Deutsche Einheitsfeier in München:Ihr Saupreißn

Ob Ludwig II. oder Franz Josef Strauß: Bayerns Regenten beäugten den Norden immer mit Misstrauen. Abspaltungsideen gehören heute jedoch ins Reich der Folklore. Und die Preußen bewundert der Bayer sogar - irgendwie.

Hermann Unterstöger

beilage tag der deutschen einheit

Der leidenschaftliche Pilot und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß war selbstbewusst genug, eine eigene Außenpolitik zu betreiben.

Zur 100-Jahr-Feier des von Napoleon für Bündnistreue gestifteten bayerischen Königtums erschien 1906 ein von Verehrung für das angestammte Herrscherhaus Wittelsbach förmlich durchbebtes Buch mit dem Titel "Unser Bayerland". Es begann mit einem Fest-Poem Gottfried von Böhms und endete mit dem schönen Wort Lorenz von Westenrieders, wonach die Bayern keinen Anlass hätten, ihre deutschen Brudervölker zu beneiden, da sie "mehr als eine Ursache" hätten, "vermög welcher sie sich nicht anders als freuen können, zu sein was sie sind".

Wie vor diesem Goldgrund der Eintritt Bayerns ins Deutsche Reich geschildert wird, kann man sich denken. Den Krieg von 1870/71 finden wir als "blutige Saat, reichlich betaut mit Tränen", und was die Rolle Ludwigs II. bei der Wahl des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser angeht, so heißt es in dem Buch lakonisch, der Bayernkönig habe sich, "als die Garben des Sieges gebunden wurden", an die Spitze der deutschen Fürsten gestellt. Dass Ludwig selbst das ein wenig anders sah, erhellt eine Anekdote, die Hans-Michael Körner in seiner "Geschichte des Königreichs Bayern" überliefert. Als 1876 im Münchner Glaspalast eine Skizze Anton von Werners ausgestellt wurde, die Ludwig als einen von einem Genius geleiteten Herold zeigte, wusste der König es so einzurichten, dass er beim Rundgang damit nicht konfrontiert wurde.

Tatsächlich war die Aufnahme Bayerns ins Reich alles andere als eine festliche Angelegenheit. Patrioten des alten Schlages - mit einiger Schärfe könnte man sie auch Separatisten nennen - halten bis auf den heutigen Tag ein Buch in Ehren, das 1871 in München herauskam und 1977 unter dem Titel "Wider Kaiser und Reich 1871" nachgedruckt wurde. Das Werk enthält die Reden, die im Januar 1871 im bayerischen Landtag zum Versailler Vertrag gehalten wurden, und zwar wohlgemerkt nur jene Reden, die sich gegen diesen Vertrag richteten - vergeblich, wie man weiß, denn am 21. Januar gingen die Patrioten mit 48 gegen 102 Stimmen unter.

Die Schlussrede hielt der Abgeordnete Joseph Edmund Jörg, der noch einmal daran erinnerte, was "Mediatisierung" bedeute, nämlich die Unterordnung eines souveränen Landes unter die erbliche Zentralgewalt "einer fremden oder sage ich lieber anderen Dynastie". Seine Rede mündete in die damals oft gehörte Floskel "Non possumus" (wir können nicht tun, was man von uns erwartet) und in die fast endzeitlich klingende Bitte an das Volk, es möge doch andere, willigere Hände ins Parlament schicken: "Die unsrigen beben zurück, sie werden das Grab nicht graben, wie man es von uns verlangt."

Es kann nicht schaden, sich diese Dokumente des Patriotismus und der schmerzlichsten politischen Vergeblichkeit hin und wieder vor Augen zu führen, und sei es nur, um einen Punkt zu finden, von dem aus die Zünftigkeit beziehungsweise Grüabigkeit der Bayern/Preußen-Folklore schärfer als sonst zu sehen ist. Doch was heißt da grüabig? Eines der zähesten Versatzstücke dieser Folklore bezieht sich auf den Bruderkrieg von 1866, in dem Preußen den Stern seines militärischen Könnens überdeutlich enthüllte, und der zur Auflösung des Deutschen Bundes führte. Bayern gehörte zu den Unterlegenen und musste 30 Millionen Gulden als Kriegsentschädigung aufbringen, eine aberwitzige Summe. Wie um all das zu kompensieren, bezeichnen manche Bayern heute noch das 66-er Jahr als das schönste Datum der bayerischen Geschichte: "Weil da hat ma 's letzte Mal auf d' Preißn schiaßn derfa."

