Die Angst vor Isar 1:Risse, die immer tiefer werden

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Wegen seiner veralteten Technik hatte das Atomkraftwerk Isar 1 in Ohu schon immer einen schlechten Ruf. Nun will die Bundesregierung den Meiler acht Jahre länger am Netz lassen - und die Gegner machen mobil.

Christian Sebald

Steil ragt die gigantische Dampfsäule über dem Kühlturm in den Abendhimmel von Ohu. Hinten geht die Sonne unter, sie taucht das Kraftwerk in kitschiges Goldgelb. Am Werkstor skandieren die Demonstranten: "Abschalten! Abschalten!" Schüler, junge Eltern mit Kindern, Feierabendsportler, Bauersfrauen und natürlich die Grünen und ein paar SPDler - es ist eine bunt gewürfelte Schar, die zur "Mahnwache" vor das Kernkraftwerk Isar gezogen ist. In der Menge steht Mira Neumeier. Sie hat die Kundgebung organisiert. "Es reicht", sagt sie. "Ich hätte nie gedacht, dass die in Berlin sogar die Laufzeit für den Uraltreaktor Isar 1 verlängern. Das ist kriminell, richtig kriminell!"

Abendstimmung in Essenbach-Ohu bei Landshut: Der Kühlturm gehört zum Atomkraftwerk Isar 2. (Foto: ddp)

So wie die Künstlerin denken viele hier in der Region Landshut. Zwar haben sie sich an das Atomkraftwerk mit seinen beiden Reaktoren Isar1 und Isar2 gewöhnt. Zumal Isar2, der neun Jahre nach Isar 1 ans Netz gegangen ist, als moderner und vergleichsweise sicherer Reaktor gilt. Selbst Mira Neumeier sagt: "Man kann ja durchaus der Überzeugung sein, dass Isar 2 länger laufen soll." Isar 1 indes war den meisten hier nie geheuer. Und wird ihnen nie geheuer sein. Ginge es nach ihnen, würde der Reaktor lieber heute als morgen stillgelegt.

Keinesfalls, so ihre Überzeugung, dürfe man die Laufzeit um acht Jahre verlängern. Isar 1, das seit 1979 am Netz ist und so viel Strom erzeugt, wie München verbraucht, ist einer der ältesten Meiler der Republik. Der Siedewasserreaktor der Baulinie 69 erfüllt längst nicht alle Sicherheitsstandards, die nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik an Atomanlagen gestellt werden. Das sagen nicht nur Atomgegner. Das sagen Experten wie Wolfgang Renneberg, Ex-Chef der Abteilung Reaktorsicherheit, Strahlenschutz und Entsorgung am Bundesumweltministerium (BMU), und der Physiker Wolfgang Neumann, der etlichen Atom-Gremien des BMU angehört hat. Das Bundesamt für Strahlenschutz urteilte 2007: "In der Fachwelt besteht allgemein Einverständnis, dass diese älteren Anlagen teilweise über geringere Sicherheitsreserven verfügen als jüngere."

Die Mängel fangen beim Reaktorgebäude an. Die Wände von Isar1 sind zwischen 35 Zentimeter und 1,20 Meter stark. Damit sind sie nicht gegen den Absturz eines größeren Kampfjets oder gar Verkehrsflugzeugs ausgelegt. Und das obwohl der Flughafen München keine 50 Kilometer entfernt liegt und jeden Tag etwa 120 Flugzeuge den Reaktor im Abstand von weniger als einem Kilometer passieren. 1988 stürzte eine französische Mirage nur zwei Kilometer vom Reaktor entfernt in einen Wald.

Doch auch die Atomanlage selbst weist Schwächen auf. Im Vergleich zu modernen Reaktoren ist der Sicherheitsbehälter sehr dünnwandig und hat ein geringes Volumen. Bei einem Störfall könnte sich - so Neumann - rasch ein so hoher Druck aufbauen, dass es den Behälter zerreißt. Bei einer Kernschmelze versage er womöglich binnen Minuten - in der Folge würden riesige Mengen Radioaktivität freigesetzt. Eine andere Schwäche ist das Brennelemente-Lagerbecken. Es liegt außerhalb des Sicherheitsbehälters im oberen Teil des Reaktorgebäudes und ist wegen dessen dünner Wände nur schlecht geschützt.

Außerdem besitzt Isar1 nur einen Kühlkreislauf, die Rohrleitungen liegen so dicht beieinander, dass man nur schwer an jede einzelne herankommt. Auch das Notstromsystem entspricht nicht modernen Standards. Nachrüstungen machen laut Fachleuten nur sehr begrenzt Sinn - bei alten Reaktoren wie Isar 1 käme das einem Neubau gleich.

Sinnbild der Mängel von Isar1 sind für Atomgegner wie für kritische Experten die vielen, zumeist feinen Risse, die an den Rohrleitungen von Beginn an auftraten. Obwohl die Techniker die Leitungen immer wieder erneuerten, konnten sie die Rissbildung nicht abstellen. Die Risse machen auch besonders viele sogenannte meldepflichtige Ereignisse aus. Damit sind alle Arten von Vorfällen in einem Reaktor gemeint, die eigentlich nicht passieren dürfen. Bis Ende 2008 wurden in Isar1 insgesamt 267 meldepflichtige Ereignisse gezählt.

Zwar sind alle glimpflich abgegangen, aber manche waren aus Sicht von Atomkritikern nicht ohne Risiko. Die Knallgas-Explosion 1988 etwa, die vier Ventile beschädigte. Oder der sogenannte Kugellager-Vorfall ein Jahr später. Infolge eines Defekts an einem Kran über dem Reaktor wurde ein Kugellager demoliert. Bis zu 69 Kugeln fielen in den Reaktor, eine jede zwei Gramm leicht und mit einem Durchmesser von nur acht Millimetern. Offenbar konnten bis heute nicht alle geborgen werden. 1991 fielen vier von acht Umwälzpumpen aus, die den Kühlkreislauf aufrechterhalten, 2006 versagte nach einer ungeplanten Schnellabschaltung das Kühlsystem. Und 2009 fiel ein Elektro-Bauteil aus, unversehens öffnete sich eines der acht Sicherheitsventile. Eine Schnellabschaltung war die Folge.

All das kann den Energiekonzern Eon, der Isar 1 betreibt, und den zuständigen Umweltminister Markus Söder (CSU) nicht irritieren. Sie betonen, dass Bayerns ältester Reaktor sicher sei. Söders Credo lautet gar, wer die Abschaltung deutscher Kernkraftwerke fordere, riskiere, dass man Strom aus sehr viel unsichereren tschechischen Reaktoren importieren müsse. Mira Neumeier will das nicht länger hören. "Die Abschaltung von Isar1 ist überfällig", sagt sie. "Wir setzen die Mahnwachen fort." Die Resonanz beflügelt sie. Zur ersten Kundgebung kamen nur 19 Atomgegner. Bei der zweiten waren es 50. Und vergangene Woche - zur fünften Mahnwache - zogen 400 Demonstranten vor das Kernkraftwerk. Am heutigen Montag, da ist sich Mira Neumeier sicher, werden es mindestens genauso viele sein.

© SZ vom 04.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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