Deutsches Spielearchiv:Ein Paradies für Zocker

Nürnberg übernimmt das Deutsche Spielearchiv Marburg

Spieleparadies Nürnberg: Die Schätze der Sammlung reichen bis ins Jahr 1945 zurück.

(Foto: dpa)

Das Nürnberger Pellerhaus wird künftig das Deutsche Spielearchiv beherbergen. Dort findet sich alles, mit dem sich die Menschen seit Kriegsende in ihrer Freizeit beschäftigt haben - und ein paar Kuriositäten dazu.

Von Katja Auer

Rita, die Verlockende, trägt rot, während gelb für Gertrud, die Emanzipierte, steht. Und Gretchen, die Natürliche, ist natürlich grün. Eine der Damen gilt es zu erobern und über allerlei Umwege und mit den unterschiedlichsten Knigge-Tricks nach Hause zu geleiten. Nicht in echt. Auf dem Brett. Ein unbegabter Liebhaber heißt das Spiel aus den 70er Jahren, das Stefanie Kuschill mit all seinen Klischees besonders gut gefällt. Deswegen hebt sie es in ihrem Büro auf. Nur gespielt hat sie es noch nicht. Keine Zeit. Sie muss erst die anderen 30.000 auspacken.

Stefanie Kuschill ist nicht besonders reich beschenkt worden an Weihnachten. Sie arbeitet im Deutschen Spielearchiv und gerade ist sie mit ihrem Kollegen Torsten Lehmann dabei, die ganze Sammlung in die Regale zu ordnen. Die soll nämlich bald wohlsortiert in der ehemaligen Nürnberger Stadtbibliothek am Egidienplatz stehen. Dann hat das Spielearchiv, dessen größter Teil gerade noch in 2500 Umzugskartons verpackt ist, in der Spielzeugstadt Nürnberg endlich eine Bleibe gefunden.

Deutschland ist Weltmeister

"Spielen ist ein Kulturgut", sagt Kuschill. Das ist auch ihre Antwort, wenn mal wieder jemand leicht verständnislos fragt, warum man eigentlich so viele Spiele sammelt. "Deutschland ist Weltmeister im Spielen und Spiele-Erfinden", sagt sie. Deswegen wollen sie im Spielearchiv nicht nur die alten Schachteln aufheben, die von 1945 an in Deutschland auf den Markt gekommen sind ebenso wie die jährlichen Neuerscheinungen, sondern auch die Tradition des Spielens aufrecht erhalten. Von 2014 an wird es alle zwei Wochen Spielenachmittage im Spielesaal des Nürnberger Pellerhauses geben.

Mensch ärgere Dich nicht liegt schon im Regal, natürlich, das Spiel gehört zu den deutschen Klassikern. 70 Millionen Mal wurde es verkauft und wenn die Erfindung von Josef Friedrich Schmidt im nächsten Jahr 100 Jahre alt wird, soll auch das im Spielearchiv gefeiert werden. Mit einer Ausstellung zum Beispiel. In der Sammlung finden sich nicht nur Spieleausgaben aus den verschiedenen Jahrzehnten, sondern auch allerhand Varianten. Wer wird denn weinen steht auf einer Schachtel und Mann muss hinaus auf einer anderen. Drin steckt immer Mensch ärgere Dich nicht, erklärt Stefanie Kuschill. Das Spielprinzip vom Werfen und Schlagen gehe zurück auf das indische Pachisi und sei auf allen Kontinenten verbreitet. "Das lässt sich angeblich bis zu den Azteken zurückverfolgen", sagt sie.

Erst Marburg, jetzt Nürnberg

Ganz so weit reicht die Sammlung im Spielearchiv nicht zurück, aber immerhin bis 1945. Der Spielekritiker Bernward Thole gründete das Archiv 1985 in Marburg. Seine eigenen 5000 Spiele waren die Grundlage. Viele Jahre war das Archiv auch die Geschäftsstelle des Vereins "Spiel des Jahres", doch als diese Zusammenarbeit endete, ließ sich das Spielearchiv als private Sammel- und Forschungsstelle für Thole nicht länger halten.