Da lacht der Stammtisch

Da lacht der Stammtisch, und zwar dröhnend. In Wirklichkeit und in der Tiefe seiner Seele hat der Bayer für seine Preußen jedoch mehr übrig, als diese ahnen, wobei es als ein Topos der Volkspsychologie gilt, dass diese Liebe aus den Elementen Anerkennung und Verachtung zusammengesetzt ist. Natürlich ist der Bayer nicht blind für die Tüchtigkeit der "ganz anderen", für ihr fixes Mundwerk und den dahinter vermuteten geschmeidigen Verstand.

Heute noch am Stammtisch: Franz Josef Strauß als Plastikfigur.

Heute noch am Stammtisch: Franz Josef Strauß als Plastikfigur.

(Foto: dapd)

Da er selbst sich hierin weniger üppig ausgestattet fühlt oder zumindest aus Erfahrung weiß, dass er mit seinen Gaben nicht annähernd so gut ankommt wie jene, setzt er deren Talente im Witz herunter und lässt die Preißn mit all ihrer Gescheitheit immer wieder auf die Nase respektive Schnauze fallen. Charakteristisch dafür ist dieser Jokus. Zwei Bayern und ein Preuße sitzen beim Essen. Die Bayern wollen nachwürzen, kriegen aber kein Stäubchen Pfeffer aus der Dose, weil deren Deckel völlig verklebt ist. Da nimmt der Preuße einen Zahnstocher, putzt die Löchlein aus, und was soll man sagen: es geht. Brummelt der eine Bayer dem anderen zu: "Siehgst, und drum mog i s' ned, de Preißn!"

Haben diese Animositäten jenseits des gewissermaßen anthropologischen Hintergrunds noch einen anderen, nämlich einen historischen? Auch das wird an den Stammtischen mit Lust beredet - und mit gewaltigen Unschärfen. Man reduziert das, was sich zwischen den Bayern und den anderen im Lauf der Geschichte begeben hat, gern auf die Paarung "Bayern/Deutsches Reich" und blendet dabei aus, dass das Deutsche Reich von 1871 ff. nur zu einer bestimmten und durchaus limitierten Zeit der ungeliebte, weil dominierende Partner war.

Ersetzt man dieses Reich durch das Fränkische Reich, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das "Tausendjährige Reich" oder die Bundesrepublik, springen die Unterschiede schnell ins Auge. Was gleich bleibt oder mit oft erstaunlich lockerer Hand gleichgemacht wird, ist das fast zur Tatsache geronnene Gefühl, dass Bayern, in welcher Konstellation auch immer, von den Partnern über den Tisch gezogen, ja "bschissn" worden sei.

Um hier stellvertretend für all die echten oder vermeintlichen Zurücksetzungen nur einen Fall zu referieren, so sei kurz auf Herzog Tassilo III. eingegangen. Seiner gedenken die Bayern wie sonst nur der großen Wildschützen und Räuber, und in der Tat hatte sein Leben ja etwas gewaltig Aufrührerisches und ebenso gewaltig Abstürzendes. Er gehörte dem auf Garibald I. zurückgehenden Geschlecht der Agilolfinger an und führte, wiewohl Vasall des Frankenkönigs (und Onkels mütterlicherseits) Pippin, in Bayern ein überaus eigenständiges Regiment. Den Reichsannalen zufolge verweigerte er bei einem Feldzug die Heeresfolge, ein Verbrechen, das man "harisliz" nannte. Damit war sein Schicksal besiegelt, wenn es auch noch geraume Zeit dauerte, bis Karl der Große, Pippins Sohn, die Entmachtung des aufsässigen Vetters zu Ende gebracht hatte.

Massiv gestörtes Verhältnis zur Weimarer Republik

Franz Josef Strauß: Umstrittener bayerischer Ministerpräsident der CSU.

Franz Josef Strauß: Umstrittener bayerischer Ministerpräsident der CSU.

