In Passau ist gerade die 11. Bayerisch-Österreichische Dialektologentagung zu Ende gegangen. Lästermäuler stellten diese Veranstaltung zwar vorab auf eine Stufe mit dem Jahreskränzchen der Lebertranforschungsstelle auf der Halbinsel Kamtschatka, aber die Sprachwissenschaftler bewiesen auf dem Symposium recht eindrucksvoll, dass die Dialektologie ein ernst zu nehmendes und mit Überraschungen reich gesegnetes Fach ist.
Leider scheinen die Wissenschaftler der Ernsthaftigkeit ihres altehrwürdigen Fachgebiets selber nicht zu trauen, denn auf der Tagung wurde kolportiert, dass das germanistische Spezialgebiet umbenannt wird: Künftig soll das Fach nicht mehr Dialektologie heißen, sondern "Varietätenlinguistik des Deutschen", was den wissenschaftlichen Anspruch fast schon wieder konterkariert.
Dabei wäre dieses verbale Auftrumpfen gar nicht nötig. Die Dialektologie ruht gerade in den Alpenländern auf einer beeindruckenden Tradition, nicht zuletzt haben sich geniale Sprachforscher wie Johann Andreas Schmeller schon im 19.Jahrhundert ewigen Ruhm erworben. Zum anderen muss man wissen, dass Bayern und Österreich sprachlich betrachtet aus einem Ei stammen. In beiden Ländern werden überwiegend mittelbairische und südbairische Dialekte gesprochen - sehr alte Sprachen, die noch genährt sind vom Lateinischen und vom Gotischen. In Umfragen gilt das Bairische durchaus als beliebt, aber dennoch ist es immer noch mit dem Makel des Lächerlichen und des Minderwertigen behaftet.
20.000 bayerische Tschechen
Gleichwohl zeigte die Passauer Tagung, dass sich um die in Bayern und Österreich gebräuchlichen Mundarten fast unglaubliche Geschichten ranken. Allein das mit einem sogenannten Sekundärumlaut gesegnete Wort Gemse (bairisch: "Gams") wirft etymologische Fragen auf, deren Beantwortung ganze Bücher füllt. Noch mehr staunen ließen aber Forschungsberichte wie jener von Armin Bachmann (Uni Regensburg), der herausfand, dass in Tschechien 20.000 Menschen einen bairischen Dialekt sprechen.
Sie leben oft auf alten Sprachinseln, auf denen sich die Sprache der vor Jahrhunderten ausgewanderten Bayern erhalten hat. Allein die Kuh, so sagte Bachmann, werde im tschechischen Bairisch in 13 verschiedenen Lautungen benannt. Selbst uralte Kennwörter wie das gotische "enk", das in Bayern vom standardnahen "eich" (euch) verdrängt wurde, seien in Tschechien noch lebendig.
Überhaupt sind Sprachinseln ein weltweites Phänomen. Nicole Eller (Uni Passau) berichtete von einem Dorf aus Neuseeland, in dem immer noch der Bayerwald-Dialekt der Vorfahren gesprochen wird. Wenn die Begriffe fehlen, weil es sie im 19. Jahrhundert noch nicht gegeben hat, dann wechselt einer wie der 97-jährige Tony Bayer einfach ins Englische hinüber. Der Pfirsichbaum wird so zum "Pietschnbaam", zum Duschen sagt er: "I dou mi showern".
Der Passauer Horst Simon erforscht am King's College in London die Internetsprache junger Menschen. Simon untersuchte bayerisch indizierte Youtube-Videos, auf denen Ausschnitte aus Hollywood-Filmen, Popsongs und Werbeclips zu sehen sind. Sie wurden entweder im Dialekt pseudo-synchronisiert oder ironisch-spielerisch bearbeitet, woraus wiederum die sprachliche und kulturelle Identität junger Menschen abgeleitet werden kann. Unter anderem stellte sich heraus, dass sich Videos aus Altbayern überwiegend mit Inhalten sexueller Art, jene aus Schwaben aber eher mit finanziellen Dingen beschäftigen. Unter dem Pseudonym "Gnedlschorsch" brachte es auf Youtube eine Persiflage auf den Song "Umbrella" des Pop-Sternchens Rihanna auf eineinhalb Millionen Zugriffe.
Stefan Kleiner vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim überraschte mit einer mathematischen Herangehensweise an die Dialekte. Er untersuchte 21bayerische Spielfilme und Fernsehserien auf ihre Dialektmerkmale. Dabei erwies sich, dass der Dialektgehalt der Brandner-Kaspar-Verfilmung aus dem Jahr 1975 mit Fritz Strassner noch doppelt so hoch war wie in der Vilsmaier-Version aus dem Jahre 2008 mit Franz-Xaver Kroetz.
Der dialektfreie Monaco-Franze
Den Protagonisten der Serie "Rosenheim-Cops" bescheinigt die Studie lediglich ein "Schrotschuss-Bairisch". Das Schlusslicht bildet der "Tatort aus München", obwohl dem "Kommissar" Udo Wachtveitl hohe Dialektkompetenz zugeschrieben wird. Immerhin hat er zwei Asterix-Bände ins Bairische übersetzt, und jetzt tritt er sogar bei einem Audio-Sprachkurs mit Musik als Dialektlehrer auf. Überraschend kommt auch Kleiners Fazit, dass die Münchner Kult-Serie "Monaco Franze" mit Helmut Fischer, die als sehr münchnerisch im Gedächtnis haften geblieben ist, praktisch dialektfrei gedreht wurde.
Zum Leidwesen der Franken und Schwaben stellte sich heraus, dass sich der Mediendialekt im Bayerischen Rundfunk zu 90 Prozent aus dem Mittelbairischen speist. Das Mittelbairische dominiert in dialektaler Sicht selbst das gesamtdeutsche Fernsehprogramm. Er ist laut Kleiner in 60 Prozent der einschlägigen Sendungen zu hören, nur 40 Prozent entfallen auf andere deutsche Dialekte.
Der Sprachschützer Sepp Obermeier glaubt dennoch nicht, dass der Dialekt den Erfolg von Filmen wie "Wer früher stirbt, ist länger tot" bewerkstelligt hat. "Der Zuspruch beruhte auf dem Drehbuch", sagt Obermeier. Dialektsprechen werde per se immer als lustig empfunden. "Ein Kabarettist muss sich auf der Bühne weniger anstrengen, wenn er Dialekt spricht", stellte Obermeier fest, "die Leute lachen dann viel schneller."
Für die Experten der Varietätenlinguistik des Deutschen ist diese Reduzierung des Dialekts auf das Kracherte und Gscherte freilich eher ein Grund zum Weinen.