2009 kauften die Museen der Stadt Nürnberg die Sammlung für 100.000 Euro, ein Jahr später kamen die Umzugskartons nach Franken. Nur ausgepackt wurden sie bisher nie. "Wir haben drei Jahre mit einem imaginären Fundus gearbeitet", sagt Kuschill.

Die Datenbank gibt Auskunft

Der Weg zu Torsten Lehmanns Arbeitsplatz führt an meterhohen Regalen vorbei. Da steht sein Computer, an dem er noch eine ganze Weile damit beschäftigt sein wird, das Archiv zu digitalisieren. "Die Datenbank soll frei zugänglich sein", sagt er. Noch sind längst nicht alle Spiele erfasst. Er macht eine Maske auf. Yakari erscheint, ein Brettspiel, bei dem es darum geht, den kleinen Indianer Yakari und seine Freunde wieder in ihr Dorf zurückzubringen. Lehmann baut das Spiel auf und fotografiert die Spielsituation. Verlag und Erscheinungsjahr sind in der Datenbank vermerkt, Informationen über den Autor und natürlich die Spielanleitung.

Schwarz-Grün

Mensch ärgere Dich nicht gehört noch immer zu den beliebtesten Brettspielen.

(Foto: dpa)

"Spiele sind auch ein Zeitdokument", sagt Stefanie Kuschill. So erschienen in den 50er Jahren, als die Deutschen ihre Liebe zu Italien entdeckten und die VW-Käfer massenhaft über den Brenner rollten, die ersten Reisespiele. In den 60er Jahren, als die ersten Quizsendungen im Fernsehen liefen, gab es die passenden Ratespiele. "Heute sind es vor allem Fantasy- und Strategiespiele", sagt Kuschill.

Ein Spiel, das jeder kennt

Und dann gab es freilich alle paar Jahre ein Spiel, das heute beinahe jeder kennt. Mensch ärgere Dich nicht war so eines und Monopoly, das erfolgreichste Spiel aller Zeiten. Mehr als 100 Millionen Mal wurde das verkauft. Das Ratespiel Trivial Pursuit gehört zu den viel gespielten ebenso wie die Siedler von Catan, auch wenn sich das inzwischen mehr ins Internet verlagert hat.

Die Raritäten verwahren die beiden an ihrer "schönen Wand", wie sie es nennen. "Das ist so ähnlich wie mit den alten Handschriften in Bibliotheken", sagt Lehmann. Da stehen zum Beispiel Buchspiele, also solche, deren Verpackung einer Kassette gleicht, die ins Bücherregal passt. Die Firma Pelikan, die Schulkindern wegen ihrer Füller bekannt sein dürfte, brachte solche Spiele in den 70er Jahren heraus. Es gibt auch sonderbar anmutenden Spiele im Archiv, wie das Asthmanauten-Spiel der Schweizer Vereinigung gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten. Es soll spielerisch den Umgang mit einer solchen Diagnose erleichtern.

Man lernt bei jedem Spiel

Gespielt haben Stefanie Kuschill und Torsten Lehmann längst nicht alles, was in ihren Regalen steht. Geht gar nicht. Dabei spielen sie gerne. Das wurde Kuschill, 35, auch bei ihrem Einstellungsgespräch gefragt, erzählt sie. Ja, sagte sie, sie spiele gerne. Aber sie verliere nicht gerne. "Da hatte ich den Job." Der ist freilich längst mehr als das. So kann sie nicht mehr über einen Flohmarkt laufen, ohne nach alten Spielen zu schauen, die vielleicht noch fehlen könnten in der Sammlung. Privat spielt die Volkskundlerin am liebsten mit Karten. Lehmann, 46, der Historiker, bezeichnet sich selbst eher als "strategisch-nüchternen Typ" und spielt folgerichtig am liebsten Schach.

Mit Empfehlungen halten sich die beiden zurück. Zu viele gute Spiele gibt es. Einen "schrecklichen Trend" allerdings hat Stefanie Kuschill ausgemacht: Mütter wollen nur noch Lernspiele für ihre Kinder. "Man lernt immer was", sagt Stefanie Kuschill - auch wenn ein Spiel nicht als besonders pädagogisch gekennzeichnet ist. Sie empfiehlt also: Einfach spielen.

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