(Foto: AP)

Man liest nicht ohne Rührung, wie unbarmherzig mit Tassilo verfahren wurde, und übersieht dabei, wie rau die Zeit und auch der Bayernherzog selbst waren. Die Legende will wissen, dass Karl sowohl ihn als auch seine Familie auf Lebenszeit in fränkische Klöster verbannte. Tassilos Todesjahr ist unbekannt. Es muss um 796 herum gewesen sein, und man sagt, er sei an einem 11. Dezember gestorben. Kaiser Karl hatte ihn angeblich blenden lassen und soll nicht schlecht gestaunt haben, als ihm hinterbracht wurde, Engel hätten den blinden alten Mann im Kloster Lorsch von Altar zu Altar geführt.

Weit weniger archaisch, aber trotzdem sehr charakteristisch ist eine Geschichte, die Otto Gritschneder einmal beschrieben hat. Es geht darin um Kardinal Faulhaber und dessen massiv gestörtes Verhältnis zur Weimarer Republik. Michael von Faulhaber, der sowohl die Mitra als auch sein Adelsprädikat den Wittelsbacher verdankte, ließ sich an Treue zur Monarchie von keinem in den Schatten stellen. Eine gute Gelegenheit, aus dieser Gesinnung heraus gegen die neue Ordnung zu polemisieren, bot sich ihm mit dem 62. Deutschen Katholikentag, der im August 1922 in München gefeiert wurde.

Beim festlichen Gottesdienst unter freiem Himmel auf dem Königsplatz predigte der Kardinal in "prophetischer Unbekümmertheit", wie Gritschneder es ausdrückt. "Gebt mir", rief er, "eine Hundertschaft von charakterfesten Persönlichkeiten um jeden Kirchturm herum, ein Dutzend um jede Vereinsfahne, und wir wollen das Angesicht der Erde erneuern." Es war nun am Präsidenten des Kirchentags, dem damals 46-jährigen Konrad Adenauer, dazu das Richtige zu sagen, und Adenauer fackelte nicht lange.

Er sprach davon, dass die Monarchien verweht worden seien wie Herbstblätter im Wind, dass es also, mit anderen Worten, an der Zeit gewesen sei. Zum Thema Weimar sagte er, dass es einen Mangel an historischem Blick verrate, "die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände". Der Kardinal soll seinem Unmut durch "Oho!"-Rufe Luft gemacht und sich angeschickt haben, die Versammlung zu verlassen. Das ging indessen nicht, weil ihm Wohlmeinende seinen Kardinalshut beiseitegeräumt hatten.

Um auf Tassilo zurückzukommen, so wäre nichts vermessener, als von ihm aus einen auf Sinnstiftung zielenden Bogen in die Gegenwart zu schlagen, genauer gesagt in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Deutschland aus den Trümmern arbeitete und - wieder einmal - von Grund auf neu geordnet werden musste. Selbst Leute, deren Geschichtswissen löchrig ist, wissen relativ genau, dass Bayern das neue Grundgesetz der Bundesrepublik formell nicht annahm, wohl aber auch hier gelten lassen wollte, wenn es denn von den anderen Westzonenländern angenommen würde.

Für das praktische Leben hat das keinerlei Bedeutung, und schließlich will ja auch das "Lied der Bayern", die hiesige Nationalhymne, nichts anderes, als "dass mit Deutschlands Bruderstämmen / einig uns ein jeder schau" (in der martialischeren Urfassung hieß es übrigens: "einig uns der Gegner schau"). Die periodisch auftretenden sezessionistischen Anwandlungen sind wohl dort am besten aufgehoben, wo auch das Bayern/Preißn-Syndrom gemütlich haust: in der Folklore.

Da dieses Blatt über kein eigenes Register fürs weiß-blau Salbungsvolle verfügt, sei zum Abschluss der Historiker Karl Bosl herangezogen. Am Ende seiner "Bayerischen Geschichte" (1971) schreibt er, dass "politisch wie psychologisch die innere Konsistenz dieses gefestigten und ausgewogenen Landes ein spürbares Eigengewicht" habe, "das die anderen in dieser Form nicht besitzen". Wenn Bosl das auch auf die "Vorläufigkeit der westdeutschen Bundesrepublik" bezog: Gut tut der Satz auch heute noch.

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