Gesundheit:Ein Tattoo als Lebensretter

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Diabetes-Patienten bekommen kostenlos den Kreis mit der Typ-Bezeichnung ihrer Krankheit auf den Unterarm. (Foto: Robert Haas)

Mit einem Symbol auf dem Handgelenk können Diabetiker Rettungskräfte auf die Krankheit hinweisen. Tätowierer Balu Rock sticht das Zeichen kostenlos. Ärzte zweifeln an der Sinnhaftigkeit.

Von Alena Specht, Landshut

Ein blauer Kreis auf der Innenseite des Handgelenks, etwa fünf Zentimeter Durchmesser. Eine Tätowierung, nicht als Körperschmuck, wenngleich der immer beliebter wird. Dieses Symbol soll Leben retten.

Es ist ein Kreis mit der Inschrift "Typ I", "Typ II" oder "IR", dazu der Schriftzug "Diabetics". Diabetiker können sich das Zeichen auf den Unterarm tätowieren lassen, es soll Rettungskräfte im Notfall auf die Krankheit des Betroffenen hinweisen. Das Tattoostudio "Rock Tattoo" in Landshut bietet die Tätowierung an. Kostenlos. Das "Lebensretter-Tattoo" sei in Zusammenarbeit mit Ärzten in Ungarn entwickelt worden und gelte als internationales Zeichen für Diabetes, sagt Veronika Maturicz von "Rock Tattoo". Es werde gut sichtbar meist auf den linken Unterarm tätowiert. Nur wenn dort kein Platz mehr sei, weil schon andere Tattoos den Arm zieren, werde rechts gestochen. "So können Rettungskräfte das sofort sehen, wenn sie den Puls messen", sagt Studiochef Balu Rock auf Ungarisch, Maturicz übersetzt.

Bekommt ein Diabetiker eine Attacke, weil der Blutzucker zu hoch oder zu niedrig wird, ist schnelle Hilfe wichtig. Im schlimmsten Fall könne der Betroffene sogar ins Koma fallen, sagt Rock. Bei zu hohem Blutzucker könnten Diabetiker zu torkeln beginnen und erinnerten dann an Betrunkene. "Sie bekommen dann meistens keine Hilfe oder erst zu spät."

Viele, die sich so ein Tattoo bei "Rock Tattoo" stechen lassen, hatten schon eine Attacke oder befürchten, in eine ähnliche Situation zu kommen. "Wenn was sein sollte und ich auf der Straße liege, weiß kein Mensch, was mit mir los ist. Es ist gut, wenn der Arzt dann über meine Krankheit Bescheid weiß", sagt Paul Aigner. Der 62-Jährige leidet seit knapp zwölf Jahren an Diabetes Typ II und hat sich nach einem Bericht im Radio für ein "Lebensretter-Tattoo" entschieden. "Ich finde es eine gute Idee, wenn Diabetiker so was tragen."

Ein Mitarbeiter von "Rock-Tattoo" in Landshut. (Foto: Robert Haas)

Balu Rock ist seit 25 Jahren Tätowierer und stammt wie sein gesamtes Team aus Ungarn. Ein ehemaliger Mitarbeiter, der an Diabetes litt und das "Lebensretter-Tattoo" am Handgelenk trug, etablierte die Aktion im Tattoostudio von Rock. Insgesamt beteiligen sich in Deutschland 27 Tattoostudios an der Initiative, elf davon in Bayern. Für Diabetiker ist das Tattoo kostenlos, eine "Ehrensache" für Rock. Er sieht das als Unterstützung für Menschen mit Diabetes. "Wir wollen helfen", sagt er. "Tätowierer sind auch Menschen mit Herz und Gefühl." Etwa fünf Diabetes-Tattoos stechen die Mitarbeiter von "Rock Tattoo" jede Woche, die Sitzung dauert nur knapp 20 Minuten. Mit einer Schablone zeichnet der Tätowierer das Symbol auf dem Unterarm vor, bevor er den Kreis mit blauer und den Schriftzug mit schwarzer Farbe sticht. "Viele Leuten kennen inzwischen dieses Zeichen", sagt Rock. "Es ist gut, wenn Rettungskräfte wissen, es könnte an Diabetes liegen", findet er. "Und es gibt den Betroffenen ein Sicherheitsgefühl."

"Wenn sich der Patient damit besser fühlt, kann das für ihn persönlich gut sein", sagt Thomas Jarausch, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte. Ansonsten hält er die Tattoos für "wenig sinnvoll". Wie Puls und Blutdruck gehöre Blutzucker zu den Vitalparametern. Bei der professionellen Rettung werde immer erst der Blutzucker gecheckt, bevor Maßnahmen ergriffen werden. Das Messen gehöre zur "ärztlichen Pflicht". Der behandelnde Notarzt wisse ja nicht, ob der Blutzucker zu hoch oder zu niedrig sei. "Man muss das immer erst kontrollieren um richtig zu behandeln." Dazu brauche man nur einen Blutstropfen und fünf Sekunden Zeit. "Ein Tattoo wird die Therapiemaßnahmen des Rettungsdienstes nicht beschleunigen", sagt Jarausch. Er fürchtet sogar, dass Notärzte durch ein solches Tattoo auf eine falsche Fährte kommen und sich zu sehr auf die Diabeteserkrankung fokussieren könnten. Denn "die Ursache für Bewusstseinsverlust muss auch bei Diabetikern nicht unbedingt Diabetes sein."

Die Zahl der bekannten Diabeteserkrankungen ist Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zufolge deutlich gestiegen. Nach Schätzungen des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit leiden in Bayern etwa 1,28 Millionen Menschen an Diabetes. Dazu kommt eine hohe Anzahl von Menschen, bei denen die Stoffwechselstörung bislang nicht erkannt wurde oder die ein hohes Risiko für die Erkrankung haben. Nicht nur ältere Menschen sind betroffen, "auch jüngere leben mit Diabetes", sagt Tätowierer Rock. Bekommen sie eine Attacke, "denken die Leute nicht an die Krankheit". Er bleibt dabei, dass es eine wichtige Information für die Rettungskräfte sein, dass ein Patient an Diabetes leidet. "Wir wollen, dass sie die richtige Hilfe zur richtigen Zeit bekommen."

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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