Die CSU und der Rausch:Bier macht Politik

Alfons Goppel und Franz Josef Strauß, 1969

Franz Josef Strauß und Alfons Goppel 1969 auf dem Nockherberg in München

(Foto: SZ Photo/dpa)

Wer den Bayern Wasser in den Maßkrug kippen will, macht sich unbeliebt. Die CSU hat das verstanden - doch die Rausch-Redner werden knapper.

Von Sebastian Beck

Mal angenommen, Bayern wäre keine Bier- sondern eine Marihuana-Republik: Über dem Land hingen Rauchschwaden, so dicht wie über Singapur, beim Politischen Aschermittwoch der CSU könnte man den Redner im Dunst nur noch erahnen.

Der Rausch ist eine der Säulen, auf denen im Freistaat Gesellschaft und Politik ruhen. Er genießt bloß deshalb keinen Verfassungsrang, weil er über der Verfassung steht: Oder hätte man Artikel 2 noch kleinlich ergänzen sollen: Bayern ist Volks- und Bierstaat? Das weiß eh jeder. Beim Gras aber versteht die CSU keinen Spaß. Innenminister Joachim Herrmann sagt deshalb: "Wir bleiben bei unserer bewährten Linie: Null Toleranz gegen Drogen."

Bier ist ganz was anderes. Mit zwei Maß, da kann zumindest ein Bayer noch Auto fahren. Das jedenfalls verkündete bereits Herrmanns Vorgänger Günther Beckstein. Der frühere Innenminister und Ministerpräsident hätte es auch so formulieren können: "Ein gstandener Politiker muss doch saufen können!" Solche Sprüche muss sich auch der CSU-Landtagsabgeordnete Bernd Seidenath von seinen Wählern im Landkreis Fürstenfeldbruck anhören, wenn er sich auf einem Termin wieder mal ein zünftiges Mineralwasser einschenkt.

Tote und Verletzte beim Biersturm

Seidenath ist eben mehr der asketische Typ und obendrein stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Landtag. Der diskutierte vor einiger Zeit die Anti-Alkohol-Strategie des Freistaats: Eine Million Euro gibt der Staat im Jahr aus, um die Trunksucht seiner Bürger zu bremsen. Das ist gerade mal so viel, dass es nicht stört und nicht weiter auffällt. Denn wer den Bayern Wasser in den Maßkrug kippen will, der macht sich unbeliebt. Dann herrscht Aufruhr.

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Im Revolutionsjahr 1848 zogen auch die Bayern durch die Straßen - aber weil der Bierpreis erhöht wurde: Nur noch vier statt fünf Kreuzer für die Maß, lautete die Forderung der Demonstranten am 17. Oktober 1848 in München. Die Unruhen gingen als Biersturm in die Geschichte ein, es gab Tote und Verletzte. Die Besitzer des Löwenbräus mussten sich aus dem ersten Stock in den Hinterhof abseilen, um dem Mob zu entkommen.

52 Jahre später, am 5. Juni 1910, musste sich die Dorfener Brauerfamilie Bachmayer in ihrer Wohnung verbarrikadieren, weil das Volk unten die Gaststube gestürmt hatte. Das Königreich Bayern hatte zuvor die Abgaben um zwei Pfennig pro Maß Bier erhöht, was die Untertanen als Kriegserklärung auffassten. Allein im sogenannten Dorfener Bierkrieg brannte das durstige Volk sieben Häuser nieder. Wirt Bachmayer rettete sich und das Königreich, indem er sich unten in der Stube den Menschen entgegenstellte: Er verkündete die Rücknahme der Preiserhöhung, und augenblicklich schlug Hass in Begeisterung um.

Gesamtkunstwerk aus Politik und Droge

Am 12. Mai 1995 löste Bier den vorerst letzten Volksaufstand aus: An diesem Tag marschierten 25 000 Biergarten-Revolutionäre durch die Landeshauptstadt. Das Bayerische Verwaltungsgericht hatte zuvor angeordnet, dass der Großhesseloher Biergarten schon um 21.30 Uhr schließen muss. Ein Angriff auf Bayern, den die CSU-Staatsregierung unter Ministerpräsident Edmund Stoiber abwehrte. Er erließ die Biergartenverordnung: Seitdem darf draußen bis 23 Uhr oder sogar noch länger gefeiert werden.

Bierkonsum, zumal öffentlicher, ist Teil der Staatsräson. Aschermittwoch, Maibockanstich, Nockherberg, Oktoberfest, Gillamoos - Bayern braucht keinen Nationalfeiertag, es hat gleich mehrere. Und wehe, einer macht da nicht mit. Selbst Edmund Stoiber - wie sein Parteifreund Bernd Seidenath mehr der Typ Asket - musste deshalb beim Politischen Aschermittwoch sein Mineralwasser stets im Krug verstecken. Unten im Saal ergab sich das Parteivolk wie immer dem Vormittagsrausch, der nach trügerischer Euphorie in der Wurstigkeit endet.

So ist das auf allen politischen Frühschoppen: Der vorne kann schreien so laut er will, das Bier verwandelt die Worte in eine Art Summen, bis man nur noch zum Applaus aus dem Halbschlaf aufschreckt. Draußen auf dem Herrenklo ziehen die Männer dann Bilanz: "Des is doch nix mehr! Früher wars scheena!" Im Gedächtnis bleibt zum Glück seit jeher nur wenig hängen, aber Bildung ist ja auch nicht der Sinn von Bierreden, egal ob sie nun in Passau oder Abensberg gehalten werden. Es geht um ein Gesamtkunstwerk aus Politik und Droge. Die CSU hat das verstanden. Deshalb regiert sie schon seit Anbeginn der Zeit.

Bier ist eben was anderes

Doch die Rausch-Redner werden knapp. Parteichef Franz Josef Strauß hatte nicht nur die perfekte Bierstatur, er lallte auch selbst nach der Wahl in die Fernsehkameras. Danach kam lange nichts nach. Finanzminister Markus Söder arbeitet derzeit schwer an seiner Karriere als Rausch-Redner, denn er weiß: "Wer Bierzelt kann, der kann auch Bayern." Trotzdem wirkt er so, als ob er im Auto heimlich Mineralwasser konsumiert, da kann er auf Griechen und Linke einschlagen so viel er will. Für die ganz große Rausch-Rede ist er einfach noch nicht reif genug. Und ja, Rausch-Reden braucht es auch im Twitterzeitalter, in dem Politiker ihre Botschaften tröpfchenweise übers Internet verschicken.

Nun könnte man am Ende humorlos sein und darauf hinweisen, dass allein in Bayern 270 000 Menschen alkoholabhängig sind, dass Gewalttaten häufig unter Alkoholeinfluss begangen werden. Man könnte auch noch auflisten, dass in Deutschland jedes Jahr 74 000 Menschen an den Folgen von Alkohol sterben. Solche Zahlen mussten sich die Mitglieder des Gesundheitsausschusses im Landtag anhören. Wenn sich jemand politisch umbringen möchte, könnte er in Bayern damit eine Festzeltrede eröffnen.

Was hat Innenminister Herrmann doch gleich gesagt? "Wir bleiben bei unserer bewährten Linie: Null Toleranz gegen Drogen." Bier ist da eben was anderes. Selbst Wassertrinker Seidenath findet, dass Bier - und bei den Franken der Wein - einfach zum Freistaat dazugehören. Ja, Saufen ist ein Kulturgut. Und Bayern ein großer Sudkessel.

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