner Amtszeit noch aus der Zeit meiner Vorgängerin viel Murks in der Mitgliederverwaltung, der bereinigt werden musste. Etwa weil das EDV-System Mitte 2009 dreimal abgestürzt war, angeblich wegen Eingabefehlern. Sicherungskopien wurden nie gezogen. Ich kann nicht beweisen, aber auch nicht mit Sicherheit ausschließen, dass da manipuliert wurde. Es gab ja schon 2007 und 2008 Fehlbestände. Vielleicht sollte da etwas kaschiert werden.

SZ: Stimmt es, dass Sie auch mit dem Personal nicht zurechtkamen?

Voß: Vor allem der Landesgeschäftsführer, der seinen Posten dem Ernst-Lager verdankt, hat vom ersten Tag an jede Kooperation verweigert und sogar falsche Sitzungsprotokolle geschrieben. Der Gipfel war ein Ultimatum des Personals, ich solle binnen 24 Stunden 5000 Euro für ein Büro in Nürnberg freigeben, für das noch nicht einmal ein Mietvertrag vorlag.

SZ: Ihr zentraler Vorwurf ist, dass Mitgliederzahlen nach oben getrieben wurden, wodurch die betreffenden Kreisverbände mehr Delegierte auf Parteitagen stellen und so Abstimmungen manipulieren konnten. Seit wann geschah das?

Voß: Es geht hier um Hunderte nichtzahlende Mitglieder seit der Parteigründung 2007. Man hat sie mitgeschleppt, obwohl man sie nach einem halben Jahr aus der Partei hätte ausschließen müssen. In manchen Fällen wurden Leute, die etwa bei Infoständen ihre Namen angaben, einfach als Mitglieder eingetragen. Die wissen möglicherweise bis heute nichts davon. Die Linken in Bayern sind so zerstritten, dass Personalentscheidungen auf Parteitagen immer sehr knapp ausfielen. Durch die Mitgliederpraxis sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet.

SZ: Sie behaupten das, aber können Sie es auch beweisen?

Voß: Im Einzelfall ist das schwierig, weil man ja auch bei geheimen Abstimmungen nicht weiß, wer für wen gestimmt hat. Aber nehmen Sie den Kreisverband Nürnberg/Fürth, der klar zum Ernst-Lager gehört und von Weinberg geführt wird. Von gut 370 Mitgliedern sind mehr als 100 Nichtbeitragszahler. Etwa 25 Mitglieder ergeben einen Parteitagsdelegierten. Das könnte bedeuten, dass Nürnberg möglicherweise mit vier Delegierten zu viel auf Parteitagen vertreten gewesen wäre. Bei unseren knappen Mehrheiten können vier Stimmen entscheiden, wer in den Landesvorstand kommt.

SZ: Warum wurde das nicht geändert?

Voß: Manche Genossen monieren das seit Jahren, ich wollte es seit meiner Wahl ändern. Solche Versuche wurden konsequent abgeblockt.

SZ: Von Klaus Ernst?

Voß: Er hat kein Parteiamt, aber er nimmt wesentlich Einfluss über Dritte. Zum Beispiel über die Landessprecherin Eva Mendl, die bei ihm angestellt ist. Es gibt eine Fraktion zentralistischer Blockdenker, die kein Miteinander mit anderen kennt. Im Landesvorstand wird nicht kooperiert, sondern bekämpft. Bei Abstimmungen gewinnt der Zentralistenflügel meistens mit 13:7.

SZ: Welche Rolle spielt Ernst bei alledem?

Voß: Er war vor seiner Wahl zum Parteichef stellvertretender Bundesvorsitzender. Ernst wusste um die Ungereimtheiten bei den Mitgliederdaten und hat nichts unternommen. Der Parteivize hat also unkorrekte Mehrheiten auf Parteitagen wissentlich in Kauf genommen und möglicherweise davon profitiert.

SZ: In Ihrem Dossier werfen Sie ihm vor, er sei abgehoben, politisch naiv und dumm. Pflegen Sie hier ein Feindbild?

Voß: Nein, Klaus Ernst hat für mich keine Bedeutung. Ich habe ihn vielleicht fünfmal gesehen. Ich kam übrigens auch über seine WASG zu den Linken. Jetzt wäre es für ihn aber an der Zeit zurückzutreten. Als Parteichef ist er völlig untragbar geworden.

SZ: Gregor Gysi und Gesine Lötzsch forderten bereits Ihren Kopf.

Voß: Die beschimpfen mich, ohne meine Feststellungen vorher überprüft zu haben. Keiner von denen hat bislang mit mir geredet oder nachgefragt. Das spricht für sich.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.990794
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.08.2010/tob
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.