Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Ilse Aigners Lieblingswort schmilzt dahin

Die Landtagspräsidentin schwärmt als begeisterte Skifahrerin vom gführigen Schnee. Bei der Vergabe der Bairischen Sprachwurzel in Straubing erweist sich aber, dass sogar für Heimatzeitungen schreibende Journalistinnen dieses Wort nicht mehr kennen.

Von Hans Kratzer

gführiger Schnee

Nachdem Landtagspräsidentin Ilse Aigner vor Kurzem auf dem Gäubodenvolksfest in Straubing den Dialektpreis "Bairische Sprachwurzel" erhalten hatte, wurde sie von den Journalisten gefragt, welche Wörter ihr denn besonders gut gefielen. Sie hatte eine überraschende Antwort parat, und die hieß: "a gführiger Schnee!" Wie könnte es anders sein bei einer Frau, die am Fuße der Alpen daheim ist. A gführiger Schnee, das ist der Traum eines jeden Skifahrers, ein Schnee, auf dem die Brettl butterweich ins Tal gleiten. Schon in einem Pfrontener Volkslied von 1921 wird dieser Traum von Herzen besungen: "Zwoa Brettl, a gführiger Schnee, juchhe, des is halt mei höchste Idee!" Und doch haben sprachliche Perlen wie der gführige Schnee wohl keine große Zukunft mehr. Das belegte in Straubing eine junge fleißige Journalistin, die den Begriff wohl nicht kannte und ihn leicht umdeutete: "a gfriariger Schnä." Der Schnee ist gefroren, das ist schon wahr, aber diese Version war sprachlich leider nicht sehr gführig. Im modernen Journalismus hat der gführige Schnee also schon jetzt einen schweren Stand. Skeptiker sehen darüber hinaus ein noch größeres Problem. Der Klimawandel, unken sie, sorge längst dafür, dass der Schnee und damit auch Ilse Aigners Lieblingswort verschwinden werden.

Ratz

"Du Ratte", dieses grobe Schimpfwort ist in den Krimis, die im Fernsehen gezeigt werden, ziemlich oft zu hören. Schön klingt es wahrlich nicht, kein Wunder, dass dieses Wort nie Eingang in die bayerischen Sprachvarietäten gefunden hat. Schon deshalb, weil das doppelte "t" in diesem Fall für dialektal geprägte bayerische Menschen fast unaussprechbar ist. Deshalb wurde aus der Ratte der Ratz (Mehrzahl: Ratzen), der unter anderem im Kabarett als kraftvolle Metapher gerne verwendet wird. Monika Gruber merkte vor Jahren einmal an, der Fußballer Philipp Lahm sei bei einer Veranstaltung "an seiner Frau droghängt wia da Ratz am Pressack". In Regensburg waren einst die Klingelratzen recht berüchtigt. Anarchisch veranlagte Burschen fingen bei aufkommender Langeweile gerne einen Ratz, steckten diesen in ein Netz und hängten ihn dann an den Glockenzug eines Wohnhauses. Sie betrachteten das als eine zünftige Gaudi. Die Gebrüder Ratzinger waren zwar keine Gaudiburschen, aber im Traunsteiner Knabenseminar trugen sie immerhin Spitznamen. Joseph war der Bücherratz, sein Bruder Georg hieß Orgelratz, weil er quasi auf der Orgelbank festgepappt war.

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